Montag, November 28, 2011

Augenhöhenkoller

Coach Babbel hat nach dem 3:3 gegen Leverkusen am Samstag zu erkennen gegeben, dass er das Spiel gar nicht gewinnen wollte. Der Werksclub und CL-Teilnehmer befindet sich mit Hertha BSC nämlich nicht auf Augenhöhe. Das klang vor wenigen Wochen noch ganz anders, als er den BVB durchaus im Beuteschema eines Außenseiterclubs sah, der in dieser Saison mehrfach angedeutet hat, dass mehr drinnen wäre als die 18 Punkte, mit denen Hertha am Tag der Mitgliederversammlung allenfalls sagen kann, im Plan zu sein.

Leverkusen war am Samstag eminent schlagbar, zumindest sechzig Minuten lang, von denen Hertha allerdings mehr als vierzig ohne letzte Hingabe verstreichen ließ. So geriet das Spiel sogar noch auf die Kippe, nur ein Treffer von Lasogga nach Querpass des engagierten Kobiashvili sorgte noch für ein brauchbares Remis, mit dem genau genommen aber alle unzufrieden sein mussten.

"Ich denke, dass es wieder zwei verlorene Punkte waren", äußerte Andreas Ottl anschließend, und das "wieder" verrät den Routinier der verpassten Möglichkeiten. Dabei deutete der Mittelfeldmann erstmals mehrfach an, dass er für Raffael eigentlich einen kongenialen Partner abgeben könnte, wenn er sich nur öfter als dreimal pro Spiel aus seiner diskreten Funktionalität herauswagen würde.

Die Koproduktion Ottl-Raffael-Lasogga beim frühen Führungstreffer hatte echte Qualität (Raffaels Lauf, Ottls Auge und Timing, Lasoggas Wissen, "wo das Tor steht"), das wird aber dadurch negativ aufgewogen, wie Sam viel später beim Stand von 2:2 ungehindert durch ein von Lustenberger eigentlich zusätzlich verstärktes Mittelfeld laufen konnte (ganz so wie Reus neulich auch), um dann Derdiyok dessen dritten Treffer zu ermöglichen.

Mijatovic sah bei allen Toren schlecht aus, er ist deutlich ein Mannschaftsführer auf Abruf, aber es war die generelle Haltung, mit der Hertha nach früher 2:0-Führung den Rest des Spiels (ausgenommen das hektische Finale) betrieb, die dazu zwingt, von einem gewonnenen und nicht von zwei verlorenen Punkten zu sprechen.

Für einen Sieg wäre nämlich ein anderes Spiel notwendig gewesen, ein leidenschaftlicheres, im Kollektiv besser funktionierendes - und vermutlich wäre es auch ein besseres Zeichen von Coach Babbel gewesen, zuerst Ramos und dann erst Lustenberger einzuwechseln. In der Kombination dieser unmittelbar hintereinander folgenden Ereignisse (defensive Massierung - Gegentreffer - später Offensivwechsel - schneller Ausgleich) war zwar keine innere Kausalität zu erkennen, aber eine symbolische Logik: Agieren ist besser als verwalten, und damit hat die Reaktionsmannschaft Hertha so ihre Probleme.

Das wird wohl auch so bleiben, solange Babbel nicht zu erkennen gibt, ob er sich überhaupt für die Entwicklung der Mannschaft über den momentanen vagen Status Quo hinaus interessiert. Solange er hartnäckig und wider jede Fußballerfahrung daran festhält, dass Hertha nur Gegner auf Augenhöhe wirklich fordern darf, ist er ohnehin nicht der geeignete Mann.

Dienstag, November 22, 2011

Carrow Road

Morgen möchte ich aus Anlass des Spiels zwischen Arsenal und Borussia Dortmund ein paar Eindrücke von meiner Fahrt nach Norwich am vergangenen Wochenende geben, hier aber schon einmal das traditionelle Stadionvideo, das ich hier leider nicht einbetten kann (weil Blogger da nicht gerade die besten technischen Optionen bietet), sondern nur als Link anbiete: Carrow Road. Auf Vimeo werde ich allmählich ein Archiv der früheren Stadionfilme anlegen, da gibt es seit dem Besuch in der Allarena vor ein paar Jahren, als Simon diese Tradition etablierte, nämlich schon eine ganze Menge, die zusammenzusuchen doch ein prima Projekt für die Tage zwischen den Jahren ist.

Montag, November 21, 2011

Fadenwurm

Vor ungefähr zehn Monaten war ich in Vélizy in der Nähe von Paris in einen Großeinkauf verwickelt, während ich laufend Textnachrichten von meinem Bruder, dem Wiener, bekam. Arsenal führte damals zur Pause in Newcastle mit 4:0, eine Stunde später bekam ich das kaum zu glaubende Endergebnis: 4:4.

Vorgestern war ich auch wieder auf Informationen aus Wien angewiesen, weil ich in Norwich war (dazu demnächst mehr), und so erfuhr ich, dass Hertha in Freiburg eine halbe Portion des damaligen (wie sich erwies: folgenreichen) Arsenal-Desasters geliefert hat: 2:2 nach 2:0 zur Pause, zwei verlorene Punkte, oder vielleicht doch ein gewonnener nach mehr als durchwachsener Leistung?

Ich habe das Spiel auf Hertha TV nachgeholt, und gewinne nach 13 von 17 Spielen in der Hinrunde den Eindruck, dass man in Berlin irgendwo unterwegs in diesem Herbst versäumt hat, der Saison eine neue, interessantere Definition zu geben. Denn Hertha steht jetzt wieder dort, wo sie schon so oft stand: Sie weiß wieder einmal nicht, wo sie steht.

Die positive Überraschung war doch, dass da ganz offensichtlich sogar mit diesem limitierten Kader angesichts einiger Hochbegabter ein wenig mehr möglich sein könnte, als nur Abstiegskampf. Offensichtlich ließ man aber einer nach außen hin sehr angebrachten Rhetorik der Selbstbescheidung auch nach innen eine Strategie der Selbstbeschränkung folgen, denn die Signatur der letzten Spiele ist doch insgesamt eine der Passivität - und auch der nicht genützten Chancen.

In Freiburg traf Hertha auf einen stark verunsicherten Abstiegskandidaten, dem sie aber in keiner Minute ein Spiel aufzuzwingen versuchte. Es war im Gegenteil ein unstrukturiertes Hin und Her zweier eher planloser Teams, bei dem die Berliner Basics in der ersten Halbzeit ein wenig besser funktionierten: Balleroberung, ein, zwei schnelle Zuspiele in die Spitze, eines davon führte in einer Koproduktion der beiden Berliner Topspieler Raffael (Pass) und Ramos (Lauf und Abschluss, fast eine Kopie des Tors gegen Gladbach) zum Führungstreffer in der 20. Minute.

Vor der Pause fiel nach einem so wohl eher nicht einstudierten Freistoß"trick" noch das 2:0 durch Niemeyer. All das veranlasste Thomas Kraft später, von einem "guten Faden" in den ersten 45 Minuten zu sprechen. Es war aber da schon der Wurm drin. Nach der Pause brachte der Freiburger Trainer Sorg den Offensivspieler Reisinger, über den er zu Recht anschließend sagte: "Er kann ein ganzes Stadion mitreißen." (Wer kann das eigentlich in Berlin?)

Coach Babbel brachte wenig später Lustenberger für Lasogga, und schickte Raffael auf die von Freiburg strategisch entblößte linke Berliner Offensivseite. Die symptomatische Szene des Spiels sah ich um Minute 55, als Kobiashvili an der eigenen Grundlinie Reisinger aussteigen ließ, dann mit dem Ball gut zwanzig Meter ging, das allerdings so inkonsequent und fadenscheinig, dass Reisinger sich den Ball an der Outlinie zurückholen konnte, zu großem Hallo des Freiburger Anhangs.

Diese Zerstreutheit des Berliner Spiels war ein generelles Charakteristikum. Sie war auch zu bemerken, als Flum nach einer Stunde zentral vor dem Berliner Sechzehner in aller Ruhe umständlich einen Seitenwechsel auf Reisinger ansetzen konnte, auf den dieser mit einem gewonnenen Zweikampf und einem satten Schuss in das lange Eck reagierte. Das war der Anschlusstreffer, auf den eine "abartige Energieleistung" (Marcus Sorg) des SC Freiburg folgte, die mit einem Treffer tief in der langen Nachspielzeit belohnt wurde.

Ich will gar nicht wissen (weiß es aber aus guten Berichten von Auswärtsfahrern), wie sich das vor Ort live angefühlt haben muss. Der Berliner Coach ließ es sich anschließend nicht nehmen, auch dieses Spiel "sachlich zu begutachten". Seine Einschätzung, er habe "zwei überragende Torhüter gesehen", muss im Falle von Thomas Kraft immerhin dadurch relativiert werden, dass der Berliner Schlussmann die Probleme in der Spieleröffnung inzwischen sehr weit nach hinten verlegt hat - sie beginnen nämlich häufig schon bei ihm, an seiner Verunsicherung im Spiel mit dem Fuß und generell an seinem Mitspielen wird zu arbeiten sein. Ich hätte gern gehört, was Christian Fiedler beim Verlassen des Badenova-Stadion zu ihm gesagt aus, der Gesichtsausdruck war jedenfalls streng.

Vier Spiele stehen noch aus bis Weihnachten, wenn daraus noch vier Punkte erwachsen sollten, könnte Hertha offiziell zufrieden sein - im Moment aber verdichten sich für meine Begriffe die Indizien dafür, dass Hertha nicht genau weiß, wo sie hingehört. Die Antwort darauf muss der Trainer geben, der gerade so wirkt, als könnte er vor lauter Sachlichkeit den Funken Leidenschaft nicht erzeugen, der seiner Mannschaft eindeutig fehlt.

Freitag, November 18, 2011

Kanarienvogerln

Dieses Logbuch war nun eine Weile verwaist, zu viel war zu tun, zu viele interessante Dinge, um mich in einer Länderspielpause unbeirrt ausführlicher mit den Alltäglichkeiten von Hertha zu befassen.

In der Sache der Vertragsverlängerung von Coach Babbel merke ich bei genauerer Überlegung, dass ich da durchaus ambivalent bin, mich also ein wenig zum vernünftigen Standpunkt motivieren muss: Ich weiß, dass er im Moment der beste Trainer für Hertha ist, und dass er auf jeden Fall weiterarbeiten sollte. Aber ich merke auch, dass mir die letzte Begeisterung fehlt, weil ich den Eindruck habe, dass er in den entscheidenden Bereichen des Spiels, dort, wo es um "die Wurst" geht, mit seiner gelebten Distanz manches Potential ungenützt lässt.

Ein Trainer sollte nie den Eindruck erwecken, dass er im Geist anderswo ist, bei Babbel kann man diesen Eindruck manchmal durchaus haben. Ich gehe aber davon aus, dass bei der Mitgliederversammlung eine Vertragsverlängerung um ein Jahr bekanntgegeben werden wird, alles Weitere wird sich weisen.

Hertha fährt an diesem Wochenende nach Freiburg, ich fahre nach England. Kann das Spiel also erst Sonntag im Netz anschauen. Neulich war ein Freund da, mit dem ich Gladbachs Auftritt im Breisgau gesehen habe, das Spiel müsste Hertha eine Warnung sein: Freiburg traf eher zufällig zum 1:0, und spielte dann mit tiefem Stand wie die Heim-Hertha den knappen Sieg nach Hause.

Ich mache an diesem Wochenende eine literarisch inspirierte Reise. Arsenal spielt gegen die heuer wieder einmal in die EPL aufgestiegenen "Canaries" in Norwich, eine Stadt, in die ich immer schon einmal wollte, seit ich die Bücher von W.G.Sebald gelesen habe. Es wird ein kurzer Ausflug, bei dem ich auch noch in London Station machen werde, um mir eine Ausstellung von Tacita Dean anzuschauen. Thema: Film.

In den nächsten Wochen wird Fußball dann wieder stärker ins Zentrum rücken, und eine Karte für das Pokalspiel vor Weihnachten habe ich natürlich auch längst. Das soll dann für manches Hertha-Match entschädigen, das ich in diesem Jahr nur in einer Aufzeichnung sehen kann.

Sonntag, November 06, 2011

Unachtsamkeiten

Pünktlich bin ich gestern in den schönen Berliner Herbst zurückgekommen, um am Nachmittag in aller Ruhe ins Stadion zu fahren, wo Borussia Mönchengladbach zu Gast war. Das ist eine Begegnung, bei der eine klassische Bundesligamannschaft gegen einen Berliner Verein antritt, der an diesem Tag dann immer wieder daran erinnert wird, dass es hier unrühmlichere Traditionsbrüche gab als nur die schweren Zeiten, die Gladbach seit den siebziger Jahren mehrfach durchzumachen hatte.

Aber Hertha vermittelt ja auch sehr gut das Gefühl eines neuen Neubeginns nach dem Jahr in Liga zwee und dem Wiederaufstieg, und die Borussia hat im Vorjahr gerade noch eine ganze Spielzeit im Sauerstoffzelt zugebracht, aus dem sie in diesem Jahr dann allerdings mehr als gestärkt entlassen wurde.

Zudem hat sie nun den Trainer, auf den Hertha einst große Stücke setzte, die er hier dann doch nicht erfüllen konnte. Lucien Favre hat die Pause sichtlich gut getan, er schickt sich gerade an, den Coup mit Hertha aus dem Jahr 2008/9 zu wiederholen - die Parallelen zu der Gladbach-Geschichte in diesem Herbst sind unübersehbar.

Im Olympiastadion bei idealen Bedingungen war es dann aber Hertha, die das Spiel bestimmte. Eine halbe Stunde lang hatte Gladbach kaum etwas zu vermelden, ein Ball, den Dante in der 26. Minute ins Toraus vergeudete, war symptomatisch für die Ratlosigkeit der Borussia, die da schon durch einen Treffer von Ramos (Ottl gewinnt ein Kopfballduell, der Ball kommt zur Raffael, der schiebt perfekt auf den clever laufenden Kolumbianer, der Ter Stegen diagonal tunnelt) in Führung lag.

In Minute 32 muss Hertha sich schon ein wenig zu sehr in Sicherheit gewiegt haben, denn da gab es eine Situation, in der mehrfach die Antizipation fehlte: der Ball kam zu Hermann, und während eine ganze Reihe von Spielern sich noch zu orientieren versuchen, läuft Reus schon los, gibt Hermann so die Möglichkeit, Lauf und Pass genau zu justieren, während Maik Franz sich immer noch auf den Ball orientiert, und Reus nicht ernst genug nimmt.

So entsteht fast eine Kopie des Ramos-Treffers, mit dem Unterschied, dass dieser viel schwerer zu verteidigen war, weil er auf einer Balleroberung beruhte, während Gladbach beim Ausgleich eine klassische Spieleröffnung genügte, um die Hertha-Defensive zu überwinden. Es war die Szene, die das ganze Spiel kippen ließ, denn danach fand das Team von Coach Babbel nie mehr jene Initiative, die es die erste halbe Stunde gezeigt hatte.

Franz rächte sich an Reus mit einem üblen Foul, sah dafür nicht einmal gelb, in der zweiten Halbzeit legte der blonde Borussen-Genius noch den Siegestreffer nach, nachdem Mijatovic einen Kopfball vermasselte, der die ganze Defensive ins Chaos stürzte - das war dann "ein Fehler zu viel", wie Niemeyer das später in einem Interview formulierte.

Hertha spielte die letzte halbe Stunde gegen einen Rückstand an, den Borussia dann mit einer souverän hohen Linie und beständigem Pressing gegen die zunehmend verlegener werdenden Mijatovic und Franz verwaltete. Coach Babbel tat der Sache auch keinen Dienst, indem er Lasogga aus dem Spiel nahm und den wirkungslosen Torun brachte. In der 83. Minute opferte er sogar Ottl, der wie immer gar nicht schlecht gespielt hatte, aber nichts zusetzen konnte oder wollte, als es darauf ankam.

Für meine Begriffe war das eines dieser typischen Fußballergebnisse, die keineswegs zwingend zustandekommen, aber doch etwas Bedeutsames zeigen. Die Borussia war nicht eigentlich besser, aber auf längere Sicht des Spiels das integriertere Team, während Hertha zunehmend Schwierigkeiten hatte, den Ball nach vorne zu bringen.

Ich hätte so gewechselt: Ebert für Rukavytsya (wie Babbel auch) um die volle Stunde, um die 70. entweder Ben-Hatira oder aber Lustenberger für Ottl. Lasogga hätte ich weiterspielen lassen, solange er irgendwie Luft hatte, denn er ist derjenige, der manchmal aus Situationen etwas herausholt, in denen gar nichts drinnen zu sein scheint. Wie auch Marco Reus, der gestern eine Gelegenheit sah, die noch gar nicht bestand - und sie so hervorzauberte. Hertha unterlag also einem Magier, und das ist vielleicht gar nicht so schlecht, denn mit 19 Punkten wären wohl die Illusionen zurückgekehrt. Dass es aber nicht einmal zu einem Remis reichte, tat dann doch ein bisschen weh.