Sonntag, Oktober 30, 2005
Kondition sine qua non
Jetzt haben die Medien endlich ein Thema, das über das einzelne Spiel hinausgeht: Wird in Deutschland zu wenig trainiert? Haben die hiesigen Kicker nicht die Luft für 90 internationale Minuten?
Der Fernsehnachmittag gestern gab dazu deutliche Hinweise. Zuerst sah ich Arsenal gegen Tottenham antreten. In einem unerhört physischen Match konnte Wengers Team nur mit äußerster Mühe ein Unentschieden behaupten. Dabei war (in den Zeitlupen und Großaufnahmen) den Spielern aus dem Gesicht zu lesen, wie sehr sie beansprucht waren, aber auch, wie sehr sie sich daran inspirierten. Danach spielte Hertha auswärts gegen Stuttgart, und mußte sich dort auch deswegen mit einem 3:3 begnügen, weil sie die erste Halbzeit nach dem frühen Führungstreffer recht tatenlos verstreichen ließ. Dabei genügt doch ein Blick auf unser Torverhältnis in dieser bisherigen Saison, um jede Mär von einer sicheren Defensive sofort zu widerlegen: 18:16 nach 11 Spieltagen deutet nicht auf ein Spitzenteam, sondern auf das Mittelfeld, das Schalke nun anführt. Cacau konnte gestern eine lupenreine Kopie seines Weitschußtreffers vom letzten Jahr anfertigen. Ludger und ich vor dem Fernseher sahen den Treffer circa zehn Sekunden kommen, und ich bin mir sicher, daß Dick van Burik sich auch beim Mitlaufen gedacht hat: Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Super war dann das 2:2 von Rafael, ein Paß, wie es ihn eigentlich nur noch beim Tischfußball (öst. "Wuzeln") gibt, gerade in den Angriff, zwischen den beiden Reihen hindurch, die gerade nach ihrer Abstimmung beim Verschieben suchen. Super auch das 3:2 durch Marcelinho, nach Flanke von Malik Fathi! Tolpatschig gleich darauf Jo Simunic, der Gomez von hinten so dicht auf dem Leib rückt, daß der Gegner geradezu suggeriert kriegt, wie er sich drehen muß, um in Schußposition zu kommen. Simunic, der Sensible, ist immer noch ein wenig patzig, seit Marcelinho die Nationalspieler kritisiert hat. Die Mannschaft spielt in dieser Saison recht beständig unter ihrem Potential - das liegt an der Einstellung, und vielleicht auch ein wenig an der Fitness, also daran, daß der Spieltrieb noch mehr Körper bekommen muß.
Freitag, Oktober 28, 2005
Wiener Nachlese
Als Hertha vorgestern in der 2. Runde des DFB-Pokals eine anscheinend recht fügsame Borussia Mönchengladbach mit 3:0 besiegte, saßen wir gerade im Flugzeug. Wir waren auf dem Heimweg aus Wien, wo wir zwölf Tage bei der Viennale zugebracht hatten, dem jährlichen Filmfestival. Ich werde also vielleicht niemals sehen, wie Malik Fathi sein Tor bejubelt hat. Die beiden anderen Siege während unserer Abwesenheit hatte ich zumindest teilweise mitgekriegt - das 1:0 in Göteborg gegen Halmstads BK im Uefacup sah ich in unserem Hotelzimmer, weil es auf DSF (dem Archipel Gulag des Live-Fußballs) zu sehen war; das 3:1 gegen Mainz in der Liga sahen wir in der angestammten Premiere-Sportbar im Ringstraßenhotel Marriott - auf den dutzendfach herumhängenden Schirmen war von der Hertha nur selten etwas zu sehen, zudem versäumte ich alle drei Tore, ich konnte sie aber spätnachts in der 3SAT-Wiederholung des Aktuellen Sportstudios noch erwischen, und war vor allem über Pantelics Hacke und über Maliks Flanke ziemlich glücklich. Aber nicht nur die Hertha sorgt für Ereignisse in diesen Tagen. Die Fitness-Debatte (die ausgerechnet durch ein Interview von "Sense" Hollerbach an Intensität gewann), die Verhandlungen über die Fernsehrechte (bei denen die anscheinend zu allem bereite DFL sogar über die Wiedereinführung von Relegationsspielen nachdenkt), die "Krise" der Premier League (der zudem eine übergeschnappte Wettbewerbskommissarin aus Brüssel im Nacken sitzt), das spannende, weil deutlich über das deutsche Karussel hinausweisende Sammer-Interview im Kicker - all das hat mich in den letzten Tagen interessiert.
Sonntag, Oktober 16, 2005
Schlechter Film
An diesem Wochenende, an dem ich nach Wien zum Filmfestival gefahren bin, an dem ich mir die Konferenzschaltung in irgendeiner Premiere-Bar gar nicht erst angetan habe, gestern und heute also haben sich alle meine Lieblingsmannschaften ein wenig ins Mittelfeld zurückfallen lassen. Hertha in Deutschland, Arsenal in England, Rapid in Wien: drei Niederlagen, drei Dämpfer, drei Korrekturen. Mein Freund und Kollege Jan aus Bielefeld hinterließ Samstagnacht noch eine Nachricht auf meiner Mailbox, nicht wissend, dass ich das 3:0 seiner Mannschaft über die Hertha ja nicht gesehen hatte. "Diese Niederlage wird die Hertha nicht aus dem Konzept bringen, für uns ist dieser Sieg aber kaum zu bezahlen." Damit hat er recht, der Jan, obwohl ich nicht glaube, daß er das so znyisch gemeint hat, wie es in Wahrheit ist. Das Konzept der Hertha ist, daß sie sich selten richtig konzentrieren kann. Der Coach hilt ihr da nicht weiter, der redet immer nur von der individuellen Qualität, und verdrängt die kollektiven Mängel. Ich widme mich jetzt einmal bis Donnerstag dem Kino, dann sehe ich mir das Uefacup-Match an, und dann werden wir alle sehen, ob sich die Hertha weiterhin fühlen will wie in einem schlechten Film, oder ob sie begreift, daß sie ja selber mitspielt.
Donnerstag, Oktober 06, 2005
Lebensdauerkarte
Heute habe ich "Fever Pitch" gesehen, den neuen Film der Brüder Farrelly, für die ich viel übrig habe. Das Buch von Nick Hornby mag ich gern, obwohl mir dieser Autor sonst nichts bedeutet. Der Film spielt nun aber in den USA, deswegen ist nicht mehr Fußball die Leidenschaft, um die es geht, und Arsenal das Team, auf das der Held fixiert ist - vielmehr geht es um Baseball und die Boston Red Sox, das ewige Loser-Team, das kurz vor der Präsidentenwahl zwischen Bush und Kerry sensationell die World Series gewann. Es gibt im Film eine Szene, die mich sehr amüsiert hat. Der junge Mann, in den sich das von Drew Barrymore gespielte Mädchen verliebt, hat von seinem Onkel zwei Dauerkarten geerbt - so ist das im Baseball, man denkt in Äonen. Vor der Saison gibt es die große Auktion: Wer darf mit zu welchem Spiel, wer bietet am meisten für die Spiele gegen die Yankees (Baseballs Bayern München), wer sitzt wann neben dem glücklichen Lebensdauerkartenbesitzer? (Sie kommen übrigens als Abreißblock, ungefähr wie die Dauerkarten der BVG.) Auf dem Höhepunkt des Films, als es um die Entscheidung zwischen Team oder Mädchen geht, wechselt das Abonnement um ein Haar den Besitzer - für 125.000 Dollar! Unter der Hand. Aus Liebeskummer. Neulich habe ich versucht, online für Highbury eine Karte zu bestellen - ohne Silver oder Gold Club Membership sieht es schlecht aus, und diese Memberships werden nur frei, wenn jemand zurücktritt. Ist ein wenig wie in Bayreuth. Oder wie in Boston. Einen wichtigen Unterschied gibt es in "Fever Pitch" noch: Baseball wird vom Frühling in den Herbst gespielt, die Saison beginnt, wenn es schön wird, und endet dann, wenn man sich warm anziehen muß. Der Fan führt also ein Winterleben und ein Sommerleben. Mir ist die Berliner Dramaturgie lieber: die Fans ziehen sich warm an, durchschreiten gemeinsam den Winter, wenn der Frühling kommt, kommt auch die Entscheidung! Und die Sommerpause ist kurz. Gerade lang genug für die Zustellung der neuen Dauerkarte.
Sonntag, Oktober 02, 2005
Oktoberfest
Ich schätze, das waren die beiden wichtigsten Spieler gestern bei Hertha-Werder: Borowski und Bastürk. Es war ein tolles Match, ging wild hin und her, hatte viele Szenen, und ging schlecht aus für Berlin. Dafür gibt es mehrere Gründe. Natürlich hätte die Hertha das 2:0 machen müssen, entweder nach dem tollen Paß auf Pantelic (der nicht abseits war) oder nach dem Foul an Bastürk (das er sich holte, das aber keine Schwalbe war, schließlich kam Reinke mit beiden Beinen auf ihn zu, und er hätte dafür eine rote Karte bekommen können, wenn Referee Wagner bei Attacken auf Bastürk nicht schon die ganze Zeit immer nur weitergewunken hätte). Natürlich hätte sie auch das 1:0 über die Zeit bringen können, allerdings nicht, indem der Coach in der 80. Minute den einzigen Stürmer (in dieser Phase von mir aus: den einzigen Ballverschlepper) auswechselt und den unerfahrenen Samba bringt, der dann auch den Ball in den Volley von Borowski köpfte. Die Niederlage tut deswegen weh, weil sie der Mannschaft die Möglichkeit gibt, sich als Opfer zu sehen. Ich hoffe, sie hält sich damit nicht auf. Denn Selbstmitleid ist eine Eigenschaft, die Hertha BSC schon fast überwunden hat. (Bei der Selbstüberschätzung dauert das noch eine Weile.) Borowski, der hier eine tröstende Geste für Bastürk übrighat, hat später im Interview eiskalt das Foul von Reinke in Abrede gestellt, und Yildiray generelle Fallsucht unterstellt. Für mich war das gestern ein Oktoberfest, das einen unangenehmen Nachgeschmack hinterläßt.
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