Mittwoch, April 11, 2012

Selbsthilfegruppe




























Alle spielten für Hertha, nur Hertha spielte gegen sich selbst: So könnte man das Fazit des Ligaspieltags 30 in der Saison 2011/2012 ziehen. An einem Dienstagabend bei angenehmen Bedingungen verloren Augsburg und Köln ihre Spiele, aber auch Hertha verlor gegen den schon seit einiger Zeit nicht mehr direkten Konkurrenten Freiburg mit 1:2. Man muss sagen: verdient. Die Niederlage bestand zu einem kleineren Teil aus Pech, zu einem größeren aus Verzagtheit, zum größten Teil aber wohl doch aus schlechter Einstellung. Der Gegner aus dem Breisgau hat im Winter nach einer schlechten Hinrunde einen neuen Mann aus dem Apparat gezaubert: Christian Streich. Man würde sich wünschen, in Herthas Apparat wären irgendwo ähnliche Begabungen, ähnliche Charaktere, ähnliche Verbindungen von Charisma und Fußballintelligenz (das Schrullige an Streich wäre hier allerdings schwerer zu vermitteln, in einer Stadt, die sich gern über alles Süddeutsche lustig macht). Aber hier hat Michael Preetz nur René Tretschok und Ante Covic entdeckt, von denen man sich mehr denn je fragen muss, was sie mit und unter dem Cheftrainer mit der unendlichen Erfahrung eigentlich machen.

Hertha geriet früh und unter den denkbar unglücklichsten Umständen in Rückstand. Ein Eigentor von Hubnik, das wie eine Verhöhnung der Behauptung von Otto Rehhagel wirkte, alle wären für Erstligafußball in Berlin. Der Weltgeist ist aber auf jeden Fall dagegen, anders kann man die Verkettung von Umständen (Babbel, Bayern-Gen, private Gründe, Friedhelm Skibbe, und schließlich der Miraculix aus Essen) nicht bezeichnen. Nach dem 0:1 waren aber noch mehr als 80 Minuten Zeit, um zu zeigen, dass etwas in der Mannschaft steckt. Es scheint aber nichts drinnen zu stecken. Wir sahen 70 Minuten unzusammenhängendes Bemühen, die Blöcke des Teams wollten voneinander nichts wissen, wer den Ball hatte, wurde in die Wüste geschickt, weil sich in der Regel niemand in seine Richtung bemühte (akutestes Beispiel: ein, zwei gute Einzelleistungen von Ben-Hatira, zu denen er gezwungen war, weil Lell und Niemeyer keine Anstalten machten, sich anspielbar zu machen).

Auf Raffael habe ich eine Weile besonders geachtet. Ich habe ihm sehr hoch angerechnet, wie sehr er sich das Jahr in der zweiten Liga persönlich angelegen sein ließ, irgendwann im Lauf der Saison (vermutlich während des Cupspiels gegen Gladbach, das er noch engagiert führte) muss ihn die Lust verlassen haben. Gestern war er über weite Strecken ein Bild des Jammers, zwischendurch habe ich ihn (kleine Hommage an Hellmuth Costard) über sieben Minuten gefilmt, und damit ein neues Album auf der Videoseite begonnen (dort übrigens auch ein neuer Gastbeitrag von Valdano, der über Ostern in Italien war).

Den begabtesten Spieler muss man schon "ins Boot" holen, wenn man Abstiegskampf spielt. Das scheint dem Cheftrainer nicht gelungen zu sein, und auch nicht den beiden Umarmungsassistenten Tretschok und Covic. Im Grunde war das Spiel gegen Freiburg eine logische Fortsetzung des Saisontrends, der sich früh in der Hinrunde abzeichnete, und den ich gebetsmühlenartig als Mangel an mannschaftlicher Integration bezeichnet habe. Ottl holte sich gestern immerhin mehrfach Bälle aus der Viererkette ab, versuchte aber viel zu selten dann einen interessanten Pass - es fehlten ihm die Anspielstationen, er wirkte aber auch nicht so, als suchte er wirklich welche. Insgesamt standen er und Niemeyer zu oft bei Ballannahme mit dem Rücken zum Offensivspiel, und eine schnelle Wendung, ein Lauf in den offenen Raum, das wäre schon zu viel des Engagements gewesen.

Es bleiben vier Spiele, weiterhin lebt die Chance, dass der FC Köln noch desaströser weiter macht, vielleicht tut die Mannschaft sich auswärts ja leichter und kann in Leverkusen noch einmal versuchen, was in Mainz gelang: kompakt anlaufen, und zwar auch den eigenen ballführenden Spieler, zum Zwecke der gemeinsamen Spielgestaltung. Doch wer soll dazu die Instruktionen geben?

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Aufschlußreiche Studie zu Raffael - wenn man daran denkt, daß Costards Film "Fußball wie noch nie" hieß und das Plagiat seines Films "Zidane - A 21st Century Portrait", dann ist nur das Problem, wie man diese 7 Minuten überschreibt...
Gruß von Valdano