Sonntag, Juni 17, 2012

Deutscher Meister




























Beinahe möchte ich es als Zeichen nehmen, dass diese vermaledeite Saison für Hertha BSC noch einen kleinen positiven Höhepunkt enthielt: Am Samstag haben die B-Junioren durch ein 2:0 gegen den VfB Stuttgart die deutsche Meisterschaft 2012 gewonnen. Das Team von Andreas Thom und Pál Dárdai konnte dabei auf eine bemerkenswerte Torhüterleistung von Marius Gersbeck bauen (eine Parade habe ich fast erwischt, unten), machte aber auch einen mannschaftlich guten Eindruck, obwohl das Chancenverhältnis vermutlich deutlich zugunsten Stuttgarts ausfiel (was natürlich per se kein gutes Zeichen ist, hier aber in den Kontext einer allmählichen Steigerung gehört, Herthas U17 fand erst allmählich ins Spiel).

Die Bedingungen waren nicht die besten, vor allem gegen Ende wurde es durch den wieder einsetzenden Regen immer glitschiger, aber insgesamt war das ein hochprofessionelles Match vor prominent besetzter Kulisse (Hertha-Oligarchie, Sammer, Bobic). Das wichtige Führungstor vor der Pause verdankte sich dem Spieler, von dem ich schon das eine oder andere gehört hatte, und der zu den Spitzenkräften dieses Jahrgangs gehört: Hany Mukhtar (Bild unten) spielte so, wie wir es uns von Raffael in der ersten Mannschaft wohl erwartet hätten, positiv aggressiv, vertikal, aber auch absichernd nach hinten. Sein Durchsetzungsvermögen in Zweikämpfen fiel mehrfach auf, er leitete dann mit einem Lauf mit dem Ball in die Spitze den Treffer ein - Anspiel nach außen, Pass ins Zentrum, dort fand sich der zuständige "target man" Faton Ademi und tat das seine.

In Halbzeit zwei hatte ich Herthas linke Seite vor Augen und konnte vor allem Mannsfeld und Ebot-Etchi genauer zuschauen; beide gefielen mir gut, der junge Mann mit der auffälligen Frisur hatte dreimal sehr gute Offensivläufe, spielte aber jedesmal einen Pass ins Abseits. Er ließ aber auch sehr gut erkennen, wie die Spieler das Übergeben in Defensivsituationen praktizieren, wie er sich je nach Spielsituation im Raum orientierte.

Ich kann mir eigentlich nichts Besseres für eine Clubleitung vorstellen, als alles zu tun, dass die Arbeit, die auf dieser Ebene geleistet wird, nicht vergeblich ist. Natürlich wissen wir, dass von den 14 Spielern, die da gestern aktiv waren, vermutlich höchstens drei oder vier, wenn überhaupt, eine richtige Profikarriere schaffen werden. Aber dazu gehört eben auch, dass die Wege nach oben nicht durch planloses Vorgehen auf den nächsten Ebenen verstopft werden. Das Gegenteil ist die Regel, gerade auch bei Hertha (siehe zuletzt Morales). Ein Mukhtar wird eine entsprechende Mannschaftsphilosophie brauchen, damit er nicht zum nächsten Bigalke oder Hartmann wird, sondern seine Stärken einbringen kann.

Mal sehen, ob JoLu da ein wenig Übersicht und Kontinuität hineinbringen kann. Nichts wäre mehr zu wünschen, ein geduldiger Neuaufbau vielleicht sogar besser als ein sofortiger Wiederaufstieg ohne tragfähigen Plan. Doch das werden wir alles sehen. Gestern konnten die Fans singen: "Deutscher Meister Hertha BSC".

Bilder: Die VfB-Fans haben ein Traditionsanliegen




























Doppelspitze: Thom und Dárdai

Andere Ära: Fredi Bobic

Höchste Instanz: Matthias Sammer


Jubeltraube (darunter der Held: Marius Gersbeck)

Die Geschlagenen
Die Schale

Donnerstag, Juni 14, 2012

Totalny Futbol


Dass Hertha BSC vor hundert Jahren einmal gegen Warta Posen 2:9 verloren hat, hätte ich wohl nie erfahren, wenn nicht die Fußball-Europameisterschaft 2012 an Polen und die Ukraine vergeben worden wäre. Da es sich dabei um zwei Transformationsländer in Osteuropa handelt, gibt es zum sportlichen Ereignis auch das eine oder andere Stück aufbereitender Literatur.

Der Sammelband Totalny Futbol überzeugt dabei durch einen ebenso einfachen wie plausiblen Ansatz: Zu jedem Austragungsort gibt es hier eine Geschichte, verfasst von Schriftstellern, die dazu eine Verbindung haben. Im Falle der westpolnischen Stadt Poznan ist das Natasza Goerke, die auf eine möglicherweise hinterhältige Weise Günter Grass zitiert: „Günter Grass, der berühmte Halbpole, hat seine Meinung über uns Vollpolen in hinterhältigen Wendungen voller Subtilitäten und Zweideutigkeiten zum Ausdruck gebracht: Ich sag es immer, Polen sind begabt. / Sind zu begabt, wozu begabt, / begabt mit Händen, küssen mit dem Mund, / begabt auch darin: Schwermut, Kavallerie.“ Hinterhältig ist hier sicher die Verwendung des Begriffes Kavallerie, die bekanntlich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schlecht aussah, als die deutschen Panzer kamen.

Die alten Kriegsmetaphern haben im Fußball aber längst ausgedient, an ihre Stelle sind auch in diesem Band differenzierte und selbstironische nationale Phänomenologien getreten, für die sich die Anhänglichkeit an bestimmte Teams dann doch wieder als guter Schlüssel herausstellt. Natalka Snjadanko berichtet in ihrem Text über Lemberg/Lwiw von einem ganz frühen Fußballspiel aus dem Jahr 1894, das durch einen Zeitungsartikel sehr gut dokumentiert ist, und in dem ein Team aus Lemberg gegen eines aus Krakau antrat, an dessen Ende aber nicht ganz eindeutig zu sagen war, „wer wen besiegt hat – denn es war ja ein Pole aus der Lemberger Mannschaft, der den Ball ins Krakauer Tor schoss“.

Es sind komplexe, „multikulturelle“ Landschaften, in denen die EM 2012 stattfindet, das geht auch aus dem schönen Text von Piotr Siemion über Breslau/Wroclaw hervor. Der Club, um den es darin geht, heißt Wojskowy Klub Sportowy Slask (Militärsportverein Slask), das kommt dem ersten Team sehr nahe, dem ich als Kind anhing: dem Linzer Athletiker Sportklub LASK, der legendäre Derbys mit dem anderen Team aus der Stahlstadt austrug, mit VÖEST Linz. Man kann ein Buch wie Totalny Futbol auch gut vor dem Hintergrund der eigenen Fanbiographie lesen, die ja jahrzehntelang vor allem aus seltsamen Namen bestand. Namen, die in Tabellen und Aufstellungslisten eingetragen waren.

Einer der berühmtesten dieser Namen ist Oleg Blochin. Der ukrainische Superstar spielte ausgerechnet in der Saison vor dem Ende des Kommunismus in meiner Heimat bei Vorwärts Steyr. Jury Andruchowytsch, der zu Totalny Futbol den Beitrag über (Dynamo) Kiew beigesteuert hat, geht über diese nicht unbedeutende Episode schweigend hinweg. Sein Interesse gilt auch eher dem großen Trainer Valeri Lobanowskyj, von dem die Suggestion ausging, er könnte den Fußball berechenbar machen. Denkste. „Meine Verzweiflung hat eine philosophische Dimension. Es ist nicht nur der Bankrott eines bestimmten Fußballprojekts“, schreibt Andruchowytsch über den Niedergang von Dynamo Kiew. „Es ist das Scheitern des Rationalismus. Das Chaos übernimmt den Kosmos und ruft uns zum Abschied höhnisch zu: Der Ball ist rund, der Platz ist groß.“ Und dieses Buch bleibt auch nach dem Turnier noch lesenwert, auf das es uns einstimmen sollte.

Totalny Futbol. Eine polnisch-ukrainische Fußballreise, hg. von Serhij Zhadan, edition suhrkamp 2012

Sonntag, Juni 10, 2012

Sindbad der Busfahrer




























Um 6:08 bin ich heute morgen nach Rzeszów zurückgekommen, von einem knapp sechzehnstündigen Ausflug in die Ukraine, und nun habe ich sogar noch eine kleine Mütze richtigen Schlaf bekommen, bevor es bald mit dem Bus zurück nach Berlin geht. Es kam alles ganz anders, als ich erwartet hatte, und das hat damit zu tun, dass weder Michel Platini noch ich sich so richtig gut überlegt hatten, was es bedeutet, ein großes Turnier abzuhalten, durch das hindurch die EU-Außengrenze verläuft.

Als ich am Samstagmittag vor dem Hauptbahnhof von Rzeszów auf einen jungen Mann aus Lublin traf, der als Freelancer für die Firma arbeitet, bei der ich einen Leihwagen reserviert hatte, konfrontierte er mich mit der Tatsache, dass bei Grenzübertritt in ein Land der ehemaligen Sowjetunion eine Gebühr von 500 Zloty zusätzlich fällig würde, und dass das Auto in der Ukraine nicht diebstahlsversichert wäre. Das erschien mir eine wenig einladende Kombination, die ich zum Anlass nahm, die Reservierung zu stornieren, und es auf andere Weise zu versuchen, nach Lwiw zu kommen.

Dabei machte ich gleich eine interessante Erfahrung mit zwei Deutschen, die auch bei derselben Firma reserviert hatten. Meine harmlose Frage, ob sie eventuell noch jemand mitnehmen könnten, beantworteten sie abschlägig - kein Problem. Was mich aber verwunderte, war, dass sie mich die ganze Viertelstunde, die wir dann noch dort herumstehen mussten, während einer von ihnen alle Papiere unterzeichnete, keines Blickes mehr würdigten und nicht einmal das allereinfachste gemeinsame Faninteresse mehr zeigten, das man in solchen Situationen auf Reisen doch kennt - man tauscht sich ein wenig aus. Es war, als hätte ich mich durch meine Frage für obdachlos und vogelfrei erklärt, und versucht, einen bestens geplanten Trip aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Ich verfiel dann auf die einzige noch machbare Variante: Von Rzeszów nahm ich einen Zug nach Przemysl, wo ich um 16:20 ankam (17:20 ukrainische Zeit, also viereinhalb Stunden vor Anpfiff). Außer mir waren nur noch zwei junge deutsche Fans da, Ali und Kenny (Oliver und Kenneth aus Bremen), von denen Ali zum Glück ein Lahm-Trikot trug. Er kann auch Polnisch, und führte dann die Verhandlungen mit einem ukranischen Chauffeur, der anbot, uns für 250 Zloty (bisschen über 50 Euro) nach Lwiw (Lwow für die Polen) zu bringen. Wir prüften kurz, was dafür und dagegen sprach (die typische Argumentationskette, die da im Kopf abläuft, Indizien ad hominem – sieht er aus wie ein Verbrecher? – und ad rem – er hat eine Taxilizenz, wir können ja sein Kennzeichen nach Hause funken), und entschieden uns für die Fahrt.

Es war eine weise Entscheidung. Diese zwei Stunden auf der prächtig ausgebauten, von Gewitterwolken verhangenen Straße von Przemysl nach Lemberg werden mir in Erinnerung bleiben, es war einfach großartig. Zwei Stunden vor Anpfiff waren wir in Lemberg am Bahnhof. Ich spazierte dann noch eine Stunde durch die Stadt, die allem ersten Anschein nach super interessant ist, sah am Rande des Public Viewing, dass die Niederlande nicht als ein Team spielen, und kam schließlich ein paar Minuten zu spät in die Arena von Lwiw.

Zum Spiel habe ich eine Menge Material, das ich hier reinstellen werde, wenn ich wieder in Berlin bin. Das Stadion ist eines der besten, das ich bisher besucht habe, es liegt wie ein UFO (wir kennen die Metapher) an der äußersten Peripherie.

Um 2:02 ging ein Zug zurück nach Przemsyl, und wenn es noch eines Grundes bedurft hätte, diese kleine Reise zu rechtfertigen, dann könnte ich ihn in den Bahnhofsgebäuden dieser altösterreichischen Städte allein schon finden. Nicht auszudenken, was die Abteilung Stations and Services der DB dort anrichten würde, an Orten, an denen man die ganze Größe dessen sehen kann, was einmal öffentliches Gemeingut war, bürgerliche Infrastruktur, Verkehrswesen in jedem Sinn.

Die Grenzkontrollen verliefen ohne große Probleme, wir sahen zwar mehrere Hundertschaften Uniformierter und ein paar putzige Hunde, wurden aber mit zwei Stempeln entlohnt, und so konnte ich um 4:28 in Przemysl einen Regionalzug besteigen, der mich auf die harte Tour (nie hat ein Zug so gerumpelt wie dieser) nach Rzeszów zurückbrachte, wo ich jetzt, frisch geduscht und beinahe ausgeschlafen, auf den Sindbad-Bus nach Berlin warte.

Donnerstag, Juni 07, 2012

Ausflugsziel

Morgen beginnt die Euro 2012, für mich wird sie aber schon heute kurz nach Mitternacht beginnen. Da besteige ich nämlich am Funkturm in Berlin einen Bus und mache mich auf den Weg nach Rseszow in Südostpolen. Von dort aus sind es dann nur noch 120 Kilometer nach Lwiw (Lemberg), wo am Samstagabend Deutschland gegen Portugal spielen wird. Ich hatte mich in einem unbedachten Moment auf dem Uefa-Ticketportal um eine Karte beworben, und bevor ich noch so richtig begriffen hatte, worauf das hinauslief, war das Geld von meiner Kreditkarte abgebucht, und nichts mehr zu stornieren. Jetzt fahre ich also hin, und weil das logistisch gar nicht so einfach ist, bin ich auf eine Ausflugsvariante verfallen, in der vor allem Fernbusse vorkommen. So bin ich eigentlich schon lange nicht mehr gereist, mal sehen, ob ich das so genießen kann wie damals in der Türkei vor vielen Jahren.

Aus dem Hause Hertha gibt es derweilen interessante Nachrichten. Eine Folge meines Ausflugs nach Osten ist, dass ich am Sonntag das Rückspiel der U19 von Coach Tretschok gegen den FCB nicht sehen kann; gestern vergaben die jungen Herthaner kurz vor Schluss einen vielversprechenden Zwischenstand von 1:1 und kassierten noch zwei Gegentore. Die Begegnung findet am Sonntag um 11.00 im Amateurstadion statt.

Zweitens hat Tunay Torun einen Vertrag beim VfB Stuttgart unterschrieben. Damit bin ich einverstanden, ich hätte nicht versucht, ihn zu halten, und zwar aus einem bestimmten Grund: Ich wäre dafür, dass Änis Ben-Hatira eine Chance bekommt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er bei einem guten Trainer und unter kluger Anleitung etwas werden könnte - er scheint mir besonders unter dem mäßigen Coaching gelitten zu haben, das Hertha den Großteil der vergangenen Saison hindurch hatte (und da schließe ich Babbel mit ein, zumindest die letzten sechs Spiele der Hinrunde).

Die eigentlich Nachricht des Tages aber war dann doch, dass Hertha in aller Form das Kapitel "Bajuwarengenetik" schließt. Mit Christian Lell und Andreas Ottl wird nicht mehr geplant (zudem auch nicht mit Patrick "Petrick" Ebert und Andre Mijatovic). Damit endet eine der ärgerlichsten Verirrungen, die es in den Jahr für Jahr neu ansetzenden, konfusen Personalplanungen in Berlin gab. Ich meine natürlich Andreas Ottl. Seit Niko Kovac hat mich in Berlin kein Spieler so erbost wie der süddeutsche Phlegmatiker, von dem es ja auch Andeutungen gegeben hatte, dass er unter einem guten Trainer nicht vollständig unbrauchbar sein muss. Über Berlin (die Stadt) heißt es gelegentlich, dass hier mangelnder Leistungswille auf große Alimentierungsbereitschaft trifft - dass aber ausgerechnet ein gebürtiger Münchner das einmal so deutlich vorleben würde, muss ein wenig als Hohn erscheinen.

Bei Christian Lell ist die Sache ein wenig komplizierter, er hat ansatzweise gezeigt, dass er ein guter Fußballer sein könnte - doch dazu müssen viele Faktoren stimmen, persönliche und umfeldliche, und Hertha hat ihm 2012 sicher nicht das Umfeld geboten, das er gebraucht hätte. So wird er seiner Wege gehen, und vom Ende her wird auch alles nach mangelnder Identifizierung aussehen, wie schon bei Babbel und bei Ottl.

Wenn wir das Statement von Hertha richtig interpretieren, dann wird der Club bei allen außer den vier Genannten die "Option ziehen", sie also für den Kader in Liga zwee verpflichten, was bei den Verkäuflichen zugleich heißt: sie feilzubieten. Die für mich schlimmste Möglichkeit ist damit schon einmal ausgeschlossen: auf Andreas Ottl kann Hertha BSC nicht mehr sitzenbleiben. Mit dieser Erleichterung steige ich heute in den Bus.