Sonntag, August 28, 2005

Sechserkette

Das erbärmliche 0:3 der Hertha gegen Bayern wirft eine Reihe von Fragen auf. Von Ergebnis und Spielverlauf glich das Match der Niederlage von Gladbach, die vor zwei Runden als erstes Team in der Allianz-Arena antreten mußten, dabei aber wesentlich mehr Chancen und Spielanteile hatten als Hertha gestern. Drei Umstände erscheinen mir spielentscheidend (auf unserer Seite): Die Grundaufstellung in der Defensive; das Verhalten beim Freistoß, der das 0:1 brachte; und das Pech mit Boateng, der für Marx kam und zwei Minuten später verletzt wieder ausscheiden mußte. Der Coach hatte die Viererkette mit Friedrich-van Burik-Madlung-Simunic besetzt, und damit das ganze Unheil heraufbeschworen. Wir wissen, daß Simunic nach vorne nichts zu Wege bringt. Das ist im Zentrum nicht so schlimm, auf der linken Außenbahn jedoch ein großes Problem, weil die dadurch gelähmt ist. Selbst ein formschwacher Malik Fathi (dessen stagnierende Entwicklung übrigens nicht nur ihm selbst anzulasten ist, sondern auch ein Licht auf das Training wirft) hätte die ein, zwei Verbindungen zu Neuendorf hergestellt, die für ein wenig mehr Entlastungen hätten sorgen müssen. So aber irrte Simunic draußen herum, schuf bei Ballbesitz neue Probleme, und kam schließlich nach der Pause zentral vor dem Strafraum zu dem Foul, das Ballack in aussichtsreiche Position brachte. In diesem Moment waren van Burik und Friedrich so unklug, auf Abseits zu spielen. Sie liefen von der Torlinie weg, während die Mauer stand, und Ballack schon anlief.

















Damit lief Friedrich in den Ball hinein, und fälschte ihn ab. Tremmel war gestern gut in Form, es hätte vollkommen gereicht, ihm die Sache zu überlassen - dann hätte Ballack entweder souverän verwandelt, oder - bei der Schußrichtung, die sich andeutetete - der Ball wäre gehalten worden. Es war ein ärgerliches Gegentor, zu dem drei der vier Verteidiger nach Kräften beitrugen. Für das Match aber war es gut, denn die Bayern waren auch nicht so super gestern, und Hertha hätte nun ja zeigen können, daß sie nicht für ein 0:0 nach München gekommen war. Sie hätte also das einlösen können, was während der Woche in Interviews verbreitet worden war. Die Auswechslung von Niko Kovac (für ihn kam Okoronkwo) war eine mutige Entscheidung, und als Boateng für Marx kam, stand eine Mannschaft auf dem Platz, die nach Zukunft aussah. Die hätte ich gern noch dreißig Minuten gesehen, aber Boateng war anscheinend für einen Einsatz gar nicht fit, und nach der Einwechslung von Samba irrten vier Innenverteidiger über den Platz, was zu den demütigenden Gegentoren führte, die in der Schlußphase fielen. Aus der Halbzeit, die ich von Boateng gegen Frankfurt gesehen habe, läßt sich auf großes Potential schließen. Ich hoffe, er löst Kovac beizeiten ab. Wenn dieser "Führungsspieler", der mit der Degradierung von Fathi in Koblenz ja öffentlich begonnen hatte und damit die fatale Aufstellung von gestern mitbewirkt hatte, endlich selbst degradiert würde, dann hätte das Trauerspiel von gestern noch sein Gutes. Die Saison beginnt für uns in zwei Wochen von vorn, und wenn die sich abzeichnenden Autoritätsprobleme von Falko Götz eskalieren, dann wird das ein stürmisches Jahr. Meine Empfehlungen sind zu radikal, um auf Verständnis zu stoßen: Ich würde Kovac, van Burik und Madlung sofort verkaufen. Aber es will sie ja keiner.

Montag, August 22, 2005

Führungsspieler

Unser Manager, der wie sein Bruder Uli auf angenehme Weise nicht über die Ungerührtheit verfügt, die wirtschaftliche Führungskräfte ja angeblich ausstrahlen sollen, hat sich am Samstag mit Marcelinho überworfen. Keine Zeitung vergißt heute den "hochroten Kopf" zu erwähnen, mit dem Dieter Hoeneß zwischen Spiel und Verlängerung in Koblenz auf den Spielmacher losgegangen ist. Eine Woche vor dem Auswärtsspiel gegen die Bayern haben wir also Zank und Hader in der Mannschaft, weil die "Führungsspieler" ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Aus den zwei, drei Minuten, die im Fernsehen zu sehen waren, konnte ich allerdings deutlich entnehmen, daß Dick van Burik, der sich hinterher wichtig gemacht hat, äußerst gemächlich verteidigt hat, und daß Madlung auch nicht gerade "in" die Zweikämpfe ging. Gestern saß ich dann natürlich trotz des schönen Wetters vor der Kiste, um Arsenals Auftritt an der Stamford Bridge zu verfolgen. Das 0:1 gegen Chelsea (durch ein blödes Stolpertor von Drogba) hat mich vor allen in einer Hinsicht irritiert: Wenger hat nach dem Gegentreffer nicht einmal versucht, durch Einwechslungen ein wenig Fahrt in das höfliche Kurzpaßspiel seiner Mannschaft zu bringen. Während Mourinho "auf den ersten Anschein einer leichten Überlegenheit von Arsenal reagierte, indem er Wright-Phillips und Essien brachte", wie eine englische Zeitung, die den Transferwert dieser beiden Spieler nicht mehr erwähnen muß, heute korrekt schrieb, hatte Wenger keine Reserven auf der Bank, und beließ es also bei dieser Niederlage. Sein Führungsspieler Thierry Henry pflichtete ihm mit einigen markanten Ballverlusten bei.

Sonntag, August 14, 2005

Die lieben Nachbarn

Für Volker und mich begann die neue Saison im Olympiastadion mit einem Dämpfer: Der ältere Herr, der uns vor zwei Jahren durch Zigarrengestank und äußerst unqualifizierte Kommentare aufgefallen war, sitzt heuer direkt neben uns. Er wollte sich auch um ein paar Reihen nach vorne verbessern, wie wir es im Vorjahr schon gemacht hatten, und jetzt haben wir ihn als Nachbarn. Früher hat er zwei schlanke Zigarren pro Match geraucht, dieses Mal hatte er einen dicken Humpen im Mund, als ich kam. Zigaretten halte ich gut aus, aber Zigarren stinken mich an, im Restaurant oder im Stadion. Im übrigen ist die "Familie" mehr oder weniger gleich geblieben. In der Halbzeit gab es sogar ein ganz ordentliches "Trainergespräch", schließlich sind wir alle Falko Götz. Der Coach hatte sehr konservativ aufgestellt, mit Malik Fathi und Gilberto links und Oliver Schröder rechts. Die erste Halbzeit war jämmerlich, die Mannschaft lief kaum, ganz so, als wollte sie nicht akzeptieren, daß diese Spiele künftig ihr Alltag sein werden: das mühsame Bearbeiten eines gegnerischen Blocks. Dick van Burik ging ein, zweimal über die Mittellinie, aber die Anzahl der Bälle, die irgendwo landeten, war sagenhaft. Niko Kovac stellte sich offensiv taub. Wichniarek und Rafael arbeiteten vorne brav, kamen aber nie auch nur in die Nähe einer Chance, weil sie sich in deren Vorbereitung aufrieben. Nach der Pause kam Kevin-Prince Boateng, der mich körpersprachlich stark an Patrick Vieira orientiert, und diese Position irgendwann ja auch beziehen soll - die des Umschlagplatzes, des Abfängers, der den Ball bekommt und ihn sofort ins eigene Spiel zurückbringt - nicht nach drei Beruhigungsdrehungen und vier Schemapässen, wie es unsere Zentrale gern hat. Den Weitschuß, mit dem Oliver Schröder dann erfolgreich war, habe ich später im Fernsehen in einer tollen Zeitlupe gesehen: Die sechs oder acht Hindernisse auf dem Weg hinter die Linie gingen alle pünktlich, also in allerletzter Sekunde zur Seite.












Von einem Duseltor will ich nicht sprechen, denn in so einem Spiel hängt sowieso viel am Glück. Die Hertha sehen viele als ein Team, das kein Glück verdient, und beim Blick auf viele Fans denke ich mir das auch manchmal - so eine übellaunige (und teilweise, let's face it, auf einem Auge blinde) Truppe will ich mir als politisches Wahlvolk schon einmal gar nicht vorstellen. Rechts sitzt ein junger Mann, der eigentlich ein ganz gutes Auge hat, dabei aber das ganze Spiel hindurch in manisch-depressiver Weise laut vor sich hin kommentiert. Ich glaube, Volker und ich werden nächstes Jahr doch einen neuen Sektor riskieren müssen. Ein Blind Date für zwanzig Nachmittage!

Sonntag, August 07, 2005

Systemwechsel



Aus der letzten Spielzeit: Artur Wichniarek hadert










Heute lese ich also zum ersten Mal in der Zeitung, daß Falko Götz vielleicht von dem bisherigen System abgehen will, daß Hertha meistens mit nur einem Stürmer und einem reich besetzten Mittelfeld spielt. Wichniarek und Rafael könnten in Hinkunft einen fast konventionellen Angriff bilden. Damit hätte das blöde 2:2 gegen Hannover gestern vielleicht sogar noch gute Konsequenzen. Denn die Mannschaft muß endlich begreifen, daß sie die Liga nicht mehr überraschen kann. Sie kann nicht Underdog und Topteam zugleich sein wollen. Gestern verfiel sie nach dem 2:0 wieder in den alten Trott, das Spiel bei eigenem Ballbesitz langsamer zu machen. Niko Kovac, dessen Selbstüberschätzung leider durch viel Lob von außen genährt wird, wollte ganz sicher die drei Hannoveraner ein wenig narren, an die er den Ball dann verlor, den er einfach schnell und präzise hätte ins eigene Spiel bringen müssen. Bei Kovac und in der Innenverteidigung, in der unglaublich schematischen zentralen Spieleröffnung also, liegt für mich die eigentliche Baustelle der Hertha. Der Systemwechsel auf zwei Stürmer steht jedoch unter dem Druck der Personalpolitik im Mittelfeld. Kovac und Marcelinho, Gilberto und Bastürk sind gesetzt. Damit fehlt bei einem 4-4-2 rechts ein Platz, denn Friedrich kann nicht ganz allein die Außenbahn bearbeiten, und irgendwann wird man Ellery Cairo wohl eine Chance geben müssen, das Flügelspiel bei der Hertha zu etablieren. Vielleicht wäre die Lösung ganz einfach: Gilberto, der auch in der Selecao links hinten spielt, wechselt auf den Platz von Malik Fathi - dann hätten Marcelinho und Bastürk mehr Platz. Das wäre aber vermutlich eine allzu offensive Konzeption. Die Abkehr vom 4-5-1 wird also wohl nicht von Dauer sein, sondern nur bis zur Genesung von Yildiray dauern. Ich hoffe nebenbei, daß wir bald einmal Kevin-Prince Boateng, den designierten Nachfolger von Niko Kovac, zu sehen bekommen. Das wäre auch gleich ein Generationenwechsel, der durch die Ablöse von Dick van Burik durch Samba nur gewinnen könnte. Ich bin wohl ein wenig ungeduldig.

Samstag, August 06, 2005

Gutes Omen, böses Omen

Wenn Ewald Lienen abergläubisch ist, wird er das als böses Omen nehmen: Vor einem Jahr kämpfte sich Bochum im ersten Spiel gegen eine überlegene Hertha nach 0-2 noch zu einem 2-2. Am Ende der Saison stand der Vfl auf einem Abstiegsplatz. Da sich die Geschichte aber bekanntlich meistens nur als Farce wiederholt, will ich einmal die Unterschiede herausstellen: Heute spielte die Hertha auswärts, und sie war nicht drückend, sondern nur optisch überlegen. Das zweite Tor durch Wichniarek war vielleicht einfach zu schön, um das letzte Wort zu bleiben. Genau das hatte ich mir gewünscht, eine Kombination der beiden Angreifer, die Verwertung einer herausgespielten Chance. Danach ging es um Sicherung des Ergebnisses und schnelle Konter. Dazu hatte die Hertha nicht die Konzentration. Gilberto vergab die Konter, und Niko Kovac suchte im Mittelfeld nicht den klugen Paß, sondern eine Dribbelsituation gegen drei Gegner - den daraus resultierenden Gegenangriff unter den wohlwollenden Augen von Dick van Burik ("The Spectator") konnte nicht einmal Hannover 96 nicht verwerten. Egal. Es wird wieder gespielt. Das zählt. Volker und ich sitzen ab nächster Woche wieder auf den Plätzen des Vorjahrs. Wenn das kein gutes Omen ist!