Montag, Oktober 29, 2012

Laufkundschaft

Im sozialen Netzwerk schrieb am Wochenende ein Herthaner, er müsse "in der Dusche frühstücken" angesichts der Anstoßzeiten in der zweiten Liga. Mir ging es ähnlich, ich war auf halb Zwei eingestellt, und kam gerade rechtzeitig zur Übertragung, als Eintracht Braunschweig im Spitzenspiel gegen Hertha in Führung ging. Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, die paar Kilometer rüber zu fahren nach Westen, aber angesichts der vielen Arbeit in den letzten Wochen und angesichts der Ungewissheit, ob ich eine Karte würde organisieren können, ließ ich das dann doch kurzfristig bleiben. Das Ergebnis des Spiels kann man nun allerdings ohnehin auch so lesen, dass ein Duell Eintracht Braunschweig - Hertha BSC im kommenden Jahr in Liga eins nicht vollkommen undenkbar ist.

Es war ein interessantes Spiel, und eigentlich können wir stolz sein auf Hertha. Denn Jos Luhukay hat offensichtlich wirklich schon einiges am Charakter der Mannschaft getan. Die zweite Halbzeit war ein Beispiel dafür, wie eine Spitzenmannschaft (in der zweiten Liga) mit ihrer Verantwortung umgeht. Das war echter Dominanzfußball, und es zählte dabei auch eine Tugend, die im Fußball umso schwerer aufzubringen ist, als gerade Teams wie Braunschweig systematisch daran arbeiten, den Gegner zu frustieren: Geduld. Ronny versteckte sich dieses Mal nicht, wie er es sonst gelegentlich zwischendurch tut. Er war der Motor der ganzen Angelegenheit, er schlug dann auch die Flanke auf Ramos.

Personell tritt Hertha nun schon eine Weile mit einem durchaus plausiblen System an, in dem im Grunde nur eine wesentliche Variante eingebaut ist: sie betrifft den zweiten Stürmer, der bei stärkeren Gegnern durch einen offensiven Mittelfeldspieler ersetzt wird (Ronny als "Zehner"), während sonst Kluge weit vorn anläuft und auch verwertet, und Ramos einen direkten Kollegen bekommt (Wagner derzeit vor Sahar und Allagui). Schulz ist ein vielversprechender Winger, zumal er ja eigentlich vorerst Understudy von Ben-Hatira ist. Niemeyer hat sich konsolidiert, die Viererkette agiert hinter einer kompakt abschirmenden Mannschaft. Kraft hat häufig nicht viel zu tun.

Hertha ist keine "Laufkundschaft", hieß es nach dem Spiel in Braunschweig. Das stimmt, der Aufstieg ist gewissermaßen Pflicht, die Favoritenstellung hat die Mannschaft angenommen. Die Spielanlage entspricht den Verhältnissen in der zweiten Liga, sie ist auf alle Umstände adaptierbar. Jos Luhukay, so scheint es, hat Hertha aus der Identitätskrise herausgeführt, indem er sie an den modernen Fußball herangeführt hat. Braunschweig spielt, mit weniger renommiertem Personal, auch einen modernen Fußball, die zweite Liga hat mehr Niveau, als ich mir anfangs dachte. Am Ende aber spielte Hertha wie die Spitzenmannschaft, und Braunschweig verteidigte wie ein "upsetter". Damit waren die Hierarchien hergestellt, auch wenn die Tabelle sich derzeit anders liest. Nun geht es gegen Ingolstadt und Sandhausen, bevor der November mit Heimspielen gegen St. Pauli und Köln zwei kleine Klassikaner bringt.


Samstag, Oktober 06, 2012

Denken und Lenken

Das war einigermaßen beeindruckend, wie Hertha sich im Spitzenspiel gegen die Sechziger schlug. Am Montag hatte das Team sich in Duisburg noch durch Unentschlossenheit aus einem Match drängen lassen, das es eigentlich im Griff gehabt hatte - es reichte zu einem 2:2, verhieß aber nichts Gutes für künftige Erprobungen. Und dann muss in den vier Tagen danach etwas passiert sein, das auf ein gutes und probates Selbstverständnis schließen lässt. Das Hauptproblem, das ich bei Hertha ja seit immer schon gesehen habe, liegt im Mangel an Identität. Die Mannschaft hat bisher noch nie so richtig gewusst, wie sie sich verstehen soll. Daraus resultiert eine unausgeglichene Spielanlage. Das hat Favre in der einen Saison zum ersten Mal ein wenig behoben, als er Hertha als effektive Spielverderber definiert hat - Balleroberung Friedrich, kluger Lauf Kacar, Einsnull gegen den VfB. Wie lang das her ist!

Die Leistung gegen 1860 sah im Vergleich moderner und zukunftsweisender aus. Okay, wir sind in der zweiten Liga, und die Spieler, die da gestern gut gearbeitet haben, würden sich zu großen Teilen eine Abteilung höher schwer tun. Für gestern aber hat es gepasst. Die erste Halbzeit war noch de facto offen, zwei starke Momente von 1860 wogen auf, dass Hertha auch da schon die Spielkontrolle hatte. In Halbzeit zwei aber funktionierte alles prächtig. Zwei Beispiele: Fabian Holland ist möglicherweise jener Typ des "no nonsense"-Außendeckers, der genau das bisschen zum Spielaufbau - und vielleicht sogar ein, zwei, drei Flanken pro Spiel - beiträgt, das eine gute Balance ermöglicht. Mir gefielen besonders seine halblangen Pässe und die entsprechende Laufarbeit; da sah einiges nach Trainingseffekt aus, wie der Ball nach vorn kam. Zweites Beispiel Peer Kluge, bisher unausgeglichen, gestern unermüdlich zwischen Produktivität und Absicherung abwägend, manchmal in einer einzigen Bewegung, einer Kehrtwende, die stellenweise technische Finesse zeigte.

Dazu der schon bisher deutlich erkennbaren Aktivposten Ben-Hatira, eine gute Flanke von Ndjeng, ein Tor von Ramos, keine zweite gelbe Karte für Lustenberger (der in Halbzeit eins ein, zwei prekäre Momente hatte), ein gelungener Kopfballrückpass von Brooks (der damit eine entsprechende ältere Szene zu den Akten legte, die zu einem Gegentor geführt hatte), ein langweiliger Abend für Kraft. Bleibt als Sorgenkind Allagui, was aber angesichts der mannschaftsstarken Offensivabteilung, die Manager Preetz eingekauft hat, verkraftbar sein könnte.

Der Kommentator des Bezahlsenders sprach mehrfach von Niemeyer als "Denker und Lenker" des Hertha-Spiels, was in etwas zu großem Abstand zu dessen eher zutreffendem Selbstverständnis als "Drecksau" steht. Aber es ist etwas Wahres dran. In einer funktionierenden Mannschaft wird das Denken und Lenken beinahe unsichtbar, und Hertha hat das gestern 45 Minuten lang angedeutet. Es war ein Zweitligaspiel, entsprechend umkämpft war es auch im Detail. Aber es war auch ein Konzept sichtbar. Guter Moment, um in eine Länderspielpause zu gehen - und in ein Wochenende mit Arsenal bei West Ham und mit dem spanischen Clásico.

Montag, Oktober 01, 2012

Espagna

Ich war eine Woche in Spanien, habe dort zwar mitbekommen, was so gespielt wurde (auch der solide Dreier von Hertha gegen Dresden), aber nicht alles gesehen (leider auch nicht das spannende 2:3 zwischen Sevilla und Barcelona). Nun bin ich wieder da, und heute Abend werde ich mir nicht entgehen lassen, wenn Hertha sich anschickt, vielleicht zum ersten Mal einen Aufstiegsrang zu besetzen. Als Souvenir habe ich nicht dieses Knirpstrikot von CR7 mit nach Hause gebracht, sondern ganz klassisch eine Kappe des FC Barcelona, die ich meiner einschlägigen Sammlung zuführen werde.