Sonntag, April 15, 2012

Hand Gottes

Schon seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, dass der Fußball sich über uns lustig macht. Da überlegen sich Menschen Trainingspläne, die Spieler üben Laufwege, Mannschaften werden in Formationen gebracht, und dann passiert etwas so wie gestern zwischen Bayer 04 Leverkusen und Hertha BSC. Ein Spiel, das zur Hälfte reines Chaos war, allerdings mit der Einschränkung, dass der Zufall es sich angelegen sein ließ, mehr oder weniger eine Kopie des Hinspiels im Herbst herauskommen zu lassen: Neuerlich war das Ergebnis 3:3, neuerlich verspielte die Heimmannschaft eine 2:0-Führung, neuerlich musste die Auswärtsmannschaft schließlich ihre eigene Führung noch einmal hergeben. Das war also so etwas wie Durcheinander nach Schema, allerdings nach einem Schema, das nicht auf die Taktiktafel gehört, sondern nach Analyse von Fraktaltheoretikern verlangt.

In den herkömmlichen Kategorien des Fußballs war es ein schlechtes Spiel, das nach der Halbzeit ins Delirante kippte. In den ersten 45 Minuten hätte eine halbwegs funktionierende Mannschaft begriffen, dass Leverkusen gestern zu pflücken war ("there for the taking"). Eine konzentrierte Leistung bis zur Pause, und in den zweiten 45 Minuten wäre die Heimmannschaft auf dem Präsentierteller gelegen, präsentiert nicht zuletzt von einem reizbaren Heimpublikum. Doch dann ließ Bastians sich aus der Viererkette locken, die insgesamt stark noch links verschoben war, Lell sah sich allein Schürrle gegenüber, blieb auf neutraler Distanz und ließ so einen Weitschusstreffer zu, der gut ins Lehrbuch aller Fußballschulen passen würde (auch wegen des schlechten Defensivverhaltens).

Nach der Pause wurschtelte Kießling gegen den Behelfsinnenverteidiger Niemeyer noch das 2:0 ins Netz, und alles schien den Weg alles Herthanischen anno Frühling 2012 zu nehmen. Doch wenig später kam der Ball nach einer Ecke zu Lell, der am rechten Sechzehnereck eine eigenwillige Verzögerung einschob, bevor er einen weichen Ball auf den Elfmeterpunkt zirkelte, der immer noch scharf genug war, dass der inzwischen eingewechselte Lasogga daraus einen sehenswerten Kopfballtreffer machen konnte.

Es dauerte dann nur eine Viertelstunde, bis Hertha nach zwei Kontertoren durch den ebenfalls eingewechselten Torun 3:2 führte. Davor lag noch ein wichtiges Ereignis: Derdiyok (eingewechselt) nützte eine sanfte Berührung durch Kobiashvili im Strafraum zu einem eindrucksvollen Sturz (Marke Igor de Balotelli). Der verdienstvolle Georgier musste vom Platz, den Elfmeter hielt der saisonbeste Herthaner spektakulär und handgöttlich (man beachte das schöpfungstheologische "fiat" - "es werde" - im Bild).

In Unterzahl drehte Hertha also das Spiel. Leverkusen drehte es danach noch einmal halb zurück, am Ende hätte das Spiel komplett überdrehen können, es gab Chancen und Vorfälle für zwei weitere Tore (gegen Hertha). Aber das hätte der gestrigen Logik widersprochen, denn es ging darum, ein Replikantenspiel zu produzieren, einen kleinen Zahlenreim in der Saisonstatistik.

Der Cheftrainer mit der unendlichen Erfahrung hat mit der Einwechslung von Lasogga und Torun alles richtig gemacht, würde man nun meinen. Tatsächlich aber war das ein Spiel jenseits jeden Coachings, und was die Betreuer von Hertha sich zuguteschreiben können, ist Dusel. Aus sinnlosem Auf und Ab und Hin und Her werden normalerweise Abstiege gemacht, aber auch das muss nicht zwangsweise so sein. In meinem Achtpunkteplan für den Rest des Abstiegskampfs liegt Hertha nun im Plan (heimlich hatte ich ehrlich gesagt auf Übererfüllung spekuliert).

Für die Trainingswoche empfiehlt sich gegen die Evidenz vom Samstag präzises Arbeiten. Das ist der Existenzialismus des Fußballs: Man hat manchmal den Eindruck, dass man genauso gut würfeln könnte, da man aber nicht weiß, wer die Würfel in der Hand hat, muss man weiter strebend sich bemühen.

3 Kommentare:

Oliver hat gesagt…

Sieh an, auch der geschätzte Marxelinho sucht sein Heil im Beschwören eines Höheren. Da freue ich mich sehr, die alte Dame liegt dir scheinbar wirklich am Herzen. Das muß man hoch anrechnen, bei einem "Auswärtigen", wo sich doch ansonsten so gerne standhaft geweigert wird, diesen Verein einfach mal als wichtiges Bundesliga-Mitglied zu akzeptieren.
Auch König Otto wird nur zweimal mit kleinen Spitzen bedacht (Ist das überhaupt eine, im letzten Satz ?)
Er hat seinen Namen verdient,so etwas wie den Meistertitel mit Kaiserslautern und die Europameisterschaft mit den Griechen wird keiner wiederholen. Auch wenn das Hertha nichts nützt, ich glaube immer noch daran, daß er bezüglich der Mannschaft etwas zu sagen hat, und da gibt es wahrscheinlich keinen besseren Showdown für ihn, die von dir hämisch bedachte "Erfahrung" noch einmal anzuwenden als in zwei Relegationsspielen. Als Hertha-Fan bekommt man nichts geschenkt, das hast du bestimmt auch schon gemerkt. Interessant ist sein Verhalten nach dem dritten Hertha-Tor: Er weiß als einziger in diesem Moment, daß man das jetzt auch noch nach Hause bringen muß. Otto kann so eine Aufgabe von zwei Entscheidungsspielen lösen und da "glaube" ich einfach fest daran, daß er dem gegnerischen Trainer darin überlegen ist, sowie es letztes Jahr bei Favre gegen Funkel der Fall war. Und daß du deinen Defätismus überwunden hast und auch wieder an Dinge wie eine Hand Gottes glaubt, ist doch ein gutes Zeichen.

marxelinho hat gesagt…

Lieber Oliver, in deiner Verehrung für König Otto ist dir entgangen, dass mein Eintrag mit dem Mittel der Ironie auf das Spiel in Leverkusen reagiert hat. Ich glaube mitnichten an höhere Mächte, vielmehr wirft mich und uns der Fußball immer wieder auf deren Fehlen zurück - bzw. auf den blinden Zufall, der sich dieses Mal eine für meine Begriffe fast schon höhnische Extraposse geleistet hat. Über Rehhagel habe ich keine Lust mehr, Weiteres zu sagen. Nach dem dritten Tor war er sicher nicht der einzige, dem klar war, dass jetzt noch eine Lange Viertelstunde kommt, und dass das 3:2 diese Zeit möglicherweise nicht überstehen wird. Dafür reicht die Erfahrung von einigen Wochen im Fußball. Bisher hat Hertha unter Rehhagel nie zwei auch nur passable Spiele hintereinander gezeigt. Seine Bilanz als Cheftrainer in Berlin ist äußerst dürftig. Ich bedenke die Erfahrung mit "Häme", weil die Mainstreammedien daraus einen Fetisch machen, und weil ich sie in den Leistungen der Mannschaft nicht wiedererkenne. Daran aber sind Trainer zu messen. Unabhängig davon ist mir jede Volte des Zufalls recht, die Hertha in der ersten Liga belässt.

Oliver hat gesagt…

Lieber Marxelinho, ja ich verehre ihn, unter anderem auch deshalb, weil er wohl der Trainer ist, der diesen Mainstreammedien in seiner Karriere am deutlichsten die Meinung gesagt hat und sich ihnen immer wieder verweigert hat. Da kann er also nichts dafür und muß nicht das abliefern, was Journalisten von ihm verlangen. Er wird seinen eigenen Plan haben. Ich hatte auch mehr erwartet, aber es scheint nicht so leicht zu sein ihn umzusetzen Die Probleme liegen, wie ich glaube, irgendwo ihn dieser seltsamen Konstruktion mit zwei Co-Trainern, die keine wirklichen Fachleute sind und Bundesliga-Erfahrung nur als Spieler vorweisen können. Covic auch nur eine sehr bescheidene, bei ihm beschleicht mich eine tiefe Skepsis. Wenn diese schwache Konstruktion, die sich weiß wer ausgedacht hat, dann noch von den Medien gegeneinander ausgespielt wird, kann das nicht besonders gut gehen. Deswegen: Otto muß es einfach machen, am Schluß wird beurteilt.
Grundsätzlich aber noch mal vielen Dank für deinen Blog, er ist großartig, besonders die "Fachbegriffe" aus dem Englischen, bitte mehr davon. Mit besten Grüßen

Oliver