Samstag, August 31, 2013

Arbeitsniederlage

Das spontane Telegramm zum Auswärtsspiel in Wolfsburg: Die Niederlage geht in Ordnung, auch wenn sie einen schalen Beigeschmack hat. Hertha hatte nach 20 Minuten begonnen, das Spiel zu gestalten, nach vierzig Minuten aber folgten zwei folgenschwere Szenen: Naldo kommt in einem gähnend leeren Halbfeld zu einem missglückten Schuss, den Olic attackiert, während Langkamp passiv bleibt: 0:1. Kurz darauf kann Brooks im Fünfmeterraum einen Ball nicht gut klären, er versucht mit ein wenig zu viel Schmackes zu korrigieren, Diego holt sich einen Elfmeter, den er selbst verwandelt.

Ein Rückschlag vor der Pause, der in der zweiten Halbzeit nicht korrigiert werden kann - auch deswegen, weil Luhukay nicht überzeugend wechselt (warum  der bewährt sinnlose Wagner? warum Ramos, der im Zentrum mit Ronny viel besser harmoniert, auf die Außenbahn?), vor allem aber deswegen, weil Wolfsburg demonstriert, warum die Liga allgemein so stark an Niveau gewonnen hat. Hecking hatte mindestens einen so guten Plan heute wie Luhukay, mit den zwei Toren im Rücken konnte Wolfsburg mit einem geschickten Offensivpressing Hertha doch sehr gut eindämmen. Wäre es nicht vielleicht klüger gewesen, doch positionelle Wechsel vorzunehmen (Kluge für Hosogaj, Ronny für Baumjohann)? Ich denke, dass das ein besseres Flügelspiel gewährleistet hätte, und mehr Torgefahr.

Insgesamt aber geht die Mannschaft intakt aus der Sache hervor. Gut gefielen mir Langkamp (in einigen Szenen deutet sich da ein Leader an), Schulz, Lustenberger, eigentlich auch fast alle anderen. Das Ankommen in der Liga, Phase 4: guter Fußball wird fast überall gespielt, es kommt auf Nuancen an, Hertha war heute nur 20 Minuten zwingend. Pausen, wie Baumjohann sie sich immer wieder nimmt, sind Pausen der ganzen Mannschaft. Auch der Coach ist nicht unfehlbar. Wie sollte er auch. Hertha spielt erste Liga, und das auch im vierten Spiel absolut konkurrenzfähig.

Donnerstag, August 29, 2013

Millionendomino

Wir nähern uns der entscheidenden Phase der Transferperiode dieses Sommers. Selbst bei Hertha, wo die wesentlichen Entscheidungen erfreulich früh fielen, könnte sich noch etwas tun. Man liest von möglichen Abgängen von Hubnik oder Ben Sahar, und von einem Interesse an dem Ingolstädter Offensivspieler Caiuby. Unabhängig davon konnte man in den ersten drei Saisonspielen den Eindruck gewinnen, dass Hertha gut aufgestellt ist, wobei vor allem die Balance im Kader interessant erscheint: Sehr viele Spieler können füreinander nicht nur auf dem Platz, sondern auch positionell einstehen. Ohne große Worte hat Jos Luhukay also die Idee von Lucien Favre, auf "polyvalente" Spieler zu setzen, eingelöst - wie überhaupt auffällt, dass Luhukay vieles von dem tut, was Favre seinerzeit vorhatte und wozu er ansetzte, was er sich aber durch eine ungeschickte Politik verdarb. Konzepttrainer sind oft dann am besten, wenn sie wenig von ihren Konzepten reden.

Das Transferdrama, auf das meine Augen besonders gerichtet sind, ereignet sich in London. Arsenal hat nur noch bis nächste Woche Zeit, einen dünnen Kader so weit zu verstärken, damit zumindest die Wahrung der aktuellen Position eines CL-Teilnehmers in Reichweite bleibt. Von einer Rückkehr in die Reihe der eigentlichen "contenders", also der Mannschaften, die um die Titel spielen, wagt man sich inzwischen ja kaum mehr eine Vorstellung zu machen, und das ist im Grunde ein Skandal, denn die geschäftlichen Faktoren sehen Arsenal weiterhin unter den europäischen Topclubs. Doch die Leistungen sprechen derzeit eher für eine Einordnung in der erweiterten Spitze, mit prekärer Nähe zum oberen Mittelfeld.

Die vergangene Woche brachte ein wenig Erleichterung, nachdem Fenerbahce und Fulham sich als schwache Gegner erwiesen. Zudem hat Wenger nach wie vor eine fähige erste Elf, wobei er aktuell davon profitiert, dass Aaron Ramsey seine interessante Entwicklung aus der letzten Saison fortsetzt. Ich sehe ihn vom Typ und vom Talent her fast auf einer Ebene mit Fabregas (einstmals die Nummer 4 bei Arsenal, und ein tolles Paar mit Mathieu Flamini, damals Nummer 16, der heuer als "freier Agent" zurückkehrte nach einer mäßig erfolgreichen Zeit bei Milan).

Heuer setzt Ramsey das Spiel wegen der Verletzung von Arteta von weiter hinten an, in einer flexiblen Partnerschaft mit Wilshere. Technisch und in den Zweikämpfen hat er sich noch einmal verbessert, seine taktische Intelligenz ist ohnehin in Ordnung, sein Auge ist manchmal brillant, alles Faktoren, die seinen größten Nachteil, die mangelnde Antrittsschnelligkeit, aufwiegen können. Giroud ist ein Angreifer mit enormem Potential, die Spielfreude von Cazorla wog zuletzt schon wieder seine Erschöpfung von einem langen Sommer auf. Mertesacker füllt seine derzeitige Leader-Rolle gut aus, Sczeszny würde ich ohnehin nicht zurückstufen.

Und dann zeigt Arsenal sogar neuerdings wieder so etwas wie ein planvolles Spiel gegen den Ball. Es gibt also keinen Grund, vor dem Derby gegen Tottenham am Wochenende Trübsal zu blasen. Doch auf Sicht einer langen Saison mit vier Bewerben ist der Kader auf eine schockierende Weise lückenhaft. Die internen Probleme, die dazu führten, dass Arsenal in diesem Sommer noch keinen wesentlichen Transfer zuwegebrachte, werden in den Berichten immer nur angedeutet. Sie sind aber offensichtlich.

Nun hängt nach Meinung fast aller Beobachter alles an Real Madrid. Dort soll, in bewährt großspuriger Manier und gegen jegliche taktische Überlegung, Gareth Bale verpflichtet werden, für eine ungeheure Summe, die es mit sich bringt, dass ein paar Spielern die Tür gewiesen werden könnte. Da zudem ein Gebot für Liverpools Luis Suarez im Raum steht, könnten Benzema, Di Maria, sogar Özil in Madrid disponibel werden. Arsène Wenger, der Mann mit dem letzten Wort bei Arsenal, steht unter dem Druck, einen "großen Namen" bringen zu müssen. Ich hoffe stark, er bleibt sich zumindest in dieser einen Hinsicht treu und überrascht uns alle am Montag noch mit drei, vier klugen Einkäufen in der mittleren Preisklasse und für Positionen, auf denen Arsenal wirklich Bedarf hat. Äquivalente zu dem Hosogaj-Transfer von Hertha, wenn man so will.

Denn die Grundlagen für eine große Kampagne wären ja eigentlich immer noch gegeben bei Arsenal. Es müsste nur einfach besser gearbeitet werden. Ich bin gespannt.

PS Nach der Auslosung: Schöne, schwere Gruppe für Arsenal, dieses Mal wird es nicht reichen, mit einer in den Winter hinein kraftloser werdenden Leistung den zweiten Platz mitzunehmen; es wird in allen Spielen um alles gehen. Keine Todesgruppe, aber doch eine echte Herausforderung.

Montag, August 26, 2013

Normen und Werte

Der Trainer wurde ziemlich grundsätzlich nach dem Sieg gegen Hamburg. Seine Einlassungen hatten dabei den Charakter von Orakelsprüchen. Denn man kann sie drehen und wenden, so richtig genau wird man nicht herausbekommen, ob er eher über die Berliner Boulevardzeitung erbost ist, die in tatsächlich letztklassiger Manier eine junge Frau vorgeführt hat, oder über seine Profis, die neben dem Beruf auch noch ein Privatleben (und innerhalb desselben ein nicht immer monogames Sexualleben haben). Luhukay sprach von den "Normen und Werten" des Lebens, der RBB schnitt wie zur Verdeutlichung eine Aufnahme von seiner Frau und seiner Tochter dazwischen - ein Familienmensch, der im Hotel wohnt, bekommt es zum ersten Mal so richtig mit den Konkurrenzgesetzen auf dem Berliner Aufmerksamkeitsmarkt zu tun. Dass es dabei wirklich "knallhart" zugeht, dass junge Leute für 5000 Euro der Meute zum Fraß vorgeworfen werden, ist wohl auch für ihn die schlimmere Seite dieser Angelegenheit; gleichzeitig wird er sich keine Illusionen darüber machen, dass die Spieler von ihrer Stellung in dieser knallharten Gesellschaft nicht immer wieder profitieren, und Sex ist nun einmal das, worauf alles hinausläuft. Ask Dieter Bohlen.

Die Sache ist nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil sie uns erlaubt, ein wenig besser zu verstehen, wie Luhukays Autorität bei Hertha verfasst ist. Es ist eine natürliche Autorität, und das ist doch ein bisschen erstaunlich bei einem nicht allzu groß gewachsenen, dunkelhäutigen Mann mit Schnauzer. Luhukay ist einer jener Typen, die so uncool sind, dass sie schon wieder cool sind; nicht, dass er es in irgendeiner Form darauf anlegte.

Nach allem, was so aus der Mannschaft nach außen dringt, verfügt er über eine sehr gute Pädagogik. Das bedeutet eben, zum jeweiligen Zeitpunkt den richtigen Ton zu treffen. Mit der Autorität ist es ja eine Gratwanderung, wenn man sie einmal überreizt, oder es nicht versteht, seine Maßnahmen plausibel zu machen, dann ist die Sache schon aus dem Lot. Bei Luhukay ist die Sache aber im Augenblick so im Lot, dass man es ihm sogar abnimmt, wenn er über "Normen und Werte" spricht.

Nun zu dem konkreten Beispiel, das dieses Wochenende bot. Es ist ein wenig rätselhaft. Luhukay nahm nämlich schon in der 23. Minute Brooks vom Feld, brachte dafür Niemeyer, Lustenberger ging in die Viererkette. Ich ging von einer Verletzung aus, doch in der Pressekonferenz erläuterte der Trainer ziemlich genau, dass es eine taktische Maßnahme war: Lustenberger wäre besser im "Durchschieben", Langkamp bestünde in Einszueinssituationen auch ohne Absicherung. Dabei ging es wohl darum, dass Lustenberger gelegentlich auf van der Vaart gehen sollte, ohne dass dadurch ein ähnlicher Fehler zustandekäme wie neulich in Nürnberg, als Janker weiter vorn attackierte.

Ich habe mir das Spiel noch einmal angesehen, und konnte beim besten Willen nichts feststellen, worauf Luhukays Auffassung begründet gewesen wäre, dass Brooks "nicht gut ins Spiel" gefunden hätte. Van der Vaart war vollkommen wirkungslos, Hertha hatte nach 20 Minuten bereits angefangen, sich das Spiel zurechtzulegen. Brooks hatte ein, zweimal hinten eingegriffen, war einmal vorn neben Ramos aufgetaucht; er spielte diskret, wie eigentlich fast immer. Dass Langkamp ihn in irgendeiner Form "manndecken" musste, wie das bei Mijatovic vor zwei Jahren noch häufig notwendig war, konnte ich nicht sehen. Bleibt als Möglichkeit noch, dass Luhukay die Spieleröffnung variantenreicher machen wollte - doch warum hat er das dann in der PK nicht so gesagt?

Es kam also Niemeyer, und weil der ehemalige Kapitän gut spielte, wurde etwas über diesen Kader 2013/2014 erkennbar, das sich als wichtig erweisen dürfte. Er beruht auf flacher Hierarchie insofern, als es nur ganz wenige herausragende Spieler gibt (ich würde meinen: Kraft und Ramos), während ansonsten für fast jede Position zwei ordentliche Besetzungen vorhanden sind, zumal wenn man die Polyvalenten (Lustenberger, Ndjeng, nun auch Schulz) berücksichtigt. Luhukay muss also moderieren, er tut das mit großer Ruhe. Verständlicher wird die Auswechslung vom Samstag nicht. Sie hatte aber den Effekt, Niemeyer früh in der Saison aus der Ecke zu holen. Vielleicht war es ja sogar umgekehrt, und Luhukay hatte begriffen, dass der HSV es erlaubte, der alten "Drecksau" (Niemeyer in einem fußballrhetorisch unglücklichen Moment über sich selbst) ein wenig Auslauf zu geben.

Aber auch das gehört zu einer guten Autorität: dass sie Geheimnisse hat. Es dürfen nur keine Geheimnisse sein, für die sich die Schreizeitungen interessieren würden.


Samstag, August 24, 2013

Kalkuliertes Risiko

Ein paar spontane Worte zum 1:0-Heimsieg gegen den HSV. Als die Spieler auf ihrer Ehrenrunde waren, trotteten Ronny und Ramos ein wenig hinterher. Dann ließ sich Nico Schulz zu ihnen zurückfallen, die beiden Starlegionäre (gilt das Wort eigentlich noch?) nahmen ihn in die Mitte. Es war die Geste, mit der das Spiel besiegelt wurde, bevor die Ostkurve, der dieser Sieg mehr als allen anderen (außer den Spielern und JLu) zu gönnen ist, die Mannschaft in Empfang nahm. Der Coach hatte heute etwas riskiert, und sein Manöver war voll aufgegangen. Niemand hätte sich gewundert, wenn er die konservativere Variante mit Holland links hinten gewählt hätte. Doch er stellte mit Nico Schulz den dritten Leftback im dritten Ligaspiel in dieser Saison auf.

Zur Halbzeit war ich ein wenig in Sorge, ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der den Debütanten (in dieser Rolle in der ersten Liga) in der Kabine gelassen hätte, er war ja mit Gelb vorbelastet und hatte ein, zwei Wackler gehabt. Doch in der zweiten Halbzeit verlagerte sich das Hertha-Spiel, das im ersten Durchgang vor allem Baumjohann geprägt hatte, nach links, und wieder einmal gab es für das Tor, das Nico Schulz Adrián Ramos auflegte, mehrere Generalproben. Der Sieg ist unendlich befriedigend, denn er war verdient, hart erarbeitet, er beruht auf einer echten Mannschaftsleistung, und darauf, dass der Coach (von der Mannschaft, aber auch vom Spiel) ein wenig mehr wollte, als nur das Minimalprogramm - das wäre ein Remis gewesen, zur Bestätigung des guten Starts. Luhukay wollte den Sieg, die Mannschaft schenkte ihm einen denkwürdigen.

Mittwoch, August 21, 2013

Beratungsresistenz

Ziemlich ramponiert ist der Arsenal FC gestern nach Istanbul gereist, wo heute das Qualifitkationsspiel für die Gruppenphase der Champion's League gegen Fenerbahce ansteht. Der türkische Verein spielt unter dem Vorbehalt einer Sperre wegen Spielmanipulation, gegen die noch ein Einspruch offen ist. Es kann also gut sein, dass Arsenal nächste Woche kampflos weiterkommt - da werden die beiden Matches aber schon gespielt sein. Am Wochenende gab es zur Eröffnung der EPL 2013/14 ein 1:3 gegen Aston Villa vor eigenem Publikum, ein Match so richtig zum Vergessen mit drei Verletzten (Gibbs, Oxlade-Chamberlain, Sagna), einem erratischen Schiedsrichter, einer gelb-roten Karte für Koscielny (während sein Gegenüber Vlaar aus absolut unerfindlichen Gründen geschon wurde) und einer Mannschaftsleistung, die so ungeordnet war, wie es der augenblicklich stark lückenhafte Kader nicht anders zuließ.

Arsenal hat in diesem Sommer noch keinen neuen Spieler verpflichtet, trotz einer deutlichen Ansage, dass finanziell bedeutende Möglichkeiten bestehen (Kenner sprechen von 80 bis 150 Millionen Euro). Die Verletzung von Arteta macht nur zu deutlich, dass besonders für seine Position kein Ersatz zur Verfügung steht. Gegen Villa spielte Ramsey auf der Sechserposition, Wilshere leicht versetzt neben ihm, beide fanden offensiv wenig Möglichkeiten, sich einzubringen. Dazu kam der von einem langen Sommer indisponierte Cazorla, der das wichtige zweite Gegentor einleitete. So blieben nach der Verletzung von Oxlade-Chamberlain nur noch Giroud und Rosicky, die etwas probierten. Der in der 94. Minute eingewechselte Lukas Podolski wurde von den Fans zum Man of the Match gewählt. Im Übrigen wurden sie mir ihren Gesängen deutlich: Spend some f***ing money.

Die Probleme von Arsenal sind aber grundsätzlicher, und ich war richtiggehend erleichtert, dass der Supporters Trust sie diese Woche in einer Stellungnahme endlich einmal so angesprochen hat. Arsène Wenger hat viel zu viele Kompetenzen, er ist im Grunde die einzige Person, die sportliche Entscheidungen trifft. Das Scouting funktioniert immer noch halbwegs gut (Giroud und Cazorla kamen letztes Jahr, beide sind ein Gewinn), aber das Team Building ist ungenügend, weil Wenger sich für Taktik nicht interessiert. Dazu kommt eine gewisse Naivität hinsichtlich der Stellung von Arsenal in Europa, die am besten in dem ganz offensichtlich schlecht vorbereiteten Gebot für Lars Bender zum Ausdruck kam. Es ist keineswegs so, dass man Topspieler leicht bekommen kann, es hat sich eben schon herumgesprochen, dass Arsenal eher im Niedergang als auf dem Weg nach oben ist. Jemand wie Lewandowski ist vollkommen außer Reichweite.

Auch deswegen war es ein Fehler, dass der bereits weit verhandelte Transfer von Gonzalo Higuain nicht vollzogen wurde. Arsenal wollte pokern, inzwischen ist der Argentinier längst bei Napoli, und nun gehen die plausiblen Transferziele aus. Dass man sich um Yohan Cabaye von Newcastle bemüht, wird allgemein als Panikmaßnahme gewertet. Ich sehe das auch so, denn der Franzose füllt keine der eklatanten Lücken im Kader (defensives Mittelfeld, Defensive zentral und außen, Angriffszentrum), sondern würde nur zu der Vielzahl von halbswegs guten Offensvivspielern zählen. (Oxlade-Chamberlain, der vielversprechend wirkte, wird einige Monate fehlen. Rosicky könnte ihn vermutlich vertreten, zur Not auch Podolski, dessen Standing allerdings schon stark beeinträchtigt scheint.)

Was wäre zu tun? Angesichts der Verdienste von Arsène Wenger um den Club, eines unfähigen Boards und eines extrem technokratischen Executives in Ivan Gazidis wird es schwer, einfach einen Neuanfang zu machen. Dazu sind die Leistungen unter Wenger immer noch nominell zu okay (letztes Jahr schon wieder Platz 4). Nun allerdings einfach abzuwarten, bis der "Boss", wie er allgemein intern genannt wird, seinen Kredit endgültig erschöpft hat, wäre fatal. Arsenal braucht Fußballkompetenz, einen Taktiktrainer, einen Sportdirektor, beide müssen mit Wenger gut zusammenarbeiten, was schwierig sein dürfte, denn der "Professor", wie er auch gern genannt wird, wirkt ziemlich beratungsresistent. So werden wir weiterhin gutes Beobachtungsmaterial für eine Studie haben, wie ein Fußballclub (noch dazu einer der größten Europas) nicht geführt werden sollte.

PS am Tag nach dem ersten Fenerbahce-Spiel: Das war kein seriöser Gegner.

Montag, August 19, 2013

Kippbild

Mit dem 2:2 in Nürnberg ist Hertha erst so richtig in der ersten Liga angekommen. Es war ein Spiel, wie es die kommende Saison vermutlich noch oft bringen wird: zwei relativ gleichwertige Teams aus dem (unteren?) Mittelfeld der Liga liefern einander einen intensiven Kampf, bei dem das spielerische Element immer nur in Momenten zum Vorschein kommen kann. Die vielen Zweikämpfe und Fouls, zu denen Hertha vor allem in der ersten Halbzeit gewungen wurde, deuten darauf hin, dass Nürnberg sich da besser durchsetzen konnte. Namentlich Ginczek machte der neu formierten Defensive zu schaffen.

In der Szene vor dem Tor ließ Janker sich aus der Viererkette herauslocken, stellte sich dann aber im Zweikampf ungeschickt an, Lustenberger konnte auch nichts ausrichten, in die Unordnung stieß Drmic. Meines Erachtens war allerdings Ben-Hatira bei dem Spielzug davor, einem exzellenten Hertha-Angriff, einer, würde ich jetzt schon beinahe sagen wollen, typischen Hertha-Bewegung anno 2013/2014, nicht im Abseits (jedenfalls nicht, wenn man im Zweifelsfall für den Angreifer entscheidet), sodass es da auch schon 0:1 stehen hätte können.

Ich erwähne das deswegen, weil die Berichterstattung sich gestern sehr stark auf eine Reihe von kontroversen Entscheidungen konzentrierte, sodass ein wenig unterging, dass Hertha ab ungefähr Minute 50 das Spiel eindeutig übernahm. Die Vokabel, die sich diesbezüglich eingebürgert hat, lautet Zugriff. Hertha bekam Zugriff, der bis zu diesem Zeitpunkt eher alibihaft spielende Baumjohann wachte auf, Allagui spielte einen seiner schwer nachahmlich feinst dosierten Pässe auf Lustenberger, die Flexibilität des Eintracht-Spiels war wieder da. Der Ausgleich lag nahe, es passte aber zum Spiel, dass er auf kuriose Weise fiel: Allaguis brillante Wendung im Strafraum brachte ihn in Schussposition, er rutschte aber aus, sodass der Schuss weit daneben gegangen wäre; zum Glück stand Dabanli im Weg, er lenkte den Ball ins Tor.

Die gelbe Karte gegen Baumjohann sehe ich als akzeptabel an, während 93,26 Prozent am Montag um 8.33 bei Wahre Tabelle sie als Fehlentscheidung verbuchen. Aber ich gehöre ja auch zu denjenigen, die bei der strittigen Elfmeterentscheidung auf die TV-Perspektive von hinten setzen, dort sieht man nämlich, dass Pinola den Ball nicht berührt hat. Von der Seite sieht es anders aus, der Videobeweis ergibt hier also ein Kippbild, ganz klassisch so, wie es der Referee nicht brauchen kann. Er entschied auf Elfmeter, Ronny verwandelte sicher. Hervorzuheben ist an der Sache noch, dass Baumjohann überhaupt so dynamisch in den Strafraum eindrang, auch dazu gab es gegen Frankfurt schon Modellszenen.

Dass der Schiedsrichter schließlich noch spät einen Zweikampf von Brooks als Foul wertete (zu Unrecht, wie für die Fernsehzuschauer ziemlich eindeutig ersichtlich war), gab Kyotake die Gelegenheit zu einem spektakulären Ausgleich. Vielleicht ist der kleine Dämpfer gar nicht schlecht. Hertha geht mit vier Punkten in das Abendspiel gegen den HSV, die Euphorie ist ein wenig gedämpft, die Gründe zum Optimismus sind nicht weniger geworden.

Doch gibt es auch Gründe, die Aufmerksamkeit ratsam sein lassen. In der ersten Halbzeit war zu sehen, dass Hertha nicht so richtig wusste, wie mit dem Spiel umzugehen war. Das Pressing begann vermutlich nach Plan gut zwanzig Meter weiter hinten als beim Heimspiel. Vor allem an Baumjohann konnte man auch sehen, dass es zum Teil eher alibihaft gespielt wurde. Ben-Hatira machte das mit einigen Fouls weit vorne und einer sehr wichtigen Interception im eigenen Strafraum halbwegs wett. Hertha musste erst in die Haken und Ösen finden, könnte man sagen. Es ist eine typische Reaktion auf einen tollen Sieg: Hertha wollte auch in Nürnberg gern spielen, musste sich allerdings in die Verhältnisse finden, und die Zeichen standen nun einmal nicht sofort auf Spiel. Problemzonen waren die linke Defensivseite (Holland hatte Glück, dass ihm die zweite gelbe Karte erspart blieb; Janker wurde relativ früh ausgewechselt), in der ersten Halbzeit das offensive Zentrum, auch Pekarik hatte seine Mühe, weil Allagui nicht so intensiv nach hinten arbeitete.

In der zweiten Halbzeit hatte Hertha das Verhältnis zum Spiel geklärt. Der Coach wechselte auf Sieg ein, wobei man meiner Meinung nach mit Sandro Wagner da nicht wirklich weit kommen wird. So hat das 2:2 eine innere Logik, die sowohl vom Spielverlauf wie von den kontroversen Szenen her auf eine prinzipielle Unentscheidbarkeit dieses Matches verweisen. Der Vergleich mit dem Auftritt in Nürnberg vor eineinhalb Jahren (Winter, Skibbe, Ronny) macht den Unterschied, auf den es ankommt.

Mittwoch, August 14, 2013

Manndeckung

Auf Spielverlagerung gibt es eine Analyse des Hertha-Siegs über Frankfurt, die wie immer äußerst detailliert ist, zum Teil eigentlich schon auf eine Weise, dass mir das Element Plan gegenüber dem Element Improvisation zu einseitig gewichtet scheint. Während des Bayern-Matches am Freitag gab es ja eine lustige Einspielung von Pep Guardiola, so weit ich sehen konnte, war sie ungeschnitten, während der der Meistercoach in wenigen Sekunden so viele Richtungen wies, das das dazugehörige Bewegungsbild seiner Mannschaft nur ein absolutes Chaos ergeben hätte können. Das bringt mich zurück zu dem Gedanken, den die Analyse bei Spielverlagerung bei mir ausgelöst hat. Denn ich habe mich später auch gefragt, wie weit die Hertha-Taktik eigentlich spezifisch auf Frankfurt abgestimmt war, wie genau sie auf die Formation des Gegners reagiert hat, die ja erst am Samstag bekannt wurde, und wie weit sie tatsächlich, wie Spielverlagerung es sieht, schon nach zehn Minuten bedeutsam variiert wurde.

Mein Laienblick, der immer noch unwillkürlich dazu tendiert, nur eine Mannschaft zu "sehen", konzentrierte sich in dieser Hinsicht früh auf Allagui. Ich hatte noch einige Spielsituationen aus dem Pokalspiel im Kopf, und umso klarer war es ersichtlich, dass der nominell rechte Flügelspieler eigentlich häufig viel weiter innen arbeitete, defensiv sowieso, aber im Resultat dann auch in der Umschaltbewegung. Bei seinem ersten Tor aber tauchte er am linken Pfosten auf, insgesamt tauschten die Offensivspieler vielfach die Position, und zwar nicht so, wie noch unter Babbel, wo man den Eindruck hatte, sie täten dies nach der Stechuhr im Viertelstundentakt.

Diese offensive Flexibilität muss wohl durch die vielen Passübungen erarbeitet werden, die man im Training bei Luhukay beobachten kann. Zugleich beruht das System aber defensiv auch auf einer Art Manndeckung. Und das verstärkt wiederum den Faktor Spielverlauf, denn nach dem noch etwas wackligen Beginn war Hertha die Mannschaft, der Frankfurt mehr hinterherlaufen musste, als umgekehrt. Nach dem 3:1 kam es dann eben zu so extrem ungeordneten Situationen wie der vor dem 4:1, das eigentlich ins Exempelbuch der Bewegungsdiagramme gehört - ein Tor auch aus Übermut, denn eigentlich geht Langkamp in keinem normalen Spiel so in die Offensivbewegung, wie er das in diesem Fall tat. Aber da waren eben schon die Räume.

Leider bietet die Bundesliga-Webseite in dieser Saison die Laufleistungen der Teams und auch der Spieler nicht mehr an (auch der Kicker hat die entsprechende Ziffer nicht mehr im ohnehin nicht allzu komplexen Statistikfeld). Es hätte mich doch sehr interessiert, welche Werte Hertha da individuell und kollektiv hatte. Ich vermute einmal, dass die Vereine mit ihrer Lobbyarbeit Erfolg hatten. Ihnen gefiel das ja nie, dass wir unbedarften Fans uns auch ein wenig mit den Zahlen beschäftigen wollten.

Während die Mannschaft längst auf den nächsten Sonntag ausgerichtet ist, werden die Fans von diesem Spiel so schnell nicht ablassen. Auch ich lese immer noch ein wenig weiter dazu, zum Beispiel den Bundesliga-Report von Raphael Honigstein im Guardian, der immerhin fast 300 Kommentare bekommen hat, von denen tatsächlich nicht wenige auch zu Hertha waren. Nehmen wir das einmal als Indiz der potentiellen Strahlkraft des Hauptstadt-Clubs.


Montag, August 12, 2013

Wundertüte

"Dieses Manuskript wäre abgelehnt worden", sagte der Sky-Kommentator Michael Born irgendwann gegen Ende der Übertragung des 6:1-Siegs von Hertha gegen Eintracht Frankfurt am Samstag. Das ist so eine Redewendung, mit der das Überraschende verarbeitet wird. Born übersah aber in der Hitze des Gefechts, dass dieses "Manuskript" eigentlich keine dramaturgischen Schwächen hatte, also nicht mit unplausiblen Wendungen, grotesken Fehlentscheidungen, Göttern aus der Maschine arbeitete. Es hatte eine innere Plausibilität, die aus einem im Grunde einfachen, aber leider so schwer zu erzeugenden Faktor stammt: professionelle Arbeit, die unter idealen Bedingungen zu wunderbarem Spiel wird.

Gestern habe ich mir das Spiel noch einmal in aller Ruhe angesehen, und die Eindrücke aus dem Live-Zusammehang haben sich im wesentlichen bestätigt, im Detail ein wenig verdeutlicht. Dass Frankfurt in den ersten zehn Minuten doch deutlich das Heft in der Hand hatte, war mir ein wenig entgangen, weil ich da schon von den hohen Verteidigungslinien von Hertha fasziniert war (das damit einher gehende Risiko wird sicher Thema dieser Trainingswoche sein, die Eintracht kam doch mehrfach hinter die letzte Hertha-Linie, ein paar Mal zu oft, genau genommen). Das Match war noch keine 60 Sekunden alt, da hatten sich fünf Hertha-Spieler schon auf dem linken Flügel massiert und attackierten die Gegner. In der fünften Minute ging Ben-Hatira an der Eckfahne dort vorn in einen Zweikampf - ein "signature tackling", ein Tackling, das ein Zeichen setzte.

Über die ganzen 90 Minuten überzeugte die Mannschaft durch ein äußerst flexibles Zusammenspiel sowohl im Pressing wie beim Kontern. Allagui ließ sich bei Ballbesitz Frankfurt auf eine zweite Linie zurückfallen, die er mit Lustenberger und Hosogai (und manchmal mit dem vorgeschobenen van den Bergh) bildete. Baumjohann ging vorne in die Mitte, Ramos rückte nach rechts (es gab Varianten, aber das war eine Grundkonstellation). Allagui kam dadurch wie schon gegen Neumünster in einer Situation an den Ball, in der er der ideale Umschaltspieler wurde (nachdem Lustenberger einen Ballgewinn schnell und konstruktiv in seinen Lauf gespielt hatte) - er behauptete im Zweikampf den Ball, sah den Raum für Ben-Hatira, der dieses Mal nicht, wie noch im Cupspiel, selbst abschloss, sondern für Ramos auflegte. 1:0.

Die Bewegung ging von Lustenberger aus, der ein wenig im Schatten des enorm fleißigen und produktiven Hosogai stand; wichtig scheint mir, dass beide äußerst intensiv an der Verbindung der Mannschaftsteile arbeiteten, und die Integration insgesamt stimmte. Als Hertha vor zwei Jahren in die erste Liga zurückkehrte, war die Spielanlage viel, viel konservativer, mit einem defensiven Sechserblock, aus dem allenfalls Ottl ab und zu mit einem Pass nach vorn herausging. Die Mannschaft war unter Babbel weitgehend strukturell halbiert, vorne mussten Raffael, Ramos, Lasogga und manchmal Ebert das Spiel allein bestreiten.

Das ist der entscheidende Unterschied zu Luhukays Hertha, die zumindest am Samstag schon einmal andeutete, dass sie ein integriertes System hat. So etwas lässt sich auch daran erkennen, dass Torerfolge manchmal so etwas wie Generalproben haben, also ähnliche Spielzüge: Allaguis Treffer zum wichtigen 3:1 nach der Pause ging auf eine kurze Bogenflanke zurück, die Baumjohann davor schon zweimal fast identisch geschlagen hatte: vor dem 2:0 und vor dem Lattentreffer von Allagui kurz vor der Pause.

Nichts spricht dagegen, diese Spielanlage mit dem hohen Verteidigen nicht noch gegen eine Reihe weiterer Gegner zu versuchen, jedenfalls in den Heimspielen. Gegen Bayern oder Dortmund wird die Taktik eine andere sein müssen, aber schon gegen Nürnberg ist sie auch auswärts denkbar.

Dass schließlich sogar ein Sebastian Langkamp vor dem 4:1 mit einem "brasilianischen" Moment zu den großartigen Manuskript vom Samstag beitrug, hatte da bereits eine innere Logik. Und so ist es ja mit dem Erzählen: wenn es gelingt, eine Situation plausibel zu etablieren, dann lassen sich auch phantastische Wendungen einbauen. Der Sieg gegen die Eintracht in einem Spiel, das vorab von vielen als "Wundertüte" etikettiert worden war, ist eben doch ein wenig mehr als nur eine Momentaufnahme.

Ich sehe darin so etwas wie eine Geisteraustreibung (zu der auch das Wetter sein dramaturgisches Moment beitrug): All das Ungemach der letzten Jahre, das viele Pech und manche zum Teil absurde Entscheidung auf der Führungsebene, sind jetzt gebannt. Das einzige, was man gegen Pleiten, Pech und Pannen, die jederzeit zurückkommen können, tun kann, hat Hertha am Samstag getan: gut gearbeitet, vernünftig riskiert, dem Glück eine Chance gegeben.

Samstag, August 10, 2013

Auftakt Frankfurt

Ein paar schnelle, erste Stichworte kurz nach diesem wunderbaren Nachmittag. Hertha ist erstligareif. Mehr noch: Hertha hat Kontakt zum modernen Fußball. (Wann hatten wir das zuletzt?) Das Pressing hat von der ersten Minute an wunderbar funktioniert. Originell war es auch (Allagui ging bei Spieleröffnung Frankfurt oft ins Zentrum). Hosogai ist jeden Cent seiner Ablöse wert. Allagui verteilt und verwertet Bälle. Ben-Hatira gibt Nico Schulz die erforderliche Entwicklungszeit (denn der Stammplatz linksaußen steht vorerst fest). Die Defensive hatte wacklige Momente, konnte aber auf die Vorderleute zählen. Das Olympiastadion hat einen anderen Rasen als der VfR Neumünster. Zum ersten Mal überhaupt, seit ich dieser Mannschaft folge, bin ich mit jedem Spieler in der Startelf einverstanden. Kein Ottl weit und breit. Kein Bayern-Gen, an dem wir vor zwei Jahren erstickt sind. Alle tun nach ihren Möglichkeiten das Beste - mehr verlangt niemand, es reicht für einen verheißungsvollen Start. Und was da heute in der 18. Minute zu verspüren war, individuell, kollektiv, das war einer der besten Momente, die ich als Fußballfan erlebt habe. Vier (w)irre Jahre fanden heute einen denkwürdigen Abschluss. Nun mögen die Mühen der Ebene kommen.

Dienstag, August 06, 2013

Holperdiestolper

Als Hertha am Sonntag in der ersten Runde des DFB-Pokalbewerbs 2013/2014 gegen den VfR Neumünster antrat, saß ich gerade in Nürnberg fest. Ein Unwetter in Bayern hatte den Betrieb des Hertha-Hauptsponsors ziemlich durcheinander gebracht, dazu kamen andere "Störungen im Betriebsablauf".

Spätnachts kam ich nach Hause, und dann stellte ich erst einmal fest, dass es Hertha TV nicht mehr gibt, jedenfalls nicht den Kanal, den ich abonniert zu haben glaubte. Das Spiel gibt es nur auf SkyGo zu sehen, in bemerkenswerter Auflösung, allerdings nur noch für ein paar Tage. Ein Spiele-Archiv, was ein Klubkanal ja eigentlich sein oder jedenfalls allmählich werden sollte, gibt es nicht mehr. Dazu ein anderes Mal mehr.

Was ist nun aus dem mühsamen 3:2 nach Verlängerung abzuleiten? Nicht viel, würde ich meinen. Die Wetterverhältnisse waren eindeutig ein Faktor, der unebene Platz auch. Ein angereister Bundesligist wird in so einer Situation fast immer Schwierigkeiten haben, zumal, wenn es ein so stark neu formierter wie Hertha 2013 ist.

Negativ fiel auf, dass keiner, auch nicht der neue Kapitän, in der zweiten Halbzeit so etwas wie Initiative zeigte, also einen sichtbaren Versuch, das Spiel zu intensivieren. Den frühen Führungstreffer von Neumünster in Halbzeit eins nach einem Foul von Njdeng und einem Freistoß an der Strafraumgrenze hatte Ben-Hatira schon bald egalisiert (Ndjeng leitete den Spielzug mit einem schönen, langen Vertikalpass auf den gut startenden Allagui ein), später erzielte Ben-Hatira nach einem schönen Diagonalverlagerungspass des relativ auffälligen Allagui sogar die Führung.

In der zweiten Halbzeit wurde der Auftritt der Herthaner aber zunehmend apathischer, und neuerlich schaffte Ndjeng es, maßgeblich an einem Treffer beteiligt zu sein: Er köpfte einen langen Ball auf den langen Pfosten so in den Strafraum zurück, dass Neumünsters Kramer keine Mühe hatte, per Kopf zu verwerten (an Langkamp könnte man man hier eine leise Frage hinsichtlich Handlungsschnelligkeit stellen). Das Programm für die zweite Halbzeit war allerdings unmittelbar nach Wiederanpfiff am deutlichsten zu sehen gewesen, als Hertha, noch 2:1 vorn, minutenlanges Ballgeschiebe rund um Brooks und Langkamp zeigte. Die relativ problemlose Wendung des Spiels nach Rückstand in der ersten Halbzeit hatte wohl doch die mentale Spannung zu stark reduziert.

In den Medien wird vor allem Lustenberger wegen eines schwachen Auftritts hervorgehoben. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass die Erwartungen an den neuen Kapitän insgesamt zu hoch sind. Dass er als alleiniger Sechser souverän schalten und walten wird, dass er einerseits einen vorgeschobenen Ausputzer spielt, der andererseits gewonnene Bälle umstandslos wieder in den Offensivbetrieb einspeist, dafür ist seine Spielanlage wohl doch zu konservativ. Ohnehin ist noch offen, wer am Samstag an seiner Seite sein wird, davon wird sehr stark abhängen, wie sich sein Spiel entwickelt. In Neumünster jedenfalls ließ Kluge sich zunehmend stärker an seine Seite zurückfallen.

Unverständlich war für meine Begriffe, warum Luhukay so besonders früh den Wechsel Wagner für Ramos vornahm. Die beiden Spieler sind gleichen Typs, aber deutlich unterschiedlicher Begabung. Ramos war nicht sonderlich involviert, ist aber jederzeit, gerade gegen so einen Gegner, für eine spezielle Aktion gut; Wagner ist das eher nicht.

Sami Allagui gilt zu Recht als der "man of the match" auf Berliner Seite. Ihm gelang auch bei weitem nicht alles, aber er machte deutlich, dass er die Position auf dem rechten Flügel, die er ursprünglich ja nicht so richtig mochte, dass er sie (durch Antritte) interpretiert, dass er etwas will. Das gilt auch für Marcel Ndeng, der trotz seiner Sonntagsböcke für meine Begriffe gut zu Allagui passt.

In vier Tagen geht es los, es könnte dann neuerlich sehr heiß sein, doch wird dann die Kulisse eine andere sein, und der Rasen wird kurz gemäht sein. Erst dann wissen wir mehr, in Neumünster ging es einzig und allein darum, nicht zu den Blamierten der ersten Runde zu gehören.