Sonntag, Februar 27, 2005
Der Schwarm
Ohne Volker und mich gewann die Hertha gestern 4:1 gegen den HSV. Volker war von der Shanghai-Grippe noch nicht wiederhergestellt. Ich blieb daheim, um A. zu helfen, die am Abend einen Catering-Gig in einem großbürgerlichen Haushalt in Kreuzberg 61 hatte. Das Match habe ich im Fernsehen natürlich trotzdem gesehen, mit zunehmendem Staunen über die seltsame Verteilung des Zufalls an diesem Tag. Das erste Tor von Gilberto zum 2:0 war eine so wilde Mischung aus Glück und Können (zuerst legt er sich den Ball zu weit vor, dann bringt ausgerechnet dieser Fauxpas die beiden Verteidiger auf Kollisionskurs, und Gilberto fängt die Kugel mit seinen kurzen Beinen genau dort wieder ein, wo sie einander gerade noch passieren, während Pieckenhagen im Herauslaufen seine Beine öffnet für die Demütigung!), daß ich immer ratloser gegenüber diesem Spiel an sich werde: Klar liegt die Hertha auf Kurs, aber es erzähle mir niemand von der besten Verteidigung der Liga (alle anderen Defensivreihen sind einfach noch löchriger). Gleichzeitig frage ich mich, ob dieses seltsame System, das wir heuer spielen, nicht so sehr Avantgarde ist, daß die Implikationen noch gar nicht vollständig erkannt sind: Hertha hebt den Unterschied zwischen Mittelfeld und Angriff auf, indem die Stürmer einfach abgeschafft werden. Der arme Wichniarek hatte das gestern auszubaden, das Spiel lief am ihm vorbei, gleichzeitig liefen unsere Schwärmer an der Hamburger Defensive vorbei in alle möglichen Löcher. So viel Zuordnung kann ein Trainer gar nicht austüfteln, daß sie gegen Yildiray helfen würde, der seinen Gegenspieler in der 4. Minute in eine laufende Laokoon-Gruppe verstrickte, die als Foul für Hertha gedeutet wurde und zum Freistoß führte. Er ist zweifellos unser Mann der Saison, auch wegen der lustig resignierten (schicksalsergebenen) Miene, die er machte, als er nach seinem Hands vom Platz mußte. Hoffentlich ist er gegen Leverkusen wieder dabei. Falko Götz reagierte nach dem Spiel mit der Ironie, die der Sieger leicht aufbringt, die er aber auch in der Niederlage schon gezeigt hat. Das muß ich noch üben.
Samstag, Februar 26, 2005
Fußballersprache
Ralf Rangnick ist zweifellos der Trainer, der den Fußball als Sprachspiel dominiert. Heute ist in der SZ schon wieder ein denkwürdiger Begriff überliefert, den er zwar nicht erfunden hat, den ich aber lange nicht mehr gehört hatte: Zuviele "Briefträgerpässe" hat die Schalke am Donnerstag gespielt, deswegen ist sie aus dem Uefa-Cup ausgeschieden. Da steckt natürlich eine alte Auffassung von der Zustellung von Postsendungen dahinter, ein Arbeitsethos aus der Zeit, bevor die Post an die Börse ging. Dem Briefträger aus dieser Ära wird retrospektiv unterstellt, er hätte seinen Vormittag in erster Linie damit zugebracht, die Post herumzutragen, ohne am finalen Zustellakt groß interessiert zu sein. Wer jemals in Wien gegen neun Uhr morgens vor einem Beisl so vier, fünf von den kleinen Rollwägelchen herumstehen gesehen hat, mit denen die österreichischen Briefträger arbeiten, weiß, was ich meine. Christoph Biermann hat Rangnicks Begriff launig übernommen und die langen Pässe nach vorne, zu denen Schalke später seine Zuflucht nahm, als "Luftpost" bezeichnet. Auch daraus entstand kein Tor. Meine Zuneigung zu diesen Begriffen liegt in den Anfängen meines Lebens als Fußballfan begründet, als wir noch dem Linzer Athletiker Sportklub LASK anhingen und an Samstagen immer die österreichische Radiokonferenz hörten. Die Heimspiele aus Linz wurden dabei von einem Veteranen namens Manfred Payrhuber kommentiert, der eines Nachmittags ein Tor unseres Teams so zum Ausdruck brachte: "Köstenberger hat eingesendet." Das war, nach dem Einsendeschluß der Kasperlpost, einem sehr leichten Gewinnspiel, an dem wir als Volksschüler eifrig teilnahmen, unsere zweite Erfahrung mit dem Postalischen. Noch heute rufe ich gelegentlich im Olympiastadion, wenn Nando oder Artur ein Tor gelingt: "Artur hat eingesendet." Ein antiquarisches Buch aus den USA, das ich im letzten August bestellt und schon abgeschrieben hatte, ist übrigens letzte Woche ein wenig überraschend doch noch zugestellt worden. Aus Kostengründen hatte ich auf "Luftpost" verzichtet. Dieser Eintrag ist eine Flaschenpost an Rangnick!
Mittwoch, Februar 23, 2005
Weiter Ausschuß
Das Bild von Franz Beckenbauer mit Mütze neben Barehead Stoiber und die Erwähnung des britischen Kommentators, daß der Kaiser gerade von einer Safari zurückgekommen ist, haben mich ein wenig versöhnt mit der traurigen Darbietung von Arsenal heute abend: Der FC Bayern München, zu dem ja auch noch der Experte Boris Becker zu zählen ist, ist immer ein wenig komisch. Darüber kann ich lachen, also muß ich nicht traurig sein. Ich werde trotzdem nicht verstehen, warum die weitaus bessere Fußballmannschaft sich heute so hasenfüßig angestellt hat. Spielverlauf hin oder her. Reyes konnte man die Nervosität und Übermotivation aus dem Gesicht lesen. Arsenal kam nie auf Touren, und so war es für die Bayern-Fans ein befriedigendes, aber kein gutes Match, in dem mir allein Lucio gefiel. Einen wie ihn bräuchten wir - ich sehe Simunic immer nur bei Standardsituationen vorne, aber nie auf die kreative Weise, die wohl nur ein Jesus-Fan so zustandbringt: Lucio macht Glossolalie mit dem Ball. Was noch bemerkenswert war: Franz "Lion King" Beckenbauer hat heute, abgestimmt vermutlich eher mit dem Bürgermeister von Mombasa als mit Uli Hoeneß, eine Abwanderung von Sebastian Deisler angedeutet, oder besser: er hat dem jungen Mann, der dem Megascheck von den Bayern nie gerecht werden konnte, einen Wechsel nahegelegt. Bei Deisler würde ich eine Ausnahme von meiner Regel machen: Er soll - ausgemustert vom FC Bayern - zur Hertha zurückkommen, soll in Hinkunft auf der Position von Thorben Marx spielen, der an die Stelle von Niko Kovac rücken könnte, womit sich unsere Spieleröffnung noch einmal verschärfen würde. Bei Bayern hat heute Kahn das Spiel mit einem weiten Ausschuß eröffnet, sie konnten sich jeden Aufbau ersparen, weil Arsenal sich selbst abgebaut hat. Highbury wird eine andere Baustelle.
Sonntag, Februar 20, 2005
Sonntagsschuß
Diesen Begriff ließ sich niemand entgehen nach dem 1:0 von Stuttgart gegen die Hertha heute abend: ein "Sonntagsschuß" von Cacau entschied dieses Spiel. Man spricht auch vom Tausendguldenschuß. Er fegte über Fiedler hinweg, unter die Latte, in die Hütte. Der Rest war vergebliches Bemühen von Hertha BSC, eine Signatur auf ein Match zu drücken, das der VFB schon nach zehn Minuten abgestempelt hatte. Falko Götz tat gut daran, hinterher zweckoptimistisch aufzutreten - die Mannschaft war intakt, sie kann immer noch den Ball auf kurze Distanz laufen lassen, engmaschiger kombinieren als eine betonierte Defensive es fassen kann, sie kann immer noch aus den unglaublich schematischen Spieleröffnungen der defensiven Zentralisten Simunic und Van Burik die Fahrt aufnehmen, die schnell an den Sechzehner der Gegner führt. Heute kam der Sand im Getriebe trotzdem aus den eigenen Reihen. Auffällig häufig verloren sie den Ball durch Attacken von hinten, vielleicht auch deswegen, weil der Platz nur zwei Drittel dessen zuließ, was die Kreativen können. Was kann man herausstreichen? Erstens: Stuttgart war nicht in der Lage, den tödlichen Konter zum 2:0 zu lancieren, obwohl Götz die interessante Einwechslung Rafael für Kovac (der heute einige Bälle besonders blöd versumperte) vornahm - Thorben Marx rückte nach innen und arbeitete gut. Der Wechsel von Bobic für Wichniarek war nutzlos, das hätte ich vorher gewußt. Zweitens: Das Geschenk der Standardsituationen wurde nicht angenommen, weil Marcelinho die Freistöße aus der Halbposition in der für ihn typischen Gedankenlosigkeit weder gefährlich in das Gewühl noch unhaltbar in das Tor schoß, sondern in den Zwischenbereich, den Hildebrand ohne Probleme beherrscht. Er war heute zerstreut. Falko Götz hat das Gegenteil nur vor dem Spiel behauptet. Vielleicht wird mit einem Samstagsschuß gegen den HSV alles wieder gut.
Donnerstag, Februar 17, 2005
Videobeweis
Auf der Berlinale-Party nach der Premiere von Christian Petzolds Gespenster habe ich mit Ludger lange über den Videobeweis debattiert. Er schlägt eine nachträgliche Evaluierung von Spielen vor, also keine Unterbrechung, sondern Sanktionen erst nach Schlußpfiff. Im Prinzip gibt es das jetzt schon, denn es kommt vor, daß Spieler für Tätlichkeiten gesperrt werden, die während des Matchs ungeahndet blieben. Der Videobeweis, wie ich ihn mir vorstelle, würden den sogenannten vierten Unparteiischen an ein Regiepult setzen, das de facto mit der Live-Übertragung des Fernsehens identisch wäre - denn auch dort stellt man sich dieselben Fragen, auf die er eine Antwort braucht, und das von mir vor einigen Wochen beschriebene, kaum erkennbare, in der Zeitlupe jedoch schon drei Sekunden später als Großaufnahme dokumentierte Hands von Tiago gegen Liverpool würde ohne Verzögerung zu dem Elfmeter führen, der in diesem Fall zu verhängen wäre - bleibt die Frage, wie der Referee auf dem Feld davon erfährt? Er braucht einen Kopfhörer, eine Empfangseinheit in einem Ohr, wie sie bei der Berlinale heutzutage sogar die Platzanweiserinnen schon tragen. Es kann also kein Problem sein, ihn damit auszurüsten. Was soll er in dem Zeitraum tun, den es bis zur Entscheidung des vierten Referees braucht? Es würde einfach weitergespielt werden - generell würde dies bedeuten, daß bei Abseits oder strittigen Situationen im Strafraum nicht so schnell (und manchmal einfach aus Gründen der Unübersichtlichkeit) abgepfiffen würde - der Angriff würde vorgetragen, und hinterher gewissermaßen ratifiziert werden. Das Spiel würde dadurch zuerst einmal schneller werden. Insgesamt besteht aber die Gefahr, daß es sich in kleinere Einheiten auflöst, in Angriff-Ballverlust-Konter oder Angriff-Abschluß-Abstoß/Anstoß, wobei dies weniger mit dem Spiel auf dem Platz zu tun hat, als mit der Fernsehübertragung, denn hier entwickeln sich durch den Videobeweis die offenen Stellen, an denen neue Möglichkeiten der Blitzwerbung, wie es sie mancherorts schon gibt, auftauchen können. Die "heiligen" 45 Minuten ununterbrochener Spielzeit, die der Fußball allen anderen Fernsehsportarten voraus hat, die ihn erst so dramatisch machen, müssen gegen den Videobeweis geschützt werden, der übrigens auch nicht alle Probleme lösen wird: Manches Foul im Strafraum wird immer Ermessensentscheidungen provozieren - ich erinnere nur an Rooney, der im Herbst über Sol Campbell fiel, obwohl der Arsenal-Verteidiger die Absicht erkannt hatte und den Fuß schon wieder zurückzog; es war kein Foul, aber eine Berührung, und Riley entschied sich mit seiner Interpretation für die Heimmannschaft, die ihm an diesem Abend einfach stärker angelegen war. Ausgerechnet bei diesem Spiel, das folgenreich war wie wenige in dieser Saison, hätte der Videobeweis auch nicht viel geholfen. Nächste Woche, wenn Bayern und Arsenal aufeinander treffen, werden wir weiterdebattieren. Das Fest von Gespenster war übrigens voll wie ein Sechzehner bei einem Corner. Für den Live-Auftritt von Tom Ze gibt es aber leider keinen Videobeweis, den habe ich vielleicht nur geträumt.
Montag, Februar 14, 2005
König Artur
Vom "Spiel des Jahres" hatte Falko Götz vor dem Samstag gesprochen. Mir war das übertrieben erschienen, denn jetzt kommen Stuttgart und der HSV. Aber es erwies sich, daß der Coach eine Ahnung hatte: Es war tatsächlich so etwas wie eine Richtungsentscheidung, die Hertha gegen Nürnberg traf - im Prinzip traf Yildiray Bastürk sie allein, aber das reicht ja auch, so funktionieren Mannschaften, sie orientieren sich an ihren Besten oder ihren Schwächsten, je nachdem. Bastürk wollte unbedingt gewinnen, und nach seinem Solo an die Toroutlinie in der 90. Minute, nach dem Paß vor die Beine von Artur Wichniarek, der in der Zwischenzeit die intuitiven zwei Schritte in den leeren Raum gemacht hatte, nach der Verwandlung war die Hertha dort, wo sie noch nicht oft war: in der Peripetie eines Dramas, dessen Regie sie nicht aus der Hand geben wollte. Es war ein unerfreuliches Match auf einem sehr tiefen Boden, der schnelle Spielzüge trotzdem zuließ. Die Aufstellung wirkte wie eine Zerdehnung der ohnehin seltsamen Stammformation - weil Marx fehlte, spielte Dardai neben Kovac, vor ihm Reina als rechter Tank. Links hatte Gilberto, weil Fathi der offensiveren Variante wegen auf der Bank blieb, die ganze Seite allein. Bastürk und Neuendorf teilten sich das Zentrum. Nando blieb unauffällig. Die erste Halbzeit war so einseitig, daß ich die Pause am liebsten abgesagt hätte - denn danach ging es wie so oft anders weiter. Der Faden riß aber nicht durch die kleine Regeneration in der warmen Kabine, sondern durch die Gemeinheiten der Nürnberger - die Verletzung von Simunic traf unsere Säule, und sie entstand aus einer Situation, in der nur ein gehässiger, destruktiver Stürmer noch nachgeht, bei Ballbesitz Hertha und nach einer längst verpufften Offensivanstrengung von Nürnberg. Weitere Fouls trafen den großartigen Yildiray und das innere Gleichgewicht von Neuendorf, der vom 1. FC dreißig Minuten lang für eine gelb-rote Karte präpariert wurde. Der Schiedsrichter tat nichts, um die Situation zu kalmieren. Deswegen wurde bis zur 80. Minute kaum gespielt. Dann kam die Szene mit Dardai, der an der Outlinie noch in der Hälfte des Gegners einen Luftsprung vollführte, statt den Ball einfach über die Linie zu dreschen - der Nürnberger Konter war mustergültig, und dann hatten wir noch 12 Minuten Zeit, um König Artur in Position zu bringen. Ich habe den ganzen Herst über in unserem bürgerlichen Sektor auf dem Oberring dafür votiert, ihm seine Chance zu geben (sehr zum Unverständnis der vielen Cheftrainer neben mir), ich glaube bis heute, daß er ein exzellenter Stürmer ist - aber die Hertha spielt diese Saison mit einem unrunden System, und solange das so effektiv ist, kann Falko Götz machen, was er will. Von mir aus kann er schon nächsten Sonntag wieder ein Spiel des Jahres ausrufen.
Dienstag, Februar 08, 2005
Spätmaschine
Die Berliner Sparkasse rät mir, einen persönlichen Finanzplan zu erstellen. Während ich mir darauf einen Reim zu machen versuche, lese ich von dem Mann, der mein Pseudonym inspiriert hat: Marcelinho. Da ich selber die näheren Umstände nicht recherchiert habe, zitiere ich hier Michael Jahn, nebenbei auch Verfasser eines Standardwerks über die Hertha, aktuell aus der "Berliner Zeitung": "Marcelinho war nicht da. Und er ist auch nicht mehr gekommen. Als Falko Götz seine Profis am Sonntagvormittag in Berlin zur lockeren Übungsstunde versammelte, fehlte der Brasilianer. Allerdings entschuldigt, wie der Verein später mitteilte. Noch in der Nacht zum Sonntag hatten einige Berliner Boulevardzeitungen sicherheitshalber Fotografen in einschlägige Bars geschickt, um vielleicht einen Schnappschuss vom Karneval feiernden Hertha-Profi zu bekommen. Vergeblich. Um diese Zeit weilte Marcelinho längst in seiner Heimat, im fernen Campina Grande im Nordosten Brasiliens. Da sich der Mittelfeldmann im Spiel gegen Bayern München seine fünfte Gelbe Karte abgeholt hatte, war er für das Duell am Sonnabend in Mainz gesperrt. Marcelinho flog aber mit nach Frankfurt/Main, weil ein Termin beim Hauptsponsor in Eschborn zu absolvieren war. Marcelinho schrieb sich bei der Autogrammstunde die Finger wund. Danach hatte ihm der Verein freigestellt, ob er in Mainz bleiben oder lieber sofort nach Berlin zurückkehren wolle. Am Sonnabend noch verneinte bei Hertha niemand die Version, wonach es der Brasilianer vorgezogen habe, nach Berlin zu fliegen. Der Karneval schien zu locken. Es war eine falsche Fährte. Am Sonntag teilte Hertha mit, dass Marcelinho noch am Freitagabend mit der Spätmaschine von Frankfurt aus nach Brasilien geflogen war, 'zur Klärung privater geschäftlicher Probleme', wie Manager Dieter Hoeneß die plötzliche Abreise äußerst vorsichtig umschrieb. Hoeneß befand sich in einer unangenehmen Situation, wie er selbst zugab. 'Ich will die Privatsphäre von Marcelinho schützen, aber ich muss auch eine vernünftige Erklärung abgeben, warum er in seine Heimat geflogen ist.' Am Freitagabend habe Marcelinhos Berater Luiz Taveira den Hertha-Manager angerufen und vom Abflug des Profis, der mit seiner Frau Estela reiste, informiert. 'Ich stecke da nicht drin, wie Marcello seine geschäftlichen Dinge organisiert, aber uns ist ja bekannt, dass er mit Geld nicht besonders gut umgehen kann.' Die Angelegenheit sei jedenfalls wichtig genug, um den Spieler kurzfristig fliegen zu lassen, sagte Dieter Hoeneß. Die Probleme, die Herthas besten Spieler der Saison belasten, seien 'wahrscheinlich in Brasilien entstanden', umschrieb es der Manager. Es darf vermutet werden, dass es um mißglückte Geldanlagen in seiner Heimat geht. Marcelinho wird derzeit von Berater Taveira unterstützt, einem 'sehr seriösen Mann' (Hoeneß). Auf Nachfragen wurde bekannt, dass der Klub Marcelinho auch in der Vergangenheit schon geholfen habe. Hoeneß sagt nicht, ob es sich dabei um Vorschüsse oder Kredite gehandelt hat. Hertha habe seinem Profi auch angeboten, ihm in Berlin einen seriösen Mann zur Seite zu stellen, der seine Finanzen ordnet. Das habe er aber bislang abgelehnt. Fakt ist, dass Marcelinhos Vertrag in Berlin (Laufzeit bis 2007) eine Klausel beinhaltet, die den 'gutmütigen Spieler' (Hoeneß) vor falschen Freunden oder unbedarften finanziellen Transaktionen schützen sollte. Als der Kontrakt aus dem Jahr 2001, der auf Dollarbasis abgeschlossen wurde, schon im August 2002 bis 2007 verlängert worden war, bekam der Brasilianer keine erhöhten Bezüge. Dafür wird im Juli 2006, ein Jahr vor Ablauf, eine Einmalzahlung in Höhe von einer Million Dollar ausgeschüttet. Die ersten Jahre in Berlin hatte Marcelinho ein Dachgeschoss mit mehreren Appartements in der Nähe des Kaiserdamms gemietet, wo er nicht nur die eigene Familie, sondern auch seinen Bruder und viele Freunde aus Campina Grande aushielt. Von rund 30 000 Euro pro Monat an Ausgaben war die Rede. Vor Monaten aber war er umgezogen, nach Westend, noch näher ans Olympiastadion heran - und soll dort nur noch mit seiner Frau und den beiden Kindern wohnen. 'Sein Leben in Berlin ist ruhiger geworden', sagt Hoeneß. In seiner Heimat, im ländlichen Campina Grande im Bundesstaat Paraiba, besitzt Marcelinho ein Grundstück, das etwa vier Fußballfelder groß ist, wie ein Augenzeuge beschreibt. Mehrere Häuser stehen darauf, eine riesige Garage und ein künstlicher See. Sein 200 Quadratmeter großes Wohnhaus soll für europäische Verhältnisse eher spartanisch eingerichtet sein. Ein neues Domizil befinde sich im Rohbau. Manager Hoeneß sagt: 'Wir brauchen Marcelinho, und wir wollen ihm helfen.'"
Sonntag, Februar 06, 2005
Perspektivsieg
Die Schuhe des Fiedler sahen gestern gar nicht nach Fußball aus, sondern eher nach Bowling oder Kricket oder einer anderen dieser Sportarten, bei denen es nicht um die Beherrschung eines Strafraums geht. Das Spiel war dementsprechend nicht höchstklassig, aber die Hertha hat es schön hingekriegt - besonders gefiel mir der Paß von Malik Fathi auf Gilberto vor der Flanke auf Yildiray Bastürk, der den gegnerischen Strafraum beherrschte, indem er nicht zu sehr abhob. Es wird mir noch lange ein Rätsel bleiben, wie Kopfballduelle gewonnen oder verloren werden, welche Mischung aus Intuition und Robustheit erforderlich ist, daß ein Stürmer die zehn Zentimeter näher an der idealen Druckstelle des Balls ist, von der ihn der Verteidiger abdrängen möchte - natürlich spielt Erfahrung und Präsenz eine Rolle, aber das Kopfballtor, das Vieira neulich gegen MeanU gelang, erzielte er aus einem Gedränge, das sonst nur Pressefotografen so bilden, wenn sie Nicole Kidman auf einem roten Teppich sehen. Und es soll mir niemand erzählen, daß Vieira den Ball so kommen sah - er traf mit dem Hinterkopf. Bastürk jedenfalls gewann ein Kopfballduell, das keines war - er war einfach dort, wo der Ball hinkam. Spielintelligenz. Am Abend fuhren die Autokolonnen hupend durch Kreuzberg, vermutlich hat jemand geheiratet, vielleicht war es aber doch Ausdruck einer neuen Identifikation mit der Hertha, und Dieter Hoeneß hätte mit dem Transfer dazu beigetragen, die Parallelgesellschaft aufzubrechen. Yildiray! Langsam muß sich das Team mental darauf einstellen, daß es in diesem Jahr noch interessant werden könnte. Sie müssen eigentlich nur so weiterspielen wie bisher, nämlich konzentriert und unangenehm nahe am Mann schon an der Mittellinie. Nach vorne geht es ohnehin schnell wie der Transrapid (während Rangnicks ICE gerade Verspätungen einfährt). In zwei Wochen, wenn es gegen Stuttgart geht, werden die Weichen gestellt (einmal angenommen, daß Nürnberg sich als bezwingbar erweist) für diesen Frühling. Genug Eisenbahnmetaphern. Neu an der Hertha ist in diesem Spieljahr, daß sie nicht einfach eine Serie spielt, oder einen Lauf hat, sondern ihrer Konstanz jedes Wochenende ein bißchen Gewicht hinzufügt, ohne an Schnelligkeit zu verlieren. Sie macht Fortschritte.
Mittwoch, Februar 02, 2005
Niedertracht United
Als ich vorgestern nach einer seltsamen Filmveranstaltung in der Volksbühne nach Hause kam, und im Teletext die Ergebnisse der Premier League nachsah, war ich ein wenig fassungslos: Arsenal gegen MeanU 2:4. Um Mitternacht lief das Spiel dann in der Wiederholung auf Premiere, und weil es so wild und fast ein wenig wahnsinnig war, blieb ich bis zum Ende dabei. Natürlich glaube ich nicht, daß Arsenal ungeschlagen durch eine zweite Saison gehen hätte können - aber ich bin immer noch der Meinung, daß der Sieg von MeanU im Hinspiel in Old Trafford geschenkt war durch einen Schiedsrichter mit Heimtendenz. Damals riß die Serie, und Arsenal taumelt noch immer. Gestern pfiff Graham Poll, der "beste Referee der Insel", wie der englische Kommentator zwischendurch behauptete. Er hatte gut zu tun, und war nicht immer in der besten Position - ein Elfmeterfoul an Pires nach dem 1:1 durch Giggs hätte er ahnden müssen. Bergkamp schoß dann wenig später doch noch das 2:1 mit einem so trockenen Schuß zwischen die Beine von Carroll, daß die Wirkung bis in die zweite Halbzeit anhielt. Aber eben nicht bis zum Ende. MeanU wußte, daß die Arsenal-Spieler provozierbar sind, und keiner ging unflätiger vor als Wayne Rooney, der Pires verhöhnte, als wollte er sich für ein Remake von Clockwork Orange bewerben - eine ähnlich niederträchtige Form der Arroganz habe ich nur dort gesehen. Arsenal hat das Spiel trotzdem selbst aus der Hand gegeben, durch eine fragile Verteidigung, durch mentale Defizite - das beginnt bei der Körpersprache von Almunia, und endet bei der Unfähigkeit, anders als höchst elaboriert zu spielen. Mit Keane und Rooney haben sich zwei Richtige gefunden, dazu der immer revanchistische Ronaldo - meine Lieblinge sind in Schönheit gestorben. Die Bayern sollten sich trotzdem nicht zu früh freuen.
Abonnieren
Posts (Atom)