Mittwoch, Juni 28, 2006

Achtelfinale 4

Zwei Spiele, die unterschiedlicher nicht sein hätten können: Brasilien gegen Ghana ein einseitiges 3:0, Frankreich gegen Spanien ein 3:1 auf Messers Schneide. Es gab aber eine interessante Gemeinsamkeit: Brasilien und Frankreich nutzten jeweils einmal geschickt das passive Abseits, um einen Kollegen, der noch nicht hinter der Verteidigung stand, loszuschicken. Ronaldo und Ribery ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen. Brasilien nutzte danach auch einmal das aktive Abseits, weil es der Linienrichter übersah. Das passive Abseits stellt die Verteidiger vor ein Problem wie ein Konter in Überzahl - sie haben zu viele Optionen, um sich in der gebotenen Kürze gemeinsam auf die richtigen zu verständigen. Wer noch mitgekriegt hat, wie der vier Minuten vor dem Ende schon ausgewechselte Thierry Henry nach dem Abpfiff den ungeliebten Coach Prof. Domenech geherzt hat, wird den Franzosen jetzt einiges zutrauen - sie spielen sicher nicht gegen ihren Trainer, und sie werden nicht so weit aufrücken, wie Ghana gegen Brasilien es tat. Sie schicken nur gelegentlich Vieira in die Spitze.
Dieter Hoeneß ist mit seiner Prognose eines spanischen Titelgewinns früh widerlegt worden. Er ist nicht nur auf Vereinsebene manchmal ein wenig blauäugig.

Dienstag, Juni 27, 2006

Achtelfinale 3


Die Italiener waren noch am Jubeln, da kam schon die erste Schiedsrichterbeleidigung per SMS: In letzter Minute hatte Totti die Squadra Azzura durch einen dubiosen Elfmeter mit 1:0 über die Australier hinweggebracht. Im Viertelfinale wird Italien auf die Ukraine treffen, die sich im Elfmeterschießen nach 120 Minuten gegen die Schweiz ("Flop Schwyz!") durchsetzte. Angesichts der vier Mannschaften, die heute antreten (Brasilien, Ghana, Frankreich, Spanien), müssen wir über die vier Mannschaften, die gestern dran waren, nicht mehr viel sagen: mit Italien hat sich der programmgemäße Favorit durchgesetzt, ohne in irgendeiner Weise zu begeistern. Sie sind halt da, weil sich eine große Fußballnation nicht einfach von heute auf morgen in Luft auflösen kann. Als kleiner Junge bin ich einfach den vielen Vokalen in den italienischen Namen verfallen: Sandro Mazzola. Boninsegna. Gigi Riva. Das war einmal, und kommt nicht wieder.

Montag, Juni 26, 2006

Achtelfinale 2

Sehr entspannter Nachmittag gestern. David und Simon waren da, ein Deutschland-Schweißband gab es als Gastgeschenk (habe es zwei Minuten probeweise getragen, und jetzt zum Fenster hinausgehängt).
England hat uns nicht gefallen, wird sich aber vermutlich steigern. Das 1:0 gegen Ecuador war lupenrein erikssonistischer Minimalismus. Der "Guardian" schrieb von einem "ugly win". Die Portugiesen, die sich in einem miesen Match gegen die indiskutabel aufgestellten und disponierten Niederländer durchgesetzt haben, werden im Achtelfinale ein unangenehmer Gegner sein, hoffentlich aber eliminiert werden. Boulahrouz hat mit seinem Tritt gegen Ronaldo die Devise ausgegeben, danach war es ein revanchistisches Hin und Her, bei dem der Referee mit dem Gleichmut eines Scheidungsrichters agierte. Das 1:0 durch Maniche in der ersten Halbzeit reichte für den Sieg. Das Achtelfinale 2 unterstreicht mit seinem unangenehmen Beigeschmack den romantischen Sonderweg, den Deutschland bei diesem Turnier gewählt hat.

Sonntag, Juni 25, 2006

Achtelfinale 1


Die ersten beiden Begegnungen sind weitgehend nach Plan verlaufen. Deutschland schlägt Schweden nach 15 Minuten mit 2:0. Argentinien schlägt Mexiko nach 120 Minuten mit 2:1. Der Siegestreffer von Maxi Rodriguez war spektakulär selbst bei einer WM der Distanzschüsse. Überraschend die Dynamik des deutschen Spiels zu Beginn, komplementär überraschend die Bequemlichkeit der argentinischen Spielanlage. Die von unserer Seite zu leistende spezielle "Arnalyse" ist nicht schwierig: Der Kapitän von Hertha BSC benimmt sich in der deutschen Mannschaft nach wie vor wie ein Geduldeter, er drängt sich nicht auf, versieht aber seine Aufgabe im engeren Sinn akzeptabel. Was er kann, zeigt er nicht, weil er gerade nicht weiß, was er kann. Muß eine mentale Sache sein, bleibt letzlich unerklärlich. Der famose Schneider vor ihm ist ihm aber wahrscheinlich einfach zu quicklebendig, als daß Friedrich sich mit ihm in ein Kombinationsspiel begeben würde - so etwas kennt er von der Hertha nicht, weil auch dort die linke Seite besser läuft. Argentinien hat dann am Abend versucht, die Mexikaner mit körperlosem Kombinationsspiel hinter sich zu lassen. Das geht natürlich nicht, wenn der Gegner etwas anderes vorhat. Hat aber am Ende doch geklappt, und enthielt ein, zwei vertikale Pässe, über denen die deutsche Innenverteidigung diese Woche brüten wird wie über einem Koan - einem Zen-Rätsel.

Samstag, Juni 24, 2006

Dritte gelbe Karte




Ein kleiner Comic-Strip mit Graham Poll und zwei Spielern von Hertha BSC. Josip Simunic ist am Donnerstag nach der dritten gelben Karte im Spiel gegen Australien gewissermaßen individuell aus dem Turnier ausgeschieden. Kroatien ist seinen hochfliegenden Ambitionen nicht gerecht geworden - den eitlen Coach Zlatko Kranjcar, weiland ein eleganter Spieler bei Rapid Wien, werde ich sicher nicht vermissen, und Jo Simunic soll froh sein, daß er bei der Hertha schon verlängert hat. Sonst bekäme er jetzt vielleicht auch noch ein Angebot von Red Bull Salzburg, um dort mit Thomas Linke eine Innenverteidigung zu bilden. Die Vorrunde ist vorbei, jetzt warten geschätzte zwölf Klassiker, vielleicht sogar dreizehn (wenn die Australier den Italienern ordentlich Probleme bereiten) oder vierzehn (wenn die Schweiz und die Ukraine sich in einen Rausch spielen und Johann Djourou, der vermutlich Senderos ersetzen muß, sich als das große Talent beweisen kann, als das ihn die englische Presse schon sieht). Die englischen Journalisten haben recht einstimmig Riquelme zum Mann des bisherigen Turniers gekürt, und Fernando Torres zur größten Entdeckung. Klose kannten sie vielleicht schon. Was die deutsche Mannschaft wert ist, könnte sich kommenden Freitag erweisen, wenn Argentinien in Berlin auf sie wartet - diesen Klassikaner will niemand missen, deswegen wird außer vielen Schweden heute niemand für die Schweden sein. England zermürbt sich mit diversen Seifenopern im Trainingslager, verfügt aber über kein System. Zum mutmaßlichen Klassiker Brasilien-Ghana hat der übereifrige, übereitle Dr. Markus Merk aus DDr. Deutschland seinen Senf dazu gegeben, indem er Essien schon in der vierten Minute des Spiels gegen die USA verwarnt und damit aus dem Verkehr gezogen hat (obacht, Verschwörungstheoretiker: die FIFA denkt immer ein Spiel weiter als wir). Zum nominellen Klassiker Frankreich-Spanien haben die Franzosen gestern dem Selectionneur Domenech ein Rätsel aufgegeben, indem sie ohne Zidane viel besser gespielt haben als mit ihm. Togo könnte in vier Jahren noch einmal eine Rolle spielen, die meisten Spieler sind unter 25, der lange Adebayor ist gerade einmal 22 Jahre alt. Portugal habe ich in der Vorrunde praktisch nicht gesehen. Die Niederlande sind eine ungewisse Größe. Arne Friedrich muß heute seine "Ball-Phobie" (SZ) ablegen. Jetzt geht's los.

Donnerstag, Juni 22, 2006

Eviva Espagna!










Gestern war ich, weil es nicht weit von uns ist, zum ersten Mal an einem Ort, an dem Public Viewing stattfindet. Im Lido ganz hinten in Kreuzberg haben 11 Freunde ihre WM-Quartier. Zum Spiel zwischen Argentinien und den Niederlanden war Dieter Hoeneß geladen (im Bild der Parkplatz, den die Jungs ihm eine Dreiviertelstunde lang freihielten), das interessierte mich natürlich auch. Viel kam nicht heraus, das Gespräch war der Verspätung des Hertha-Managers wegen kurz. Immerhin hat er seinen WM-Favoriten genannt: Dieter Hoeneß tippt auf Spanien. Dazu, in Abwandlung der argentinischen Fanparole, die Devise: "Vamos, Espagna, carajo!"

Mittwoch, Juni 21, 2006

System Klinsmann


Für die deutsche Nationalmannschaft konnte ich mich nie so richtig erwärmen. Da bin ich als Österreicher wohl ein wenig negativ konditioniert, denn ich sehe den Engländern viele Spiele nach, deren Qualität ich bei den Deutschen verhöhnt hätte. Bei dieser WM passiert aber etwas, was vielleicht auf die Liga zurückwirken wird: Das System Klinsmann beruht auf einem extrem analytischen Zugang zum Spiel. Die Trainer werden dadurch auch ein wenig zu Volkspädagogen. Das lange Interview von Jogi Löw vorgestern in der Süddeutschen war ein tolles Exempel dafür, wie in Deutschland sonst über Fußball nicht gesprochen und geschrieben wird - nicht von den Kommentatoren, nicht von den Experten (auch das ändert sich allmählich, dank Daum und Klopp), nicht von Clubtrainern (außer wenn sie als "Experten" sprechen), nicht von den Fans. Inzwischen gibt Miroslav "Mirek" Klose in Interviews schon detaillierte Analysen zum Spielstil von Cannavaro - der Trainerstab sucht sich also die intellektuellen Spieler aus, die dazu passen. (Klose neulich auf die Frage, welcher Humor ihm liegt: "Wenn es ein wenig überraschend kommt. Wenn man ein wenig darüber grübeln kann, was gemeint ist.") Die Bundesrepublik ist ein Staat, der von Reflexionsschüben abhing. Jetzt, wo sie in der Politik schon lange ausbleiben, hat einer wenigstens den Fußball erreicht. Das ist schon einmal nicht schlecht, meine Präferenzen bei dieser WM werden mir aber weiterhin vom Stammhirn diktiert. Am Samstag spielt aller Voraussicht nach "uns' Arne" gegen Freddie Ljungberg - ein Duell, bei dem der Kapitän der Hertha zum ersten Mal internationale Klasse beweisen muß.

Donnerstag, Juni 15, 2006

Arne Friedrich


Falko Götz wird sich hoffentlich sein Teil denken, wenn er beobachtet, wie sich Arne Fiedrich verzagt durch die WM quält. Der "Führungsspieler" von Hertha BSC ist in Klinsmanns Team das schwächste Glied. Das hat sich eine halbe Saison lang angekündigt, und Coach Götz hat dazu nicht wenig beigetragen. Das System der Hertha war in diesem Jahr halbseitig gelähmt. Seit Thorben Marx verstoßen wurde, teilten sich der unproduktive Cairo und der zur Mitte strebende Boateng die Aufgaben auf der rechten Seite. Keiner wurde für Friedrich jemals ein richtiger Partner, und irgendwann hat er die Frustration darüber auch öffentlich angedeutet. Dann kamen Finanz- und sonstige Krisen, und der Kapitän mußte das alles brav und loyal durchstehen. Sein Kopfballspiel war die ganze Saison hindurch mäßig, sein Stellungsspiel war auch schon besser, und obwohl er angeblich konsequent die Sonderübungen für die Nationalfitness gemacht hat, haben wir ihn in den Jahren davor spritziger und energischer gesehen als heuer. Da kommt also viel zusammen, und nicht alles wird die Öffentlichkeit wissen. Daß die Hertha ihren Kapitän so ans Nationalteam überstellt hat, wie er dort auftritt, wirkt aber auf den Club zurück, und sollte bei den konzeptuellen Überlegungen für das kommende Jahr jetzt schon eine Rolle spielen. Bei der WM ist für Friedrich noch nicht alles verloren: Das bißchen Bart, das er trägt, werden die Witze über ihn auch bald haben.