Sonntag, Januar 31, 2010

Aufholschläfer

Ein sehr intensiver Januar mit viel Herumfahren war das heuer, es hat deswegen bis gestern gedauert, dass ich die Hertha im neuen Jahr mit eigenen Augen zu sehen bekam. Ich fuhr, gegen jede körperliche Vernunft, ins Olympiastadion, mit der S-Bahn, kam zehn Minuten zu spät an das Südtor, reihte mich dort in die lange Schlange vor dem einzigen offenen Gate ein (während eine Vielzahl von Servicekräften uns beim Warten zusahen), kam aber schließlich doch hinein, ohne einem der Untätigen hortativ meine Mitgliedsnummer entgegenschleudern zu müssen.

In Minute 24 des Heimspiels von Hertha BSC gegen den VfL Bochum war ich dann tatsächlich an meinem angestammten Platz im bürgerlichen (?) Sektor des nördlichen Oberrings, und begann mir ein Bild zu machen von den Geschehnissen auf dem Rasen. Viel gab es da nicht zu sehen. Die Hertha hatte gute Gründe, auf Sieg zu spielen, unterließ dies aber aus Gründen, die im Detail nachzuzeichnen wären, wofür ich mehr wissen müsste über das innere Mannschaftsgefüge (nach außen sieht das jedenfalls nicht gut aus).

Die Kälte mag eine Rolle gespielt haben, normalerweise ist das kein Wetter für Sport, aber in Berlin ist Abstiegskampf, und die restliche Liga spielte ja auch (und zwar in die Karten der Hertha, wie sich später erwies). Da Lustenberger nicht spielen konnte, musste Kringe ins Zentrum rücken, Patrick Ebert lief rechts offensiv auf. Aber so richtig gelaufen wurde eigentlich nicht gestern, das begann bei Theophanis Gekas vorne und setzte sich durch Reih und Glied fort.

Bochum sah sich vor keine großen Probleme gestellt, zur Pause stand es 0:0, gleich danach begannen die Gäste, sich bei jeder Berührung dramatisch auf dem Rasen zu wälzen - fünf oder mehr Angriffe der Hertha wurden auf diese Weise unterbrochen, in England hat man aus guten Gründen die Schiedsrichter dazu angehalten, das Spiel in solchen Fällen offensichtlicher taktischer Disruption auch einmal weiterlaufen zu lassen. Nicht so in Deutschland, wo Michael Weiner brav jeden gestrauchelten Bochumer nach seinem Befinden fragte.

Nicht, dass ich glaube, die Hertha hätte einen der Angriffe auch sauber zu Ende spielen können - da lief dann doch zu wenig zusammen zwischen dem faulen Gekas, dem gestern auch indisponierten Ramos, dem entnervten Ebert und dem nur gelegentlich aufblitzenden Raffael. Die naheliegende Taktik, den Weg zum gegnerischen Tor durch früheres, nachdrückliches Stören des Bochumer Aufbauspiels zu verkürzen, kam niemand in den Sinn.

Eine Viertelstunde vor Schluss nahm Funkel den nicht so sehr erschöpften als ausgekühlten Gekas vom Platz und brachte Wichniarek, hiermit ganz auf "plot point" und Wunder setzend - vergeblich, das war gestern nicht einmal ein Kapitelchen in der Aufholhagd, sondern ein öffentliches Nickerchen bei Frost. Ich schüttelte mich, und fuhr mit der U2 in die Stadt zurück.

Montag, Januar 25, 2010

Eiszeit

Am Sonntag war ganz Berlin ein wenig unschlüssig, wie das 0:0 gegen Gladbach vom Samstag, das unter arktischen Bedingungen im Olympiastadion erreicht worden war, zu interpretieren sei. Ich war am Wochenende bei einer Konferenz in Stuttgart, konnte davon also nicht mehr sehen als die Konferenz in einer türkisch geführten Sportbar mit geringen kommerziellen Ambitionen (die Jungs spielten ein Brettspiel, aßen Takeout-Pizza, und hingen einfach ab, konsumieren musste ich nichts, das Internet konnte ich gratis benutzen).

Einen tieferen Eindruck vom Spiel bekam ich da nicht, sodass mir vorläufig nur soviel zu sagen bleibt: Im Herbst hat die Hertha solche Spiele noch verloren (gegen Köln), dieses Mal gab es immerhin einen Punkt. Eine gewisse Verhaltenheit vor allem in der ersten Halbzeit kennen wir schon lange, allmählich werden natürlich die Spiele knapp, die man verhalten angehen kann.

Der nächste Gegner Bochum hat sich gegen Schalke wieder einmal als houdinisch erwiesen, ein Sieg gegen diese Entfesselungskünstler wird sehr schwer werden und ohne neunzig Minuten unbedingten Einsatz nicht zu haben sein. Von Bochum hat sich die Hertha in der Hinrunde ja noch prinzipieller auskämpfen lassen, so ganz sind die Lektionen von damals noch nicht begriffen worden, will mir scheinen. Aber ich war, wie gesagt, nicht vor Ort, und es war ja legendär kalt.

Funkel hat am Sonntag recht unwirsch seinen Verzicht auf Einwechslungen am Samstag verteidigt. Er ist natürlich nicht zu beneiden angesichts der Berliner Boulevard-Medien, die zwischen Aufholjäger-Kampagne und Untergangslust hin und her schwanken, und seit 1997 keinen geraden Satz zur Hertha herausgebracht haben. Am Samstag geht es gegen Bochum, am Sonntag endet die Transferfrist - eine schwierige Konjunktion, die dem Management und dem Trainer alles abverlangt. Ich schlage vor, eine Woche keine Schreizeitungen zu lesen.

Freitag, Januar 22, 2010

Soße im Maschinenraum

Im Tagesspiegel gibt es heute einen interessanten Text über Thorben Marx, einen der beiden Spieler, aus deren Namen ich damals mein Pseudonym Marxelinho gebildet habe, als ich dieses Blog gestartet habe. Ich war und bin immer noch ein Fan von ihm, auch wenn ich damals größere Hoffnungen für ihn hatte - aber es ist eben auch charakteristisch für Hertha, dass so wenige Spieler bei ihr sich entscheidend verbessern, unter Coach Götz sowieso.

Thorben Marx arbeitet im "Maschinenraum", er ist ein Typ wie Mathieu Flamini (für mich war er in seiner Zeit bei Arsenal der Prototyp in der Verkörperung dieser Rolle, die bei Hertha momentan Lustenberger, bei Arsenal Alexandre Song innehaben). Irgendwann fand Götz, dass von Thorben Marx nur noch "Soße" kam, und so ging der nach Bielefeld und von dort mit Frontzeck nach Gladbach, von wo er morgen ins Olympiastadion kommt.

In dem Artikel gibt es eine besonders interessante Information: Bei einem Spiel in Leverkusen wurde einmal gemessen, dass Marx 12,5 Kilometer gelaufen ist. Das ist schon internationales Niveau, von Flamini gibt es Rekordzahlen über 14 Kilometer, die sich direkt auf Präsenz auf dem Platz umrechnen lassen.

Die Information aber, die mich verblüfft, ist die beiläufige, dass Marx seither keine Zahlen über seine Laufleistung mehr gehört hat. Das wird also anscheinend tatsächlich selten gemessen, wofür auch spricht, dass ich neulich einmal einen befreundeten Journalisten gebeten habe, sich in Sportreporterkreisen ein wenig nach entsprechenden Zahlen umzuhören - er musste vermelden, dass solche entweder nicht existieren oder keine Rolle spielen.

Natürlich merkt man beim Zuschauen auch so, ob gut und ausreichend gerannt wird, und Lucien Favre hat zudem immer großen Wert darauf gelegt, dass "richtig" gelaufen wird. Aber das ändert wenig daran, dass gerade im Mittelfeld und auch im Sturm sehr viel davon abhängt, ob die Spieler ausreichend unterwegs sind.

Das Hinrundenspiel gegen Gladbach, mit dem Herthas Absturz in der Tabelle begann, ging für mich vor allem deswegen verloren, weil Gladbach eine Hertha niedergerannt hat, die nicht bereit war, das letzte Engagement in der Jagd nach dem Ball aufzubringen (laufen und zweikämpfen geht da ineinander über). Einschlägige Zahlen, so sie irgendwo existieren, würden mich sehr interessieren. Denn vielleicht quatsche ich hier ja nur Soße.

Sonntag, Januar 17, 2010

Sichtweite

Die Hertha hat zum Auftakt der Rückrunde 3:0 in Hannover gewonnen. Besonders freut mich, dass Lukas Pisczcek ein Tor erzielen konnte, der Pass von Ramos auf Raffael zum 2:0 war auch sehr edel. Ich beziehe mich auf die Sportschau, das Spiel habe ich noch nicht gesehen, wir sind an diesem Wochenende in Zürich. Es ist aber allen Berichten zu entnehmen, dass es ein anderer Sieg war als das 1:0 zu Saisonbeginn, das damals schon alle Ingredienzen des späteren Niedergangs in sich trug.

Gestern konnte die Hertha einen offensichtlich schwachen Gegner weitgehend beherrschen, mehr noch: sie hat Hannover durch diesen Sieg in die direkte Konfrontation gezwungen, denn die Niedersachsen liegen mit nunmehr 17 Punkten gegenüber der Hertha mit neun jetzt doch schon wieder fast in Sichtweite.

Im Abstiegskampf geht es nur von Spiel zu Spiel, das macht der VfL Bochum sehr schön vor. Es braucht aber auch eine Perspektive, und die lautet nun nach dem 18. Spieltag: Nürnberg und Hannover könnten, eigene Leistung vorausgesetzt, die ein- und überholbaren Mannschaften sein, der Pulk davor muss sich dann Platz 16 untereinander ausmachen.

Am kommenden Wochenende geht es gegen Gladbach, gegen die Hertha das gleiche Kunststück vollbringen muss: eine Mannschaft, die sich schon in Sicherheit wähnen konnte, noch einmal in Sichtweite zu bekommen.

Samstag, Januar 16, 2010

Außenwette

Die zweite Saisonhälfte wird viele Geschichten bringen, die mich sehr interessieren: Wie weit schafft es Werder nach oben (den Bremern gilt in Abwesenheit von Hertha meine Sympathie im Titelkampf)? Kann Bayer 04 tatsächlich Meister werden? Wird Wolfsburg mit dem neuen "Manager" Hoeneß wieder in das Mittelmaß zurückfallen, aus dem vielleicht nur der Groß-Manager Magath den Verein holen konnte?

Eine dieser Fragen betrifft auch die Hertha. Ob sie noch Chancen auf den Klassenverbleib hat, werden wir in zwei Wochen besser einschätzen können. Mich interessiert im Moment die Wette, die Friedhelm Funkel auf Theophanis Gekas abgeschlossen hat.

Der griechische Stürmer war, nach allem, was zu hören war, ein Wunschspieler von Funkel, der dafür auch bereit war (wenn er es sich denn so genau überlegt hat), die gesamte Spielanlage der Hertha grundlegend umzustellen - sie ist nun wieder vormodern, ausgerichtet auf einen lauernden Vollstrecker (während zum Beispiel ein moderner Stürmer wie Kießling sich seine Präsenz durch Arbeit erspielt), im Mittelfeld formiert als Raute, wodurch sie leichter ausspielbar wird, wenn den Außenleuten (Cicero, Kringe) zwischendurch Konzentration oder Atem fehlen.

In einer Zeitung stand heute zu lesen, dass es das stärkste Indiz für Resignation bei der Hertha ist, dass Funkel (drei Punkte aus zehn Spielen) noch da ist. Da ist was dran. Die Außenwette von Funkel auf Gekas wird mich deswegen besonders interessieren, weil ich darauf selber nicht wetten möchte. Wenn sie aber aufgeht? Umso besser, denn ich will hier ja nicht rechthaben, sondern ich will, dass es gut geht.

Mittwoch, Januar 13, 2010

Defizitspende

So schlecht kann es der Hertha gar nicht gehen, dass sie Hilfe von der desolaten Berliner CDU bräuchte. Aber es war dann doch noch kurz ein Thema, was Frank Steffel sich da vor Weihnachten ausgedacht hat - einen 21-Millionen-Kraftakt des Schönrechnens, mit dem er Hertha plötzlich ganz viel Geld verschaffen wollte (darunter auch 100 Euro Extramitgliedsbeitrag von mir). Als ob Geld das akute Problem wäre, oder dieses lösen könnte. Der Geist, aus dem dieser (leider nur) beinahe geheim gebliebene Brief formuliert ist, erinnert von fern an Rosinenbomber und Luftbrücke, an gemeinsames Anpacken und große gesellschaftliche Umlage, konkret geht es aber nur um Luftbuchungen und Defizitspenden, mit denen Hertha sich vielleicht alternde Stars (ob Rivaldo wohl in Usbekistan verlängert?) leisten könnte, bevor sich im Mai der Kader, wie wir ihn kannten, mehr oder weniger auflöst. Der Brief wäre nicht weiter von Belang, zeigte er nicht noch in der Entstellung, aus welchem geistigen Umfeld die Hertha herkommt. Ein Abstieg wäre nichts gegen einen Rückfall in diese Welt.

Dienstag, Januar 12, 2010

Leistungszentren

Der Fußballjournalismus ist in Deutschland schon in ruhigen Zeiten schwer von der Öffentlichkeitsarbeit der Vereine zu unterscheiden. In dieser letzten Woche vor dem Wiederbeginn sind nun aber vor allem die Berichte über die Hertha durchweg geprägt von dem Bemühen, den Zweckoptimismus nicht zu verderben.

Florian Kringe übernimmt schon beinahe den Part, den Niko Kovac lange gespielt hat - "elder statesman". Rasmus Bengtsson will gegen Mainz wieder in der ersten Mannschaft stehen, so erfahren wir - das ginge allerdings nach menschlichen Ermessen nur, wenn Arne Friedrich dann schon verkauft wäre, was wiederum auf ein Versagen in den ersten drei Spielen zurückzuführen wäre.

In der längeren Perspektive ist die Titelgeschichte des aktuellen "Kicker" interessant, in der es um die wachsende Rolle von Spitzentalenten in den deutschen Topmannschaften geht. Dort wird noch einmal zusammengefasst, was im Herbst ohnehin schwer zu übersehen war: bei Schalke, Bremen, Leverkusen, Bayern spielen 20jährige schon tragende Rollen.

Die Hertha liegt in einer entsprechenden Tabelle weit hinten, aber immerhin vor Frankfurt, Bochum und Wolfsburg, also auf einem Nichtabstiegsplatz. Dass die Integration des Nachwuchses in die Mannschaft stockt, war schon unter Coach Favre zu erkennen, der dieses Projekt nachrangig behandelte, wohl auch deswegen, weil da gerade eher wenige Junge nachdrängen.

Das Problem reicht aber weit zurück, ich erinnere nur an einen Fall wie Christopher Samba, dem einfach nie die Bedingungen geboten wurden, sich wirklich zu erproben. Ähnlich könnte es eines Tages mit Domovchyiski werden, der noch nie zwei volle Spiele hintereinander hatte (glaube ich), und jetzt wieder dritter oder vierter Stürmer ist.

Ich sage nicht, dass Jugend ein Wert an sich ist, aber bei der Hertha fehlt oft ein wenig der Blick auf latente Kompetenz, und auch das hat dazu beigetragen, dass sie im vergangenen Herbst plötzlich so labil werden konnte. Unten im Bild einer aus dem Nachwuchs, der im Falle eines Abstiegs vielleicht schon im Sommer einen Profivertrag bekommen könnte: Abu-Bakarr Kargbo (17).

Freitag, Januar 08, 2010

Alternativen

Die Hertha hat eine überzeugende Öffentlichkeitsarbeit gemacht während des Trainingslagers. Sie hat Drobny mit dem neuen Verteidiger Hubnik präsentiert, und damit der absehbaren Tatsache zumindest momentan entgegen gewirkt, dass der Torhüter seinen Vertrag wohl sowieso nicht verlängern wird. Kacar durfte ein großes Interview im "Kicker" geben und damit auch ein wenig Imagepflege betreiben, was wichtig ist bei dem kommerziell immer noch wertvollsten Spieler im Kader.

Ob und wo Kacar spielen wird, bleibt dagegen offen, da müssen wir jetzt einfach hoffen, dass Funkel aus dem Überangebot im Mittelfeld und insgesamt angesichts der Alternativen im Kader die richtigen Schlüsse zieht. Aufgrund vieler schwer nachvollziehbarer Manöver im Herbst bin ich da ein wenig skeptisch.

Artur Wichniarek hat seine Ernährung umgestellt, seinen Professionalismus und seine Intelligenz habe ich immer schon geschätzt. Zwischendurch wurde auch bekannt, dass Ramos "nur" einen Renault fährt, während alle anderen Profis schwere Audis haben. Ich hoffe, auch dieses Problem ist behoben worden, denn Ramos könnte sehr schnell der kommerziell wertvollste Spieler der Hertha werden, sofern Funkel ihn spielen lässt - derzeit steht ja noch das Projekt im Vordergrund, Gekas einen Lümmelraum aus Laufwegen zu bauen, aus dem heraus er dann seine Tore erschleichen kann.

Shervin Radjabali-Fardi durfte nicht mit nach Mallorca, das ist ein kleiner, für mich aber signifikanter Nebeneffekt der Personalmaßnahmen im Winter, deren Pointe ja wäre, dass Hertha, wenn sie den Abstieg verhindern kann, einen deutlich gealterten Kader haben würde, plus einen dann natürlich legendären Trainer, der die Modernisierung der Hertha wieder auf Jahre hinausschieben helfen würde. Soll heißen: Natürlich wünsche ich mir, dass die Sache noch gut geht, mir kommt aber vor, dass es möglicherweise strukturell auf einen (zu?) hohen Preis hinausläuft.