Sonntag, April 05, 2009

Erbmaterial

Als ich gestern nach Hause kam, gab es auf Premiere ein Match zu sehen, das der Trainer auch als Schulbeispiel verwenden könnte: Der FC Liverpool spielte beim FC Fulham, schon ein Unentschieden wäre ein schwerer Rückschlag im wilden englischen Titelrennen gewesen. Schon in der ersten Halbzeit schossen die "Reds" viermal an den Pfosten, in der zweiten Halbzeit sah es dann phasenweise so aus, als würde sich der heuer schon legendär gewordene Behauptungswille von Fulham auch hier gegen alle Versuche von Liverpool bewähren.

Es war schon kaum mehr auszuhalten, wie oft der Ball um ein paar Zentimeter am Tor vorbei ging, oder ein Stürmer die sichere Einschussgelegenheit um Haaresbreite verfehlte. Aber Liverpool hat sich in den letzten Wochen auch zu einem Modell an Willenskraft entwickelt, sie versuchten es unverdrossen, und in der zweiten Minute der Nachspielzeit gelang Benayoun der entscheidende Treffer. Die Reporter sprachen danach von einem "defining match", und genau bei diesem Begriff musste ich unweigerlich an Hertha denken.

Denn das, was Liverpool gestern zeigte, ist die einzige Zukunft, die sie sich setzen kann: Zu akzeptieren, dass Fußball irgendwann nicht mehr darin bestehen kann, eine Halbzeit einmal abzuwarten, was der Gegner denn so vorschlägt. Sondern dass es darum gehen muss, notfalls hundert Minuten zu versuchen, die eine Lücke zu finden, die sich im dichten Verkehr findet. Und dabei immer als gesamte Mannschaft die Ordnung zu bewahren, sie jedoch nicht zum Selbstzweck werden zu lassen.

Die Hertha hatte gestern auch die Chance zu einem "definierenden" Spiel, auch nach dem 1:2 hatte sie noch alle Chancen, aber sie hatte nicht das Personal, und große Teil des Personals hatten nicht die Form, nicht die Nerven und nicht den Willen, die Titelambition, die ihr von den Rängen aufgedrängt wurde, auch selbst zu zeigen. Liverpool hatte in dieser Saison auch dürftige Phasen, und ich weiß, wie sehr es häufig auf den Moment, auf das Momentum ankommt. Aber mir imponiert das Ethos dieser Mannschaft.

Die Hertha hat natürlich mit Situationen wie der von gestern keine Erfahrung, deswegen sehe ich das wie der Coach als Teil einer (langen) Entwicklung. Sie dürfte viel länger werden, als uns allen lieb ist, denn es geht darum, ein Erbmaterial für die Mannschaft zu schaffen, das über die individuellen Spieler hinausgeht. Eine Substanz, so mysteriös und doch so konkret wie das Ethos des FC Liverpool.

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