Sonntag, Dezember 30, 2007

Hässlicher Sieg

Arsenal wird als Tabellenführer der Premier League ins neue Jahr gehen. Voraussetzung war die Niederlage von Manchester United gestern bei West Ham United, und ein 4:1 im Goodison Park gegen Everton. So klar dieses Ergebnis aussieht, so wenig entspricht es den Gegebenheiten. In der ersten Halbzeit war Arsenal beschämend schwach, erst nach der Pause konnte Eduardo mit zwei Treffern, die ziemlich aus heiterem Himmel fielen, die Wende einleiten. Simon schrieb gleich eine Textnachricht: "Einer wie Torres". Eduardo ist ähnlich eiskalt vor dem Tor, er muss nur die Gelegenheit bekommen, sich dorthin durchzuspielen, er braucht also einen Ball in den Fuß. Arsène Wenger ließ nach dem öden 0:0 in Portsmouth am Boxing Day einige Spieler pausieren: Eboué, Rosicky, Adebayor. Stattdessen spielte Abou Diaby auf links, mit Bendtner und Eduardo war zum ersten Mal wieder eine Doppelspitze nominiert. Wenn Arsenal aus der Stadt hinaus muss, in eine der kalten Städte der Insel wie Middlesbrough, Birmingham oder gestern eben Liverpool, dann wird das in England immer als Männlichkeitstest für ein Team mit Flair, aber Testosteronmangel begriffen. Inzwischen scheinen die Buben das selber so zu sehen. Gestern wurde kaum gespielt, stattdessen setzte Arsenal sich irgendwie durch. Der von mir geschätzte Abou Diaby bot eine besonders naive und inferiore Leistung, aber auch der große Fabregas fiel in erster Linie durch Agitation und Dramatik auf - eine rote Karte gegen Arteta "erspielte" Fabregas, nachdem ihn der Unterarm des Gegners im Gesicht getroffen hatte, durch eine Sterbeszene wie aus Winnetou III. Ich bin natürlich, wie die meisten Kommentatoren, von diesem Adoleszenzepos fasziniert: Gestern gab es eine Szene, in der Fabregas und Flamini wie zwei Halbstarke auf Cahill losgingen (der vor dem Spiel ein wenig gestichelt hatte und seit Wochen in guter Form ist) - dich kriegen wir noch, war die Botschaft. Da führten sie schon 3:1, und wähnten sich sicher. "Winning ugly", ist der englische Fachausdruck, "hässlich gewinnen". Schon nach dem Sieg gegen Chelsea machte das Wort die Runde. Arsenal hat früh in der Saison einige grandios elegante Siege erspielt, seit einigen Wochen aber sind sie die "colossal youth", halb Monster, halb Memme, schon beinahe durchschaut, aber immer noch einschüchternd. Tolle Saga.

Dienstag, Dezember 25, 2007

Gottvertrauen

Pünktlich zum Weihnachtsfest verrät die "MoPo", dass Arne Friedrich gläubiger Christ ist. Mehr noch: während der für ihn schwierigen WM 2006 hielt er sich mit einem Vers aus dem Markus-Evangelium über Wasser. "Alles ist möglich für den, der glaubt." Ist das nun Mentaltechnik oder richtig Religion (wenn man diesen Unterschied überhaupt noch machen will)? Ein weiteres Zitat des Hertha-Kapitäns verrät, dass er mit einschlägigen Idiomen offensichtlich besser vertraut ist, als ich erwartet hätte: Er ist überzeugt, dass Gott "einen Weg für mich hat" (die rechte Außenbahn, und zwar ein wenig mutiger, wenn es nach mir geht). "Wir müssen nichts Besonderes leisten oder erreichen, um sein geliebtes Kind zu sein." Sport ist nun aber ein Bereich, in dem es darum geht, immer etwas Besonderes zu leisten oder zu erreichen. Auf dem Feld sind alle Heiden, da können sie hundertmal Jesus auf dem Unterleiberl tragen. Ich kann mir nicht helfen, aber das Glaubensbekenntnis von Arne klingt für mich zu defensiv, und das meine ich nicht spieltaktisch. Die Hertha könnte einen neuen Kapitän gebrauchen - nach dem Motto: Selbstbewusstsein statt Gottvertrauen.

Sonntag, Dezember 23, 2007

Hintersinn

Die Hertha hat in der Hinrunde 1,09 Punkte pro Spiel gemacht, ein schwacher Wert, schwächer als in allen anderen Saisonen seit dem Aufstieg. Das Wort zum Sonntag (und zu diesem Faktum) kommt von Werner Gegenbauer, Vorsitzender des Aufsichtsrats von Hertha BSC: "Mich interessieren diese nach hinten gewandten Statistiken gar nicht." Das ist nicht nur sehr schlechtes Deutsch, sondern auch schlechtes Denken, denn die "nach hinten gewandten Statistiken" sind das Material, mit dem der (nach vorne gewandte?) Dreijahresplan abzugleichen ist, von dem Gegenbauer unbeirrt spricht. Sein Desinteresse für Statistiken gleicht dem eines Wirtschaftsführers, der über eine schlechte Jahresbilanz einfach hinweggeht, weil er nach vorne eine Vision hat. Die Zeit macht aus Visionen aber wieder Statistiken, und wenn Gegenbauer so weitermacht, wird ihn irgendwann die faktische Hertha nicht mehr interessieren, sondern nur das verschwommene Bild, das er von ihr hat.

Samstag, Dezember 22, 2007

Ghetto Superstar

Die wunderbare Weihnachtszeit mit gut zwanzig Übertragungen aus der Premier League in gut einer Woche begann gut: Arsenal setzte sich gegen Tottenham im Nord-London-Derby mit 2:1 durch. Tore durch Adebayor und Bendtner, Gegentreffer durch Berbatov, Almunia hielt einen Elfer von Robbie Keane, Lehmann musste anerkennen, dass sein Rivale auch Spiele für die Mannschaft gewinnen kann. In der Startformation von Tottenham: Kevin-Prince Boateng auf der "Dardai-Position". Er spielte so, wie ich es aus Berlin noch gut in Erinnerung habe: nicht übermäßig engagiert, aber ballsicher und mit Gespür für den Raum. Die konservative Spielanlage war sicher auch den Anweisungen des Trainers geschuldet. In der ersten Halbzeit wäre der "Ghetto Superstar" aus dem Wedding (die englischen Tabloids!) fast berühmt geworden, als er eine Banane über Almunia in die lange Ecke probierte. Es fehlten wenige Zentimeter. Nach der Pause erwachte Arsenal ein wenig aus der Lethargie, ging in Führung, und setzte sich auch in den Zweikämpfen durch. Da war von Boateng dann das zu sehen, was wir auch schon kennen: rüdes Einsteigen, dafür die gelbe Karte, worauf Juande Ramos ihn prompt durch Huddlestone ersetzte. Trotzdem kann der Prinz den Nachmittag als Erfolg verbuchen: während seine ehemaligen Kollegen im Niemandsland der deutschen Tabelle überwintern, tritt er in der besten Liga der Welt allmählich in Erscheinung.

Donnerstag, Dezember 20, 2007

Scouting

Vom Leverkusener Auftritt am Züricher Letzigrund habe ich mir gestern nur die erste Halbzeit im Nilkreuzfahrtensender DSF angesehen. Wollte Raffael in Augenschein nehmen, bekam aber nicht viel zu sehen außer technische Ansätze. Was er gestern zeigte, war typischer Nadelöhr-Fußball - auf winzigem Raum kann er eine Menge, der Raumgewinn hält sich aber auch oft in Grenzen. Immerhin spielt er manchmal ähnlich intelligent ab wie Pantelic, und geht weite Wege. Er würde das Spiel sicher nicht so an sich vorbeiziehen lassen wie Lima, und Pantelic könnte ihm die Räume schaffen, die er braucht. Für ein 4-2-3-1 ist er sicher nicht geeignet, es sei denn, Favre zieht ihn auch für die linke offensive Außenposition in Erwägung. Wird er gekauft (was sich anscheinend abzeichnet), dann bleibt doch die Hauptfrage der Hertha weiterhin zu beantworten: Wie bastelt sie aus Mangelvalenz ein flexibles Vierermittelfeld?

Mittwoch, Dezember 19, 2007

Stammbuch

Arsène Wenger bastelt weiter an seinem Ruf als Sentenzenmeister des Fußballs. Gestern konnte er sich über ein 3:2 seiner Buben im Carling-Cup-Match bei den Blackburn Rovers freuen. Diaby und Eduardo sorgten für eine schnelle Führung, vor der Pause schaffte Santa Cruz noch den Anschlusstreffer, später glich der frühere Bayern-Spieler, der auf der Insel viel regelmäßiger spielt und trifft, sogar aus. In der Verlängerung, da war Arsenal nach einer roten Karte gegen Denilson schon dezimiert, schoss wieder Eduardo den Siegestreffer. Den Ablauf charakterisierte Wenger so: "When our football didn't speak anymore, we had to give something else: character." Dies auch den Herthanern ins Stammbuch zu Weihnachten. Der Vollständigkeit halber, und weil einige Namen dabei sind, die wir uns schon einmal merken können, hier noch die Aufstellung von Arsenal: Fabianski. Hoyte-Song-Senderos-Traore. Diarra-Denilson-Randall (Barazite)-Diaby. Bendtner-Eduardo (Gibbs).

Sonntag, Dezember 16, 2007

Ebbe und Flut

Gestern war "Super Sonntag" in der Premier League, die vier Spitzenteams traten gegeneinander an. Zuerst setzte sich Manchester United mit 1:0 in Liverpool durch, dann schaffte Arsenal das gleiche Ergebnis im Emirates Stadium gegen Chelsea. Wie intensiv umkämpft diese Matches waren, zeigt ein Eintrag aus dem Live-Ticker des Guardian aus der zweiten Halbzeit im Emirates. "52 mins: Ebb. Flow. Ebb. Flow. Loose pass. Tackle. Shank. Loose pass. Miscontrol. Throw-in. Hoof. Tackle. Whistle. Whinge. Pointless sprint. Pass. Tackle. Shank. Ebb. Flow. Ebb. Flow. Loose pass. Tackle. Shank. Loose pass. Miscontrol. Throw-in. Hoof. Tackle. Whistle. Whinge. Pointless sprint. Pass. Tackle. Whistle. Whinge. Shank. Ebb. Flow. Ebb. Flow. Loose pass. Tackle. Shank. Loose pass. Miscontrol. Throw-in. Hoof. Tackle. Whistle. Whinge. Pointless sprint. Pass. Tackle. Shank." Klingt langweilig, war hochklassig auch tatsächlich eher auf der Zweikampfebene. Gegen Chelsea gibt es keinen "flow", das Spiel von Ebbe und Flut, das der Guardian beobachtete, verlief sich eher in kleinen Wirbeln, Mini-Malströmen, aus denen Rosicky oder Adebayor zwar meistens mit dem Ball auftauchten, auch noch einen Pass schafften, dann ging das Strampeln aber schon wieder los. Für das entscheidende Tor brauchte es einen Fehler von Petr Cech und einen kleinen Schubser von Gallas gegen Ben Haim, Sekunden vor dem Pausenpfiff. Die Bundesliga macht Pause, die Premier League wogt weiter.

Hauptstadt

Immer wenn der FC Bayern München zu einem Auswärtsspiel in das Olympiastadion kommt, kann Berlin sich so richtig als Hauptstadt fühlen. Denn offensichtlich leben viele Anhänger des FC Hollywood hier, und einmal im Jahr holen sie ihr Makaay- oder Ballack-Jersey aus dem Schrank, und mischen sich unter die 35.000, die gewöhnlich zu Heimspielen der Hertha gehen. So verdoppelt sich die Zuschauerzahl, selten wird der Spitzenspielzuschlag auf den Eintrittspreisen aber auf dem Feld gerechtfertigt. Gestern war es eine rechtschaffen jämmerliche Angelegenheit. Ich kam erst zur zweiten Hälfte, weil ich davor noch ein Interview mit einem aus Ulm gebürtigen Hollywood-Regisseur zu absolvieren hatte (öde Sache). Lucien Favre hatte endgültig die Lehre aus der Hinrunde gezogen, Simunic wieder in die Viererkette gestellt und Friedrich dort nach rechts hinausgezogen, im zentralen defensiven Mittelfeld waren mit Dardai und Mineiro die zwei Staubsauger tätig, davor Gilberto und Lustenberger, davor Grahn als Hänger und Pantelic als wie immer einsamer Aktivposten. Nach hinten ging das Konzept auf, weil die Bayern ihrerseits von hinten heraus einen Stiefel spielten, der kaum zu ertragen war. Nach vorn wäre das Konzept der Hertha beinahe auch aufgegangen, als ausgerechnet Dardai einmal gut zum Zufallsschuss kam - zum Glück drehte Rensing den Ball noch vom Tor weg, sonst hätte Dardai am Ende noch am Spielfeldrand einen neuen Vierjahresvertrag bekommen. Er war nämlich schon einmal Torschütze bei einem Sieg gegen Bayern gewesen, schon damals fiel er als epimoderner Spielertyp auf, irgendwie hat es die Hertha aber in den fünf Jahren seither nicht geschafft, über ihn hinauszukommen. Die Ballverluste, die Hertha sich gestern an der Dreißigmetermarke leistete, also dort, wo der Spielaufbau konkret wird, waren grauenhaft. Grahn zuvorderst, bei ihm kann man die Langsamkeit in den Ganglien quasi eins zu eins auf dem Feld erkennen, würde man ihm einmal ein Video zeigen, das ihn über neunzig Minuten bei der Arbeit zeigt, er würde über seine Körpersprache und seinen gemächlichen Trab vielleicht sogar erschrecken. Er ist technisch gut, alle anderen Tugenden hat er verkümmern lassen. Gilberto war geringfügig besser, auch bei ihm war die Bilanz aber negativ, einer guten Ballbehauptung oder gar einem Pass standen immer zwo, dro provozierende Nachlässigkeiten gegenüber. Signifikant eine Szene gegen Schluss, als ein möglicher Angriff der Hertha durch einen langen "Verlagerungspass" auf Friedrich verlangsamt wurde - der Kapitän sah kurz nach vorne, entschloss sich dann aber zu einem Rückzug, er ist offensiv schon lange eine Vorgabe. Ein 0:0 vor der Winterpause, zumal gegen den FC Bayern München, kann aber trotzdem als Erfolg erscheinen, wenn man vorher gründlich abgewirtschaftet war. So geht die Hertha beinahe versöhnt in die Winterpause, während der FC Bayern München feststellen musste, dass er nicht nur Anhänger in aller Welt hat, sondern auch einen Fanblock: Von dort wurde die Mannschaft am Ende heftig ausgepfiffen. Die Hertha aber konnte erhobenen Haupts in die Kurve gehen. Sieger der Hinrunde ist Pal Dardai. Er ist zurück im Team. An ihm kommt weiterhin niemand vorbei. Was für ein Elend!

Mittwoch, Dezember 12, 2007

Stagnation

Der neue "tip" bringt eine Liste der "Gründe für die Stagnation von Hertha BSC": "Dieter Hoeneß, Manager (zu viele Kompetenzen, zu wenig sportliche Kompetenz). Werner Gegenbauer, Aufsichtsratsvorsitzender (nicht kritisch genug). Bernd Schiphorst, Präsident (nicht kritisch genug). Falko Götz, Ex-Trainer (konzeptlos). Pal Dardai, "Routinier" (Spielzerstörer). Josip Simunic, Superkönner (schöpft sein Talent nicht aus). Arne Friedrich, Kapitän (wächst nie über sich hinaus). Karel van Burik, Spielerberater (Kaderzerstörer). Ostkurve, Fanblock (liegt mit dem Verein im Clinch). Olympiastadion, kalte Hütte (zu monumental für Hertha)." Dass Dardai so weit oben steht, mag willkürlich erscheinen, interpretiere ich aber als Beleg für die Behauptung von der mangelnden sportlichen Kompetenz des zu Recht niemals so bezeichneten, de facto aber diese Funktion ausübenden "Sportdirektors" Dieter Hoeneß - sich vorzustellen, man könnte im defensiven Mittelfeld mit einem Spieler wie Dardai (oder Mineiro) auch nur irgendwie an transprovinzielles Niveau anknüpfen, ist naiv. In diesem Blog ist die Ignoranz bei Hertha gegenüber den taktischen, technischen, kreativen Herausforderungen der "Position 6" häufig Thema: Dardai ist in diesem Sinn tatsächlich ein "Spielzerstörer", und Simunic, der das Zeug hätte, dort mehr zu machen, bleibt bei seinem alten Stiefel. Der "tip" hat daneben auch noch eine Liste der peinlichsten Niederlagen von Hertha, und eröffnet diese richtigerweise mit der Niederlage in Leverkusen vor gut einem Jahr - das war der Tiefpunkt der "Ära" Götz, ungefähr auf diesem Niveau ist die Mannschaft jetzt auch wieder.

Dienstag, Dezember 11, 2007

Rebellion

Die "B.Z." bringt heute zum zweiten Mal das gewichtige Stichwort "Rebellion" ins Spiel, ohne dabei aber genau die Fronten klären zu können. Korrekter wäre wohl das Stichwort "Chaos", denn Hertha BSC bietet derzeit das Bild eines Vereins, in dem alle Beteiligten eine eigene Agenda haben, woraus ein Gesamteindruck des unproduktiv Agonalen entsteht. Ich sammle einige Projekte: Dieter Hoeneß will in die Geschichte eingehen. Werner Gegenbauer will eine Anerkennungskultur. Michael Preetz will aus dem Schatten treten. Jochen Sauer will nicht zu früh aus dem Schatten treten. Lucien Favre will eine neue Mannschaft. Jaroslav Drobny will Christian Fiedler abwehren. Sofian Chahed will einen Stammplatz. Arne Friedrich will nicht aus der Viererkette (von Joachim Löw) plumpsen. Steve von Bergen will in Berlin ankommen. Malik Fathi will einen Bachelor. Jo Simunic will zu viel (und zu wenig). Pal Dardai will auf unabsehbare Zeit unentbehrlich bleiben. Mineiro will eine Mütze. Gilberto will einen Rentenvertrag. Okoronkwo will ein Superstar sein. Pantelic will Bälle in den Fuß. Lima will einen schleichenden Durchbruch schaffen. Grahn will sein Haar im Wind wehen fühlen. Ebert will etwas erreichen. Wo ein Wille, da ein Weg. Wo viele Willen, da ein Gewurschtel.

Sonntag, Dezember 09, 2007

Abendgestaltung

Die Hertha hat meine Laune endgültig in den Keller gejagt, ich brauche mindestens zwei Folgen "Seinfeld", um mein Gleichgewicht wiederzufinden. Erbärmliches 1:2 in Nürnberg. Sollte eigentlich noch genauer analysiert werden. Interessiert mich aber nicht. Zu Jo Simunic ein Detail: wer die Spieleröffnung im defensiven Mittelfeld mit dem Rücken zum Ball (in dessen Besitz sich von Bergen gerade befindet) über sich ergehen lässt (irgendwo wird die Kugel ja sicher wieder auftauchen), wird seinen Gehaltszettel bald mit dem Tabellenplatz nicht mehr so ganz in Übereinstimmung bringen können. Vielleicht ist es aber auch einfach ein Fall von "Pech im Spiel, Schwefel am Matchday" gewesen - dafür spricht, was unser argusäugiger Korrespondent Valdano vor zwei Tagen beobachtet hat: "Am Freitagabend, so gegen 20.45 Uhr, saß ich leidend vorm Bildschirm in meiner Sportsbar, es stand 2:0 für den BVB, der an diesem Abend nichts tun musste, um zu gewinnen, und der dazu gar nicht in der Lage gewesen wäre, wenn er gezwungen worden wäre, Fußball zu spielen, gegen 20.45 Uhr also betrat in Jeans und blauem Anorak ein hochgewachsener Mann das Lokal, er schaute kurz auf den Bildschirm, er ließ sich einen Cynar oder dergleichen geben, und dann setzte er sich seelenruhig hin, um Karten zu spielen. Keine Ahnung, wie sein Blatt war oder sein Spielaufbau; sein Einsatz am Tisch allerdings war vorbildlich, er ging eigens den Block zum Aufschreiben holen, man sah, wie sich die kleine Holzkette um den Hals bewegte, und als im Westfalenstadion abgepfiffen wurde, war Joe Simunic noch munter."

Sonntagsbraten

Selten war ich so frustriert wie gerade eben, während Arsenal in Middlesbrough völlig verdient seine erste Saison-Niederlage kassiert hat: 1:2 nach einem Spiel, das als Klassiker der Taktikschulung verwendet werden könnte. Arsenal ging stark ersatzgeschwächt in die Partie gegen ein Team, das heuer bisher durch einen Mangel an Toren aufgefallen war. Fabregas, Flamini, Hleb und van Persie fehlten, das wurde in keiner Sekunde kompensiert. Middlesbrough dagegen hatte vorne Aliadière, der in der Sommerpause von Arsenal in den Nordosten gewechselt war. Er holte schon in der vierten Minute einen Elfer heraus (Touré beging das Foul), danach war es ein Match der einseitigen Leidenschaft, in dem Arsenal mit dem indiskutablen zentralen Mittelfeld Gilberto Silva und Diarra überhaupt nichts nach vorne zustande brachte. Sie kamen über neunzig Minuten nicht einmal in die Nähe von Torchancen. Die einzige Möglichkeit für mich, der ganze Sache etwas abzugewinnen, ist eine Umkehr der Perspektive - ich wünschte mir, Hertha würde einmal eine ähnliche Leidenschaft, taktische Disziplin und geistige Wendigkeit aufbringen, wie Middlesbrough es heute gezeigt hat. Dieser Triumph kam aus der Einstellung. Arsenal "were hussled into mediocrity" - die englischen Kommentatoren haben immer die richtige Formulierung. Am Ende konnte sogar Huth ins Spiel kommen, auch er konnte den 2:1-Sieg nicht mehr gefährden, der für Middlesbrough ein echter "sunday roast", ein "Sonntagsbraten" ist, für mich aber schwer zu verdauen.

Sonntag, Dezember 02, 2007

Sehnsucht

Verdient hat die Hertha gestern auf eigenem Platz 0:3 gegen Bayer 04 Leverkusen verloren. Aber auch bei diesem Spiel gab es eine Szene, die ich mir im Fernsehen noch einmal ansehen werde, weil sie vielleicht von vorentscheidender Bedeutung war und eine Wende möglich gemacht hätte. Es war kurz nach der Pause, Leverkusen führte durch Ramelows satt verwandelten "zweiten Ball" nach einem Freistoß mit 1:0. Die Hertha ließ sich durch den Rückstand nicht aus ihrem üblichen Trott bringen, nur Simunic, wieder im defensiven Mittelfeld tätig, schien entschlossen, etwas zu tun. Er befreite sich aus einer konfusen Situation mit zwei, drei Gegnern und schien schon unterwegs nach vorn, als er zurückgepfiffen und, wenn ich mich richtig erinnere, sogar verwarnt wurde. Vielleicht war es ja wirklich ein Foul. In den Ärger hinein, der die ganze Hintermannschaft befiel, spielte Leverkusen eine lockere Doppelpasskombination am gesamten Defensivpersonal vorbei, und Barnetta verwertete zum 2:0. Später gab es noch einen Treffer von Pantelic, der unglücklicherweise abgepfiffen wurde (der Schiedsrichter wartete nicht lange genug auf den Vorteil), und in der Schlussminute die Demütigung durch Barbarez (wieder auf der Chahed-Seite). Als ich nach Hause kam, spielte schon Arsenal bei Aston Villa, und der Kommentator verwendete häufig das Wort "desire" - zur Charakterisierung beider Teams. Wie würde man das übersetzen? In der Fussballersprache bietet sich natürlich "Gier" an, ich will aber bei der traditionellen Bedeutung "Sehnsucht" bleiben: die Hertha hat einfach keine Sehnsucht. Sie will nichts von ihren Spielen, außer vielleicht ernudelte drei Punkte. Sie spielt, mit der einen Ausnahme Pantelic und den kontroversen Ausnahmen Simunic und Ebert, einen Fussball, der technisch und geistig, läuferisch und taktisch so limitiert ist, dass ich mich wirklich frage, ob nicht auch Lucien Favre an dieser untrainierbaren Mannschaft scheitern wird. Die "Sehnsucht" kann man sich ja auch abgewöhnen, so wie man sich irgendwann vom Kino nichts mehr erwartet, wenn man lange nichts Gutes gesehen hat. Was Fathi, Friedrich, Mineiro, Gilberto und Chahed gestern gezeigt haben, war erbärmlich. Von Bergen nehme ich aus, der ist noch in der Probezeit, und Lustenberger hat erst sein zweites Spiel gemacht (dabei aber erkennen lassen, dass er rechts nicht viel bringt: er weicht Zweikämpfen aus und ist ohne Ball auffällig langsam). Pantelic war die übliche Ausnahme, ich ziehe einmal mehr meinen Hut vor seiner Einstellung und seinem Können. Bleibt der interessanteste Fall: Simunic. Seine Begabung ist in jeder Bewegung zu sehen, warum aber spielt er immer erst dann leidenschaftlich, wenn die Situation schon schwierig ist? Ich mache Favre den Vorwurf, dass er in mehrfacher Hinsicht die Mannschaft falsch einschätzt: Mineiro und Simunic im defensiven Mittelfeld stärken sich nicht, sondern lähmen einander. Simunic soll das allein machen, er MUSS herausgefordert werden! Gilberto ist als zentraler Spielmacher eine Vorgabe, das weiß jeder, der Hertha schon länger als eine Halbsaison beobachtet. Und Pantelic holt auch gegen fünf Leverkusener was heraus, trotzdem braucht er einen zweiten Mann neben sich. Favre ist offensichtlich eingeschüchtert von der Situation, er stellt zu konservativ auf, der armselige Kader gibt ihm dafür genügend Rechtfertigung. Gestern unterblieb die Balleroberung an der Mittellinie fast vollständig, das hat auch damit zu tun, dass sechs Männer auf dem Platz waren, die sich erst weiter hinten dafür zuständig fühlen konnten. Kam dann einmal einer in Ballbesitz, war er auf sich allein gestellt - von der Taktikschulung Favres blieb der falsche Rest, dass jeder seine Position hält und nichts wagt. Simunic brauchte nach dem 0:2 ungefähr fünfzehn Minuten, in denen er haderte und wenig lief. Dann brachte er sich noch einmal ins Spiel, und zwar so, wie ein Profi mit Sehnsucht (Paradebeispiel: Flamini von Arsenal) neunzig Minuten lang agiert. Nach dem Abpfiff blieb er allein in der Osthälfte, dann machten er und Pantelic noch einen Versuch der Kontaktaufnahme mit den Fans. Das rechne ich ihm auch hoch an, denn ich setze jetzt auf ihn. Wenn es noch Spieler in dieser Mannschaft gibt, deren Entwicklung mich interessiert, dann sind es diesen beiden - Josip Simunic und Marko Pantelic.