Dienstag, September 03, 2013

Houdinismus

Es hatte etwas von einer amerikanischen Präsidentschaftswahl, wie sich die letzte Nacht der Transferperiode in diesem Sommer gestern entwickelte. Viele Nachrichten, von denen viele sehr lang auf Bestätigung warten ließen, manche konnten schließlich gar nicht bestätigt werden, der eine oder andere Wechsel fiel durch, weil: "too close to call".

Hertha wurde noch aktiv und leiht Tolga Cigerci für eine Saison vom VfL Wolfsburg aus, eine kleine, pragmatische Maßnahme, die genau richtig dosiert ist, um Ronny ein wenig anzuspornen und Mukhtar nicht vor den Kopf zu stoßen. Ich habe ihn letztes Jahr bei Gladbach gelegentlich gesehen, er ist auf jeden Fall ein interessanter Spieler, von dem sich nun weisen wird, ob er sich in das Luhukay-Ethos finden wird.

Wesentlich hektischer als in Deutschland, wo die Clubs während der Transferzeit ihre Aufgaben erledigt hatten, ging es in England zu. Dort gab es sogar echte Blamagen. Manchester United hatte Ander Herrera von Atletico Bilbao vermeintlich schon sicher, doch dann ging doch noch etwas schief, und es war zu spät, um zu korrigieren.

Der Transfer des Abends gelang aber Arsenal: Mesut Özil wechselt von Real Madrid nach London, und zwar für eine zweifache Rekordsumme - er wird der teuerste Spieler, den Arsenal jemals verpflichtet hat, und auch der teuerste deutsche Spieler, der jemals einen Verein gewechselt hat. Arsène Wenger kann also mit einigem Recht behaupten, dass einer späten Karriere als Entfesselungskünstler nichts im Wege steht. Am Sonntag hat seine Mannschaft das Derby gegen Tottenham (Gareth Bale raus, sieben teure Neue) verdient mit 1:0 gewonnen (durch ein virtuoses Tor von Giroud). Am Tag darauf nun also eine spektakuläre Neuverpflichtung, die vor allem der "midfield maestro" Tomas Rosicky wehmütig sehen wird.

Denn Özil (oder Ozil, oder Oezil, über den Umlaut wurde in England gestern schon viel geschrieben) wird natürlich der neue Maestro. Er wird gut in die Mannschaft passen, aus drei Gründen: Cazorla hat gerade am Sonntag angedeutet, dass ihm die Position auf links, von der aus er nach innen ziehen kann, sehr behagt; Ramsey und Wilshere (oder neuerdings wieder Flamini) sorgen im zentralen Mittelfeld für die nötige Kombination aus Biss und Kreativität; und Walcott und Giroud gehen in die Lücken. Mit Özil kommt ein Element hinzu, das seit Bergkamp und Fabregas fehlte: ein Air von absoluter Weltklasse.

Für den immer noch jungen Mann aus Gelsenkirchen steckt in dieser Sache allerdings auch eine Demütigung. Er sah sich gezwungen, zu einem Club aus der zweiten Reihe zu wechseln (wobei für mich Real Madrid da momentan auch - noch - dazugehört, allerdings nur sportlich; in jeder anderen Hinsicht sind sie natürlich galaktisch). Ich hoffe, er nimmt es sportlich, und führt Arsenal ein Stück nach oben. Wenn wir Pech haben, verstärkt sich seine andere Tendenz, und er taucht ab, wenn es hart wird. Dagegen spricht für meine Begriffe, dass Arsenal - angeführt von Aaron Ramsey - eine neue Haltung entwickelt, die von enormer Leidenschaft geprägt ist. Flamini (ablösefrei) erwies sich am Sonntag jedenfalls gleich als einer, der da bestens dazu passt.

Der Coup mit Özil sollte aber nicht überstrahlen, dass Arsenal keinen Stürmer verpflichten konnte. Sie hängen also ganz und gar von Giroud ab, einer exzellenten ersten Wahl - was aber, wenn er sich verletzt? Dann müsste Walcott zentral spielen, was zu einer eher barcelonischen oder peppigen Konzeption führen würde. Die Transferbilanz von Wenger ist also gemischt, er wird sich aber voll und ganz legitimiert sehen, und tatsächlich kann man von einer gerade noch erfolgreichen Schlussoffensive sprechen, wobei ich sagen würde, dass Flamini fast so wichtig werden könnte wie Özil. Das wäre eine herrliche Ironie, ungefähr so, als hätte Hertha Kacar zurückgeholt, und der würde wieder zu einer Säule. Wofür ja nun leider nicht nur nicht so viel spricht, sondern gar nichts. Es wäre ja auch schon zu spät. Für dieses Mal.

Montag, September 02, 2013

Frustrationstoleranz

Die Niederlage in Wolfsburg war auch deswegen so bitter, weil sie durch nur zwei Aussetzer knapp hinter einander und unmittelbar vor der Pause bedingt war (ich addiere so: Ben-Hatira und Langkamp teilen sich das erste Gegentor, Brooks hat das zweite für sich allein). Gegen Nürnberg war der Rückschlag vor der Pause noch verarbeitbar, gegen Wolfsburg nicht mehr.

Gestern kam dann noch die Nachricht, dass Alexander Baumjohann fast die ganze restliche Saison wegen einer schweren Knieverletzung ausfallen wird. So brutal ist Fußball: Er hatte sich in Berlin gut eingeführt, es ist ja hier irgendwie auch seine letzte Chance, mit seinem Talent doch einmal ordentlich zu wuchern. Und nun das. Sein Auftritt beim RBB vor einer Woche hat mir gut gefallen, er präsentierte sich auf eine professionelle, aber nicht arrogante Weise; ohne Zweifel zählte er in dieser frühen Phase der Saison zu den spannendsten Herthanern.

Nun folgt eine Länderspielpause, während Luhukay und Preetz mit den verbliebenen Spielern sich neu sortieren müssen. Dazu gehört auch eine Personalie. Pierre-Michel Lasogga, der "Bär", wie ich ihn gern genannt habe, wird an den HSV verliehen, allerdings ohne Kaufoption. Im Gegenzug kommt ein norwegischer Spieler, Per Skjelbred, ein Offensiv-Allrounder. Ich sehe das Manöver mit gemischten Gefühlen, denn Lasogga ist für mich nicht nur ein exzellenter Stürmer, er ist auch eine wichtige Identifikationsfigur. Andererseits führt für ihn an Adrián Ramos derzeit kein Weg vorbei, allerdings habe ich ihn immer als Nummer zwei im Angriff gesehen und nie als Nummer vier, wie er zuletzt mehrfach tituliert wurde. Denken wir kurz einmal den Worst Case durch, wie es ja Aufgabe des Managements ist: Adrián Ramos fällt (so wie Baumjohann) für den Rest der Spielzeit aus.

Dann wäre für meine Begriffe Allagui der einzige verbliebene Qualitätsstürmer. Sandro Wagner ist auch noch da, der Kicker berichtete sogar, dass sein Vertrag verlängert werden soll. Worauf diese Entscheidungen fußen, ist nicht leicht nachvollziehbar, jedenfalls nicht für jemand, der nicht nach Trainingsleistungen oder Kabinenstimmungsfaktoren gehen kann, die ich ja nicht beobachte. Die Wahrheit auf dem Platz rechtfertigt eine Vertragsverlängerung eigentlich nicht.

Andererseits kann man Lasogga die Möglichkeit, sich eine Spielzeit lang in Hamburg zu präsentieren, nicht versagen. Ich hoffe, er schafft dort den Durchbruch, allerdings wird er danach weg sein, sofern es Hertha gelingt, mit Ramos zu verlängern. Mit einem der beiden wird der Club (einiges) Geld verdienen, das kann man mit ein bisschen Optimismus annehmen.

Für Baumjohann gibt es im Kader natürlich direkten Ersatz. Ronny kann nun den Beweis antreten, dass er ein Erstligaspieler der gehobenen Klasse ist. Immerhin haben wir damit auch ein Thema vom Tisch, das mir immer als verfehlt erschien: Die Doppelzehn, die ja auch in Wolfsburg (wo Baumjohann zu einem vazierenden Außenspieler wurde) wenig brachte.

Nach der Länderspielpause kommt der VfB Stuttgart, der nach der Entlassung von Bruno Labaddia am Sonntag gleich einmal Hoffenheim mit 6:2 nach Hause schickte. Die Grundlagen für ein drittes erfolgreiches Heimspiel sind vorhanden, doch nun muss Luhukay zum ersten Mal in dieser Saison daran arbeiten, dass Enttäuschungen die Motivation nicht verderben. Die nach wie vor vorhandene Dichte im Kader (Ndjeng, van den Bergh, Niemeyer halten die Spannung hoch, Mukhtar ist eine interessante Wild Card) sollte dazu beitragen. Und wenn das eine Saison wird, in der das Olympiastadion eine Festung wird, während die Auswärtsfahrten sich schwierig gestalten, dann wäre das ein brauchbarer Weg.

PS Die großartigen Fans lange nach dem Spiel

Samstag, August 31, 2013

Arbeitsniederlage

Das spontane Telegramm zum Auswärtsspiel in Wolfsburg: Die Niederlage geht in Ordnung, auch wenn sie einen schalen Beigeschmack hat. Hertha hatte nach 20 Minuten begonnen, das Spiel zu gestalten, nach vierzig Minuten aber folgten zwei folgenschwere Szenen: Naldo kommt in einem gähnend leeren Halbfeld zu einem missglückten Schuss, den Olic attackiert, während Langkamp passiv bleibt: 0:1. Kurz darauf kann Brooks im Fünfmeterraum einen Ball nicht gut klären, er versucht mit ein wenig zu viel Schmackes zu korrigieren, Diego holt sich einen Elfmeter, den er selbst verwandelt.

Ein Rückschlag vor der Pause, der in der zweiten Halbzeit nicht korrigiert werden kann - auch deswegen, weil Luhukay nicht überzeugend wechselt (warum  der bewährt sinnlose Wagner? warum Ramos, der im Zentrum mit Ronny viel besser harmoniert, auf die Außenbahn?), vor allem aber deswegen, weil Wolfsburg demonstriert, warum die Liga allgemein so stark an Niveau gewonnen hat. Hecking hatte mindestens einen so guten Plan heute wie Luhukay, mit den zwei Toren im Rücken konnte Wolfsburg mit einem geschickten Offensivpressing Hertha doch sehr gut eindämmen. Wäre es nicht vielleicht klüger gewesen, doch positionelle Wechsel vorzunehmen (Kluge für Hosogaj, Ronny für Baumjohann)? Ich denke, dass das ein besseres Flügelspiel gewährleistet hätte, und mehr Torgefahr.

Insgesamt aber geht die Mannschaft intakt aus der Sache hervor. Gut gefielen mir Langkamp (in einigen Szenen deutet sich da ein Leader an), Schulz, Lustenberger, eigentlich auch fast alle anderen. Das Ankommen in der Liga, Phase 4: guter Fußball wird fast überall gespielt, es kommt auf Nuancen an, Hertha war heute nur 20 Minuten zwingend. Pausen, wie Baumjohann sie sich immer wieder nimmt, sind Pausen der ganzen Mannschaft. Auch der Coach ist nicht unfehlbar. Wie sollte er auch. Hertha spielt erste Liga, und das auch im vierten Spiel absolut konkurrenzfähig.

Donnerstag, August 29, 2013

Millionendomino

Wir nähern uns der entscheidenden Phase der Transferperiode dieses Sommers. Selbst bei Hertha, wo die wesentlichen Entscheidungen erfreulich früh fielen, könnte sich noch etwas tun. Man liest von möglichen Abgängen von Hubnik oder Ben Sahar, und von einem Interesse an dem Ingolstädter Offensivspieler Caiuby. Unabhängig davon konnte man in den ersten drei Saisonspielen den Eindruck gewinnen, dass Hertha gut aufgestellt ist, wobei vor allem die Balance im Kader interessant erscheint: Sehr viele Spieler können füreinander nicht nur auf dem Platz, sondern auch positionell einstehen. Ohne große Worte hat Jos Luhukay also die Idee von Lucien Favre, auf "polyvalente" Spieler zu setzen, eingelöst - wie überhaupt auffällt, dass Luhukay vieles von dem tut, was Favre seinerzeit vorhatte und wozu er ansetzte, was er sich aber durch eine ungeschickte Politik verdarb. Konzepttrainer sind oft dann am besten, wenn sie wenig von ihren Konzepten reden.

Das Transferdrama, auf das meine Augen besonders gerichtet sind, ereignet sich in London. Arsenal hat nur noch bis nächste Woche Zeit, einen dünnen Kader so weit zu verstärken, damit zumindest die Wahrung der aktuellen Position eines CL-Teilnehmers in Reichweite bleibt. Von einer Rückkehr in die Reihe der eigentlichen "contenders", also der Mannschaften, die um die Titel spielen, wagt man sich inzwischen ja kaum mehr eine Vorstellung zu machen, und das ist im Grunde ein Skandal, denn die geschäftlichen Faktoren sehen Arsenal weiterhin unter den europäischen Topclubs. Doch die Leistungen sprechen derzeit eher für eine Einordnung in der erweiterten Spitze, mit prekärer Nähe zum oberen Mittelfeld.

Die vergangene Woche brachte ein wenig Erleichterung, nachdem Fenerbahce und Fulham sich als schwache Gegner erwiesen. Zudem hat Wenger nach wie vor eine fähige erste Elf, wobei er aktuell davon profitiert, dass Aaron Ramsey seine interessante Entwicklung aus der letzten Saison fortsetzt. Ich sehe ihn vom Typ und vom Talent her fast auf einer Ebene mit Fabregas (einstmals die Nummer 4 bei Arsenal, und ein tolles Paar mit Mathieu Flamini, damals Nummer 16, der heuer als "freier Agent" zurückkehrte nach einer mäßig erfolgreichen Zeit bei Milan).

Heuer setzt Ramsey das Spiel wegen der Verletzung von Arteta von weiter hinten an, in einer flexiblen Partnerschaft mit Wilshere. Technisch und in den Zweikämpfen hat er sich noch einmal verbessert, seine taktische Intelligenz ist ohnehin in Ordnung, sein Auge ist manchmal brillant, alles Faktoren, die seinen größten Nachteil, die mangelnde Antrittsschnelligkeit, aufwiegen können. Giroud ist ein Angreifer mit enormem Potential, die Spielfreude von Cazorla wog zuletzt schon wieder seine Erschöpfung von einem langen Sommer auf. Mertesacker füllt seine derzeitige Leader-Rolle gut aus, Sczeszny würde ich ohnehin nicht zurückstufen.

Und dann zeigt Arsenal sogar neuerdings wieder so etwas wie ein planvolles Spiel gegen den Ball. Es gibt also keinen Grund, vor dem Derby gegen Tottenham am Wochenende Trübsal zu blasen. Doch auf Sicht einer langen Saison mit vier Bewerben ist der Kader auf eine schockierende Weise lückenhaft. Die internen Probleme, die dazu führten, dass Arsenal in diesem Sommer noch keinen wesentlichen Transfer zuwegebrachte, werden in den Berichten immer nur angedeutet. Sie sind aber offensichtlich.

Nun hängt nach Meinung fast aller Beobachter alles an Real Madrid. Dort soll, in bewährt großspuriger Manier und gegen jegliche taktische Überlegung, Gareth Bale verpflichtet werden, für eine ungeheure Summe, die es mit sich bringt, dass ein paar Spielern die Tür gewiesen werden könnte. Da zudem ein Gebot für Liverpools Luis Suarez im Raum steht, könnten Benzema, Di Maria, sogar Özil in Madrid disponibel werden. Arsène Wenger, der Mann mit dem letzten Wort bei Arsenal, steht unter dem Druck, einen "großen Namen" bringen zu müssen. Ich hoffe stark, er bleibt sich zumindest in dieser einen Hinsicht treu und überrascht uns alle am Montag noch mit drei, vier klugen Einkäufen in der mittleren Preisklasse und für Positionen, auf denen Arsenal wirklich Bedarf hat. Äquivalente zu dem Hosogaj-Transfer von Hertha, wenn man so will.

Denn die Grundlagen für eine große Kampagne wären ja eigentlich immer noch gegeben bei Arsenal. Es müsste nur einfach besser gearbeitet werden. Ich bin gespannt.

PS Nach der Auslosung: Schöne, schwere Gruppe für Arsenal, dieses Mal wird es nicht reichen, mit einer in den Winter hinein kraftloser werdenden Leistung den zweiten Platz mitzunehmen; es wird in allen Spielen um alles gehen. Keine Todesgruppe, aber doch eine echte Herausforderung.

Montag, August 26, 2013

Normen und Werte

Der Trainer wurde ziemlich grundsätzlich nach dem Sieg gegen Hamburg. Seine Einlassungen hatten dabei den Charakter von Orakelsprüchen. Denn man kann sie drehen und wenden, so richtig genau wird man nicht herausbekommen, ob er eher über die Berliner Boulevardzeitung erbost ist, die in tatsächlich letztklassiger Manier eine junge Frau vorgeführt hat, oder über seine Profis, die neben dem Beruf auch noch ein Privatleben (und innerhalb desselben ein nicht immer monogames Sexualleben haben). Luhukay sprach von den "Normen und Werten" des Lebens, der RBB schnitt wie zur Verdeutlichung eine Aufnahme von seiner Frau und seiner Tochter dazwischen - ein Familienmensch, der im Hotel wohnt, bekommt es zum ersten Mal so richtig mit den Konkurrenzgesetzen auf dem Berliner Aufmerksamkeitsmarkt zu tun. Dass es dabei wirklich "knallhart" zugeht, dass junge Leute für 5000 Euro der Meute zum Fraß vorgeworfen werden, ist wohl auch für ihn die schlimmere Seite dieser Angelegenheit; gleichzeitig wird er sich keine Illusionen darüber machen, dass die Spieler von ihrer Stellung in dieser knallharten Gesellschaft nicht immer wieder profitieren, und Sex ist nun einmal das, worauf alles hinausläuft. Ask Dieter Bohlen.

Die Sache ist nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil sie uns erlaubt, ein wenig besser zu verstehen, wie Luhukays Autorität bei Hertha verfasst ist. Es ist eine natürliche Autorität, und das ist doch ein bisschen erstaunlich bei einem nicht allzu groß gewachsenen, dunkelhäutigen Mann mit Schnauzer. Luhukay ist einer jener Typen, die so uncool sind, dass sie schon wieder cool sind; nicht, dass er es in irgendeiner Form darauf anlegte.

Nach allem, was so aus der Mannschaft nach außen dringt, verfügt er über eine sehr gute Pädagogik. Das bedeutet eben, zum jeweiligen Zeitpunkt den richtigen Ton zu treffen. Mit der Autorität ist es ja eine Gratwanderung, wenn man sie einmal überreizt, oder es nicht versteht, seine Maßnahmen plausibel zu machen, dann ist die Sache schon aus dem Lot. Bei Luhukay ist die Sache aber im Augenblick so im Lot, dass man es ihm sogar abnimmt, wenn er über "Normen und Werte" spricht.

Nun zu dem konkreten Beispiel, das dieses Wochenende bot. Es ist ein wenig rätselhaft. Luhukay nahm nämlich schon in der 23. Minute Brooks vom Feld, brachte dafür Niemeyer, Lustenberger ging in die Viererkette. Ich ging von einer Verletzung aus, doch in der Pressekonferenz erläuterte der Trainer ziemlich genau, dass es eine taktische Maßnahme war: Lustenberger wäre besser im "Durchschieben", Langkamp bestünde in Einszueinssituationen auch ohne Absicherung. Dabei ging es wohl darum, dass Lustenberger gelegentlich auf van der Vaart gehen sollte, ohne dass dadurch ein ähnlicher Fehler zustandekäme wie neulich in Nürnberg, als Janker weiter vorn attackierte.

Ich habe mir das Spiel noch einmal angesehen, und konnte beim besten Willen nichts feststellen, worauf Luhukays Auffassung begründet gewesen wäre, dass Brooks "nicht gut ins Spiel" gefunden hätte. Van der Vaart war vollkommen wirkungslos, Hertha hatte nach 20 Minuten bereits angefangen, sich das Spiel zurechtzulegen. Brooks hatte ein, zweimal hinten eingegriffen, war einmal vorn neben Ramos aufgetaucht; er spielte diskret, wie eigentlich fast immer. Dass Langkamp ihn in irgendeiner Form "manndecken" musste, wie das bei Mijatovic vor zwei Jahren noch häufig notwendig war, konnte ich nicht sehen. Bleibt als Möglichkeit noch, dass Luhukay die Spieleröffnung variantenreicher machen wollte - doch warum hat er das dann in der PK nicht so gesagt?

Es kam also Niemeyer, und weil der ehemalige Kapitän gut spielte, wurde etwas über diesen Kader 2013/2014 erkennbar, das sich als wichtig erweisen dürfte. Er beruht auf flacher Hierarchie insofern, als es nur ganz wenige herausragende Spieler gibt (ich würde meinen: Kraft und Ramos), während ansonsten für fast jede Position zwei ordentliche Besetzungen vorhanden sind, zumal wenn man die Polyvalenten (Lustenberger, Ndjeng, nun auch Schulz) berücksichtigt. Luhukay muss also moderieren, er tut das mit großer Ruhe. Verständlicher wird die Auswechslung vom Samstag nicht. Sie hatte aber den Effekt, Niemeyer früh in der Saison aus der Ecke zu holen. Vielleicht war es ja sogar umgekehrt, und Luhukay hatte begriffen, dass der HSV es erlaubte, der alten "Drecksau" (Niemeyer in einem fußballrhetorisch unglücklichen Moment über sich selbst) ein wenig Auslauf zu geben.

Aber auch das gehört zu einer guten Autorität: dass sie Geheimnisse hat. Es dürfen nur keine Geheimnisse sein, für die sich die Schreizeitungen interessieren würden.


Samstag, August 24, 2013

Kalkuliertes Risiko

Ein paar spontane Worte zum 1:0-Heimsieg gegen den HSV. Als die Spieler auf ihrer Ehrenrunde waren, trotteten Ronny und Ramos ein wenig hinterher. Dann ließ sich Nico Schulz zu ihnen zurückfallen, die beiden Starlegionäre (gilt das Wort eigentlich noch?) nahmen ihn in die Mitte. Es war die Geste, mit der das Spiel besiegelt wurde, bevor die Ostkurve, der dieser Sieg mehr als allen anderen (außer den Spielern und JLu) zu gönnen ist, die Mannschaft in Empfang nahm. Der Coach hatte heute etwas riskiert, und sein Manöver war voll aufgegangen. Niemand hätte sich gewundert, wenn er die konservativere Variante mit Holland links hinten gewählt hätte. Doch er stellte mit Nico Schulz den dritten Leftback im dritten Ligaspiel in dieser Saison auf.

Zur Halbzeit war ich ein wenig in Sorge, ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der den Debütanten (in dieser Rolle in der ersten Liga) in der Kabine gelassen hätte, er war ja mit Gelb vorbelastet und hatte ein, zwei Wackler gehabt. Doch in der zweiten Halbzeit verlagerte sich das Hertha-Spiel, das im ersten Durchgang vor allem Baumjohann geprägt hatte, nach links, und wieder einmal gab es für das Tor, das Nico Schulz Adrián Ramos auflegte, mehrere Generalproben. Der Sieg ist unendlich befriedigend, denn er war verdient, hart erarbeitet, er beruht auf einer echten Mannschaftsleistung, und darauf, dass der Coach (von der Mannschaft, aber auch vom Spiel) ein wenig mehr wollte, als nur das Minimalprogramm - das wäre ein Remis gewesen, zur Bestätigung des guten Starts. Luhukay wollte den Sieg, die Mannschaft schenkte ihm einen denkwürdigen.

Mittwoch, August 21, 2013

Beratungsresistenz

Ziemlich ramponiert ist der Arsenal FC gestern nach Istanbul gereist, wo heute das Qualifitkationsspiel für die Gruppenphase der Champion's League gegen Fenerbahce ansteht. Der türkische Verein spielt unter dem Vorbehalt einer Sperre wegen Spielmanipulation, gegen die noch ein Einspruch offen ist. Es kann also gut sein, dass Arsenal nächste Woche kampflos weiterkommt - da werden die beiden Matches aber schon gespielt sein. Am Wochenende gab es zur Eröffnung der EPL 2013/14 ein 1:3 gegen Aston Villa vor eigenem Publikum, ein Match so richtig zum Vergessen mit drei Verletzten (Gibbs, Oxlade-Chamberlain, Sagna), einem erratischen Schiedsrichter, einer gelb-roten Karte für Koscielny (während sein Gegenüber Vlaar aus absolut unerfindlichen Gründen geschon wurde) und einer Mannschaftsleistung, die so ungeordnet war, wie es der augenblicklich stark lückenhafte Kader nicht anders zuließ.

Arsenal hat in diesem Sommer noch keinen neuen Spieler verpflichtet, trotz einer deutlichen Ansage, dass finanziell bedeutende Möglichkeiten bestehen (Kenner sprechen von 80 bis 150 Millionen Euro). Die Verletzung von Arteta macht nur zu deutlich, dass besonders für seine Position kein Ersatz zur Verfügung steht. Gegen Villa spielte Ramsey auf der Sechserposition, Wilshere leicht versetzt neben ihm, beide fanden offensiv wenig Möglichkeiten, sich einzubringen. Dazu kam der von einem langen Sommer indisponierte Cazorla, der das wichtige zweite Gegentor einleitete. So blieben nach der Verletzung von Oxlade-Chamberlain nur noch Giroud und Rosicky, die etwas probierten. Der in der 94. Minute eingewechselte Lukas Podolski wurde von den Fans zum Man of the Match gewählt. Im Übrigen wurden sie mir ihren Gesängen deutlich: Spend some f***ing money.

Die Probleme von Arsenal sind aber grundsätzlicher, und ich war richtiggehend erleichtert, dass der Supporters Trust sie diese Woche in einer Stellungnahme endlich einmal so angesprochen hat. Arsène Wenger hat viel zu viele Kompetenzen, er ist im Grunde die einzige Person, die sportliche Entscheidungen trifft. Das Scouting funktioniert immer noch halbwegs gut (Giroud und Cazorla kamen letztes Jahr, beide sind ein Gewinn), aber das Team Building ist ungenügend, weil Wenger sich für Taktik nicht interessiert. Dazu kommt eine gewisse Naivität hinsichtlich der Stellung von Arsenal in Europa, die am besten in dem ganz offensichtlich schlecht vorbereiteten Gebot für Lars Bender zum Ausdruck kam. Es ist keineswegs so, dass man Topspieler leicht bekommen kann, es hat sich eben schon herumgesprochen, dass Arsenal eher im Niedergang als auf dem Weg nach oben ist. Jemand wie Lewandowski ist vollkommen außer Reichweite.

Auch deswegen war es ein Fehler, dass der bereits weit verhandelte Transfer von Gonzalo Higuain nicht vollzogen wurde. Arsenal wollte pokern, inzwischen ist der Argentinier längst bei Napoli, und nun gehen die plausiblen Transferziele aus. Dass man sich um Yohan Cabaye von Newcastle bemüht, wird allgemein als Panikmaßnahme gewertet. Ich sehe das auch so, denn der Franzose füllt keine der eklatanten Lücken im Kader (defensives Mittelfeld, Defensive zentral und außen, Angriffszentrum), sondern würde nur zu der Vielzahl von halbswegs guten Offensvivspielern zählen. (Oxlade-Chamberlain, der vielversprechend wirkte, wird einige Monate fehlen. Rosicky könnte ihn vermutlich vertreten, zur Not auch Podolski, dessen Standing allerdings schon stark beeinträchtigt scheint.)

Was wäre zu tun? Angesichts der Verdienste von Arsène Wenger um den Club, eines unfähigen Boards und eines extrem technokratischen Executives in Ivan Gazidis wird es schwer, einfach einen Neuanfang zu machen. Dazu sind die Leistungen unter Wenger immer noch nominell zu okay (letztes Jahr schon wieder Platz 4). Nun allerdings einfach abzuwarten, bis der "Boss", wie er allgemein intern genannt wird, seinen Kredit endgültig erschöpft hat, wäre fatal. Arsenal braucht Fußballkompetenz, einen Taktiktrainer, einen Sportdirektor, beide müssen mit Wenger gut zusammenarbeiten, was schwierig sein dürfte, denn der "Professor", wie er auch gern genannt wird, wirkt ziemlich beratungsresistent. So werden wir weiterhin gutes Beobachtungsmaterial für eine Studie haben, wie ein Fußballclub (noch dazu einer der größten Europas) nicht geführt werden sollte.

PS am Tag nach dem ersten Fenerbahce-Spiel: Das war kein seriöser Gegner.

Montag, August 19, 2013

Kippbild

Mit dem 2:2 in Nürnberg ist Hertha erst so richtig in der ersten Liga angekommen. Es war ein Spiel, wie es die kommende Saison vermutlich noch oft bringen wird: zwei relativ gleichwertige Teams aus dem (unteren?) Mittelfeld der Liga liefern einander einen intensiven Kampf, bei dem das spielerische Element immer nur in Momenten zum Vorschein kommen kann. Die vielen Zweikämpfe und Fouls, zu denen Hertha vor allem in der ersten Halbzeit gewungen wurde, deuten darauf hin, dass Nürnberg sich da besser durchsetzen konnte. Namentlich Ginczek machte der neu formierten Defensive zu schaffen.

In der Szene vor dem Tor ließ Janker sich aus der Viererkette herauslocken, stellte sich dann aber im Zweikampf ungeschickt an, Lustenberger konnte auch nichts ausrichten, in die Unordnung stieß Drmic. Meines Erachtens war allerdings Ben-Hatira bei dem Spielzug davor, einem exzellenten Hertha-Angriff, einer, würde ich jetzt schon beinahe sagen wollen, typischen Hertha-Bewegung anno 2013/2014, nicht im Abseits (jedenfalls nicht, wenn man im Zweifelsfall für den Angreifer entscheidet), sodass es da auch schon 0:1 stehen hätte können.

Ich erwähne das deswegen, weil die Berichterstattung sich gestern sehr stark auf eine Reihe von kontroversen Entscheidungen konzentrierte, sodass ein wenig unterging, dass Hertha ab ungefähr Minute 50 das Spiel eindeutig übernahm. Die Vokabel, die sich diesbezüglich eingebürgert hat, lautet Zugriff. Hertha bekam Zugriff, der bis zu diesem Zeitpunkt eher alibihaft spielende Baumjohann wachte auf, Allagui spielte einen seiner schwer nachahmlich feinst dosierten Pässe auf Lustenberger, die Flexibilität des Eintracht-Spiels war wieder da. Der Ausgleich lag nahe, es passte aber zum Spiel, dass er auf kuriose Weise fiel: Allaguis brillante Wendung im Strafraum brachte ihn in Schussposition, er rutschte aber aus, sodass der Schuss weit daneben gegangen wäre; zum Glück stand Dabanli im Weg, er lenkte den Ball ins Tor.

Die gelbe Karte gegen Baumjohann sehe ich als akzeptabel an, während 93,26 Prozent am Montag um 8.33 bei Wahre Tabelle sie als Fehlentscheidung verbuchen. Aber ich gehöre ja auch zu denjenigen, die bei der strittigen Elfmeterentscheidung auf die TV-Perspektive von hinten setzen, dort sieht man nämlich, dass Pinola den Ball nicht berührt hat. Von der Seite sieht es anders aus, der Videobeweis ergibt hier also ein Kippbild, ganz klassisch so, wie es der Referee nicht brauchen kann. Er entschied auf Elfmeter, Ronny verwandelte sicher. Hervorzuheben ist an der Sache noch, dass Baumjohann überhaupt so dynamisch in den Strafraum eindrang, auch dazu gab es gegen Frankfurt schon Modellszenen.

Dass der Schiedsrichter schließlich noch spät einen Zweikampf von Brooks als Foul wertete (zu Unrecht, wie für die Fernsehzuschauer ziemlich eindeutig ersichtlich war), gab Kyotake die Gelegenheit zu einem spektakulären Ausgleich. Vielleicht ist der kleine Dämpfer gar nicht schlecht. Hertha geht mit vier Punkten in das Abendspiel gegen den HSV, die Euphorie ist ein wenig gedämpft, die Gründe zum Optimismus sind nicht weniger geworden.

Doch gibt es auch Gründe, die Aufmerksamkeit ratsam sein lassen. In der ersten Halbzeit war zu sehen, dass Hertha nicht so richtig wusste, wie mit dem Spiel umzugehen war. Das Pressing begann vermutlich nach Plan gut zwanzig Meter weiter hinten als beim Heimspiel. Vor allem an Baumjohann konnte man auch sehen, dass es zum Teil eher alibihaft gespielt wurde. Ben-Hatira machte das mit einigen Fouls weit vorne und einer sehr wichtigen Interception im eigenen Strafraum halbwegs wett. Hertha musste erst in die Haken und Ösen finden, könnte man sagen. Es ist eine typische Reaktion auf einen tollen Sieg: Hertha wollte auch in Nürnberg gern spielen, musste sich allerdings in die Verhältnisse finden, und die Zeichen standen nun einmal nicht sofort auf Spiel. Problemzonen waren die linke Defensivseite (Holland hatte Glück, dass ihm die zweite gelbe Karte erspart blieb; Janker wurde relativ früh ausgewechselt), in der ersten Halbzeit das offensive Zentrum, auch Pekarik hatte seine Mühe, weil Allagui nicht so intensiv nach hinten arbeitete.

In der zweiten Halbzeit hatte Hertha das Verhältnis zum Spiel geklärt. Der Coach wechselte auf Sieg ein, wobei man meiner Meinung nach mit Sandro Wagner da nicht wirklich weit kommen wird. So hat das 2:2 eine innere Logik, die sowohl vom Spielverlauf wie von den kontroversen Szenen her auf eine prinzipielle Unentscheidbarkeit dieses Matches verweisen. Der Vergleich mit dem Auftritt in Nürnberg vor eineinhalb Jahren (Winter, Skibbe, Ronny) macht den Unterschied, auf den es ankommt.

Mittwoch, August 14, 2013

Manndeckung

Auf Spielverlagerung gibt es eine Analyse des Hertha-Siegs über Frankfurt, die wie immer äußerst detailliert ist, zum Teil eigentlich schon auf eine Weise, dass mir das Element Plan gegenüber dem Element Improvisation zu einseitig gewichtet scheint. Während des Bayern-Matches am Freitag gab es ja eine lustige Einspielung von Pep Guardiola, so weit ich sehen konnte, war sie ungeschnitten, während der der Meistercoach in wenigen Sekunden so viele Richtungen wies, das das dazugehörige Bewegungsbild seiner Mannschaft nur ein absolutes Chaos ergeben hätte können. Das bringt mich zurück zu dem Gedanken, den die Analyse bei Spielverlagerung bei mir ausgelöst hat. Denn ich habe mich später auch gefragt, wie weit die Hertha-Taktik eigentlich spezifisch auf Frankfurt abgestimmt war, wie genau sie auf die Formation des Gegners reagiert hat, die ja erst am Samstag bekannt wurde, und wie weit sie tatsächlich, wie Spielverlagerung es sieht, schon nach zehn Minuten bedeutsam variiert wurde.

Mein Laienblick, der immer noch unwillkürlich dazu tendiert, nur eine Mannschaft zu "sehen", konzentrierte sich in dieser Hinsicht früh auf Allagui. Ich hatte noch einige Spielsituationen aus dem Pokalspiel im Kopf, und umso klarer war es ersichtlich, dass der nominell rechte Flügelspieler eigentlich häufig viel weiter innen arbeitete, defensiv sowieso, aber im Resultat dann auch in der Umschaltbewegung. Bei seinem ersten Tor aber tauchte er am linken Pfosten auf, insgesamt tauschten die Offensivspieler vielfach die Position, und zwar nicht so, wie noch unter Babbel, wo man den Eindruck hatte, sie täten dies nach der Stechuhr im Viertelstundentakt.

Diese offensive Flexibilität muss wohl durch die vielen Passübungen erarbeitet werden, die man im Training bei Luhukay beobachten kann. Zugleich beruht das System aber defensiv auch auf einer Art Manndeckung. Und das verstärkt wiederum den Faktor Spielverlauf, denn nach dem noch etwas wackligen Beginn war Hertha die Mannschaft, der Frankfurt mehr hinterherlaufen musste, als umgekehrt. Nach dem 3:1 kam es dann eben zu so extrem ungeordneten Situationen wie der vor dem 4:1, das eigentlich ins Exempelbuch der Bewegungsdiagramme gehört - ein Tor auch aus Übermut, denn eigentlich geht Langkamp in keinem normalen Spiel so in die Offensivbewegung, wie er das in diesem Fall tat. Aber da waren eben schon die Räume.

Leider bietet die Bundesliga-Webseite in dieser Saison die Laufleistungen der Teams und auch der Spieler nicht mehr an (auch der Kicker hat die entsprechende Ziffer nicht mehr im ohnehin nicht allzu komplexen Statistikfeld). Es hätte mich doch sehr interessiert, welche Werte Hertha da individuell und kollektiv hatte. Ich vermute einmal, dass die Vereine mit ihrer Lobbyarbeit Erfolg hatten. Ihnen gefiel das ja nie, dass wir unbedarften Fans uns auch ein wenig mit den Zahlen beschäftigen wollten.

Während die Mannschaft längst auf den nächsten Sonntag ausgerichtet ist, werden die Fans von diesem Spiel so schnell nicht ablassen. Auch ich lese immer noch ein wenig weiter dazu, zum Beispiel den Bundesliga-Report von Raphael Honigstein im Guardian, der immerhin fast 300 Kommentare bekommen hat, von denen tatsächlich nicht wenige auch zu Hertha waren. Nehmen wir das einmal als Indiz der potentiellen Strahlkraft des Hauptstadt-Clubs.


Montag, August 12, 2013

Wundertüte

"Dieses Manuskript wäre abgelehnt worden", sagte der Sky-Kommentator Michael Born irgendwann gegen Ende der Übertragung des 6:1-Siegs von Hertha gegen Eintracht Frankfurt am Samstag. Das ist so eine Redewendung, mit der das Überraschende verarbeitet wird. Born übersah aber in der Hitze des Gefechts, dass dieses "Manuskript" eigentlich keine dramaturgischen Schwächen hatte, also nicht mit unplausiblen Wendungen, grotesken Fehlentscheidungen, Göttern aus der Maschine arbeitete. Es hatte eine innere Plausibilität, die aus einem im Grunde einfachen, aber leider so schwer zu erzeugenden Faktor stammt: professionelle Arbeit, die unter idealen Bedingungen zu wunderbarem Spiel wird.

Gestern habe ich mir das Spiel noch einmal in aller Ruhe angesehen, und die Eindrücke aus dem Live-Zusammehang haben sich im wesentlichen bestätigt, im Detail ein wenig verdeutlicht. Dass Frankfurt in den ersten zehn Minuten doch deutlich das Heft in der Hand hatte, war mir ein wenig entgangen, weil ich da schon von den hohen Verteidigungslinien von Hertha fasziniert war (das damit einher gehende Risiko wird sicher Thema dieser Trainingswoche sein, die Eintracht kam doch mehrfach hinter die letzte Hertha-Linie, ein paar Mal zu oft, genau genommen). Das Match war noch keine 60 Sekunden alt, da hatten sich fünf Hertha-Spieler schon auf dem linken Flügel massiert und attackierten die Gegner. In der fünften Minute ging Ben-Hatira an der Eckfahne dort vorn in einen Zweikampf - ein "signature tackling", ein Tackling, das ein Zeichen setzte.

Über die ganzen 90 Minuten überzeugte die Mannschaft durch ein äußerst flexibles Zusammenspiel sowohl im Pressing wie beim Kontern. Allagui ließ sich bei Ballbesitz Frankfurt auf eine zweite Linie zurückfallen, die er mit Lustenberger und Hosogai (und manchmal mit dem vorgeschobenen van den Bergh) bildete. Baumjohann ging vorne in die Mitte, Ramos rückte nach rechts (es gab Varianten, aber das war eine Grundkonstellation). Allagui kam dadurch wie schon gegen Neumünster in einer Situation an den Ball, in der er der ideale Umschaltspieler wurde (nachdem Lustenberger einen Ballgewinn schnell und konstruktiv in seinen Lauf gespielt hatte) - er behauptete im Zweikampf den Ball, sah den Raum für Ben-Hatira, der dieses Mal nicht, wie noch im Cupspiel, selbst abschloss, sondern für Ramos auflegte. 1:0.

Die Bewegung ging von Lustenberger aus, der ein wenig im Schatten des enorm fleißigen und produktiven Hosogai stand; wichtig scheint mir, dass beide äußerst intensiv an der Verbindung der Mannschaftsteile arbeiteten, und die Integration insgesamt stimmte. Als Hertha vor zwei Jahren in die erste Liga zurückkehrte, war die Spielanlage viel, viel konservativer, mit einem defensiven Sechserblock, aus dem allenfalls Ottl ab und zu mit einem Pass nach vorn herausging. Die Mannschaft war unter Babbel weitgehend strukturell halbiert, vorne mussten Raffael, Ramos, Lasogga und manchmal Ebert das Spiel allein bestreiten.

Das ist der entscheidende Unterschied zu Luhukays Hertha, die zumindest am Samstag schon einmal andeutete, dass sie ein integriertes System hat. So etwas lässt sich auch daran erkennen, dass Torerfolge manchmal so etwas wie Generalproben haben, also ähnliche Spielzüge: Allaguis Treffer zum wichtigen 3:1 nach der Pause ging auf eine kurze Bogenflanke zurück, die Baumjohann davor schon zweimal fast identisch geschlagen hatte: vor dem 2:0 und vor dem Lattentreffer von Allagui kurz vor der Pause.

Nichts spricht dagegen, diese Spielanlage mit dem hohen Verteidigen nicht noch gegen eine Reihe weiterer Gegner zu versuchen, jedenfalls in den Heimspielen. Gegen Bayern oder Dortmund wird die Taktik eine andere sein müssen, aber schon gegen Nürnberg ist sie auch auswärts denkbar.

Dass schließlich sogar ein Sebastian Langkamp vor dem 4:1 mit einem "brasilianischen" Moment zu den großartigen Manuskript vom Samstag beitrug, hatte da bereits eine innere Logik. Und so ist es ja mit dem Erzählen: wenn es gelingt, eine Situation plausibel zu etablieren, dann lassen sich auch phantastische Wendungen einbauen. Der Sieg gegen die Eintracht in einem Spiel, das vorab von vielen als "Wundertüte" etikettiert worden war, ist eben doch ein wenig mehr als nur eine Momentaufnahme.

Ich sehe darin so etwas wie eine Geisteraustreibung (zu der auch das Wetter sein dramaturgisches Moment beitrug): All das Ungemach der letzten Jahre, das viele Pech und manche zum Teil absurde Entscheidung auf der Führungsebene, sind jetzt gebannt. Das einzige, was man gegen Pleiten, Pech und Pannen, die jederzeit zurückkommen können, tun kann, hat Hertha am Samstag getan: gut gearbeitet, vernünftig riskiert, dem Glück eine Chance gegeben.

Samstag, August 10, 2013

Auftakt Frankfurt

Ein paar schnelle, erste Stichworte kurz nach diesem wunderbaren Nachmittag. Hertha ist erstligareif. Mehr noch: Hertha hat Kontakt zum modernen Fußball. (Wann hatten wir das zuletzt?) Das Pressing hat von der ersten Minute an wunderbar funktioniert. Originell war es auch (Allagui ging bei Spieleröffnung Frankfurt oft ins Zentrum). Hosogai ist jeden Cent seiner Ablöse wert. Allagui verteilt und verwertet Bälle. Ben-Hatira gibt Nico Schulz die erforderliche Entwicklungszeit (denn der Stammplatz linksaußen steht vorerst fest). Die Defensive hatte wacklige Momente, konnte aber auf die Vorderleute zählen. Das Olympiastadion hat einen anderen Rasen als der VfR Neumünster. Zum ersten Mal überhaupt, seit ich dieser Mannschaft folge, bin ich mit jedem Spieler in der Startelf einverstanden. Kein Ottl weit und breit. Kein Bayern-Gen, an dem wir vor zwei Jahren erstickt sind. Alle tun nach ihren Möglichkeiten das Beste - mehr verlangt niemand, es reicht für einen verheißungsvollen Start. Und was da heute in der 18. Minute zu verspüren war, individuell, kollektiv, das war einer der besten Momente, die ich als Fußballfan erlebt habe. Vier (w)irre Jahre fanden heute einen denkwürdigen Abschluss. Nun mögen die Mühen der Ebene kommen.

Dienstag, August 06, 2013

Holperdiestolper

Als Hertha am Sonntag in der ersten Runde des DFB-Pokalbewerbs 2013/2014 gegen den VfR Neumünster antrat, saß ich gerade in Nürnberg fest. Ein Unwetter in Bayern hatte den Betrieb des Hertha-Hauptsponsors ziemlich durcheinander gebracht, dazu kamen andere "Störungen im Betriebsablauf".

Spätnachts kam ich nach Hause, und dann stellte ich erst einmal fest, dass es Hertha TV nicht mehr gibt, jedenfalls nicht den Kanal, den ich abonniert zu haben glaubte. Das Spiel gibt es nur auf SkyGo zu sehen, in bemerkenswerter Auflösung, allerdings nur noch für ein paar Tage. Ein Spiele-Archiv, was ein Klubkanal ja eigentlich sein oder jedenfalls allmählich werden sollte, gibt es nicht mehr. Dazu ein anderes Mal mehr.

Was ist nun aus dem mühsamen 3:2 nach Verlängerung abzuleiten? Nicht viel, würde ich meinen. Die Wetterverhältnisse waren eindeutig ein Faktor, der unebene Platz auch. Ein angereister Bundesligist wird in so einer Situation fast immer Schwierigkeiten haben, zumal, wenn es ein so stark neu formierter wie Hertha 2013 ist.

Negativ fiel auf, dass keiner, auch nicht der neue Kapitän, in der zweiten Halbzeit so etwas wie Initiative zeigte, also einen sichtbaren Versuch, das Spiel zu intensivieren. Den frühen Führungstreffer von Neumünster in Halbzeit eins nach einem Foul von Njdeng und einem Freistoß an der Strafraumgrenze hatte Ben-Hatira schon bald egalisiert (Ndjeng leitete den Spielzug mit einem schönen, langen Vertikalpass auf den gut startenden Allagui ein), später erzielte Ben-Hatira nach einem schönen Diagonalverlagerungspass des relativ auffälligen Allagui sogar die Führung.

In der zweiten Halbzeit wurde der Auftritt der Herthaner aber zunehmend apathischer, und neuerlich schaffte Ndjeng es, maßgeblich an einem Treffer beteiligt zu sein: Er köpfte einen langen Ball auf den langen Pfosten so in den Strafraum zurück, dass Neumünsters Kramer keine Mühe hatte, per Kopf zu verwerten (an Langkamp könnte man man hier eine leise Frage hinsichtlich Handlungsschnelligkeit stellen). Das Programm für die zweite Halbzeit war allerdings unmittelbar nach Wiederanpfiff am deutlichsten zu sehen gewesen, als Hertha, noch 2:1 vorn, minutenlanges Ballgeschiebe rund um Brooks und Langkamp zeigte. Die relativ problemlose Wendung des Spiels nach Rückstand in der ersten Halbzeit hatte wohl doch die mentale Spannung zu stark reduziert.

In den Medien wird vor allem Lustenberger wegen eines schwachen Auftritts hervorgehoben. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass die Erwartungen an den neuen Kapitän insgesamt zu hoch sind. Dass er als alleiniger Sechser souverän schalten und walten wird, dass er einerseits einen vorgeschobenen Ausputzer spielt, der andererseits gewonnene Bälle umstandslos wieder in den Offensivbetrieb einspeist, dafür ist seine Spielanlage wohl doch zu konservativ. Ohnehin ist noch offen, wer am Samstag an seiner Seite sein wird, davon wird sehr stark abhängen, wie sich sein Spiel entwickelt. In Neumünster jedenfalls ließ Kluge sich zunehmend stärker an seine Seite zurückfallen.

Unverständlich war für meine Begriffe, warum Luhukay so besonders früh den Wechsel Wagner für Ramos vornahm. Die beiden Spieler sind gleichen Typs, aber deutlich unterschiedlicher Begabung. Ramos war nicht sonderlich involviert, ist aber jederzeit, gerade gegen so einen Gegner, für eine spezielle Aktion gut; Wagner ist das eher nicht.

Sami Allagui gilt zu Recht als der "man of the match" auf Berliner Seite. Ihm gelang auch bei weitem nicht alles, aber er machte deutlich, dass er die Position auf dem rechten Flügel, die er ursprünglich ja nicht so richtig mochte, dass er sie (durch Antritte) interpretiert, dass er etwas will. Das gilt auch für Marcel Ndeng, der trotz seiner Sonntagsböcke für meine Begriffe gut zu Allagui passt.

In vier Tagen geht es los, es könnte dann neuerlich sehr heiß sein, doch wird dann die Kulisse eine andere sein, und der Rasen wird kurz gemäht sein. Erst dann wissen wir mehr, in Neumünster ging es einzig und allein darum, nicht zu den Blamierten der ersten Runde zu gehören.

Donnerstag, Juli 18, 2013

Intentionalität

Allmählich wird die Zeitspanne überblickbar, die uns noch von der Wiederaufnahme des Ligaspielbetriebs trennt. Die Premier League wird eine Woche nach der Bundesliga starten. Arsenal beginnt mit einem Heimspiel gegen Aston Villa. Große Transfers gibt es noch nicht zu vermelden, bisher ist Yaya Sanogo die einzige Verpflichtung, ein talentierter junger Mittelstürmer aus Frankreich.

Offiziell geboten hat Arsenal für Lars Bender von Bayer Leverkusen und Luis Suárez vom Liverpool FC, wobei die Konstellationen jeweils unterschiedlich sind: Im Falle von Bender halte ich das Interesse für seriös, im Falle von Suárez glaube ich an ein taktisches Manöver, das Ziel dürfte wohl immer noch Gonzalo Higuain von Real Madrid sein. Ob Arsenal ernsthaft daran denkt, um Wayne Rooney mitzubieten, ist kaum zu durchschauen, ich hoffe jedenfalls, dass da nichts dran ist.

Jedenfalls beginnt die britische Presse langsam, Druck aufzubauen. Arsenal müsse ein "statement of intent" abgeben, es brauche jetzt ein signifikantes "signing", auch um sich als Titelkandidat für die nächste Saison zu deklarieren. Sehen wir die Sache doch einmal umgekehrt: Wo sind die Stellen im Kader, die besetzt werden müssen?

Tor: Für meine Begriffe ist Szceszny ein exzellenter Keeper mit großer Perspektive. Ich würde auf jeden Fall an ihm als Nummer eins festhalten. Fabianski ist ein akzeptabler Vertreter, eine stärkere Nummer zwei würde sicher nicht schaden. Kandidaten, die gelegentlich für die Nummer eins genannt werden, sind Julio César oder Tim Krul. Geheimtipp, falls noch etwas Spektakuläres passieren sollte: René Adler.

Defensive: Vermaelen bleibt Kapitän, fällt aber wegen einer Rückenverletzung mindestens zwei Monate aus. Interessanter Fall jedenfalls, denn Arsenal ginge mit einem Mannschaftsführer in die Saison, der nicht erste Wahl ist. Koscielny, wenn es nicht noch einen Abwerbungsversuch gibt, ist gesetzt. Mertesacker hat auch gute Chancen auf einen Stammplatz, ist aber dafür nicht gut genug. Eine Spitzenkraft für die Innenverteidigung ist absolut unumgänglich. Kandidat: Ashley Williams (Swansea), Kostenpunkt um die zehn Millionen Pfund. Könnte der neue Sol Campbell werden, könnte an Feilscherei scheitern. Die Außenverteidigung ist mit Sagna, Jenkinson, Gibbs und Monreal passabel, aber keineswegs herausragend besetzt.

Mittelfeld: Arteta hatte eine mittelmäßige Saison, er braucht auf jeden Fall starke Konkurrenz. Deswegen das Gebot für Lars Bender. Der "holding midfielder" ist die zweite Position, auf der Arsenal auf jeden Fall jemanden kaufen muss. Wenger spielt gewöhnlich mit einem zentralen Dreieck, in dem sich zuletzt Ramsey als "Achter" mit großem Aktionsradius festgespielt hat, davor war meist Cazorla als "Zehner", eine Position, auf die auch Wilshere drängt, während Oxlade-Chamberlain zuletzt mehrfach als Achter probiert wurde, eine Rolle, die auch Wilshere einnehmen kann. Es hängt also viel am Ausgangspunkt des Dreiecks, auf der Position, die der Abwehr am nächsten ist.

Offensive: Ich halte viel von Olivier Giroud, es wäre aber doch angebracht, einen Topstürmer zu holen. Higuain wäre ideal, eigentlich hätte Arsenal gut daran getan, da so früh wie möglich klare Verhältnisse zu schaffen, wie es der BVB mit Mkhytarian getan hat. Doch es war entweder nicht möglich, oder man will noch ein paar Millionen sparen. Prinzipiell könnte ein Angriff mit Walcott, Giroud und Podolski funktionieren, doch sah man in der vergangenen Saison häufig, dass die beiden Winger defensiv immer noch viele Aussetzer haben, das liegt an einem generellen taktischen Defizit: Arsenal spielt kein organisiertes Pressing, das scheint Wenger einfach nicht zu interessieren.

Auf der Tournee in Südostasien sind derzeit eine ganze Reihe von Talenten zu sehen: Serge Gnabry, Thomas Eisfeld oder der sehr interessante, 16jährige deutsch-äthiopische Mittelfeldspieler Gedion Zelalem. An einem inzwischen schon beinahe "ewigen" Talent wie Ryo Myaichi sieht man aber auch, dass die Durchlässigkeit nach ganz oben kaum gegeben ist. Schon bei Oxlade-Chamberlain, für den Arsenal vor zwei Jahren immerhin 12 Millionen Euro bezahlt hat, ist unklar, was eigentlich aus ihm werden soll - am ehesten könnte er Walcott verdrängen.

Fazit: Arsenals Aufgaben in diesem Sommer sind keine Geheimwissenschaft, mit drei markanten Einkäufen könnte sich die Balance im Kader so verbessern, dass auch wieder eine Stimmung von Wettbewerbsfähigkeit entsteht. Man merkt derzeit ja meistens kaum, dass Arsenal der sechstgrößte Club in Europa ist, so sehr verweisen die Leistungen auf das erweiterte Mittelfeld. Das entscheidende Faktum wird aber werden, ob Arsène Wenger, unumschränkter Herrscher bei Arsenal, gewillt ist, sich noch einmal eingehend mit dem Spiel als solchem zu beschäftigen. Mehrfach wirkte seine Mannschaft in den letzten Jahren ein wenig verdutzt über das, was da geradeso vorgeht da draußen (denken wir an das Heimspiel gegen den FC Bayern).

Es wird an der Zeit, sich darauf einzustellen. Arsenal hat die Mittel, und auch eine gute Basis im Kader, um wieder um Titel mitzuspielen. Einkäufe allein aber werden nicht entscheidend sein, es braucht eine Neuausrichtung in taktischer Hinsicht, ein Ende der Selbstgefälligkeit, die sich zuletzt häufig in ödem Ballbesitzfußball äußerte, eine Art Barcelona B, mit den gleichen Problemen. Wenger muss den Heynckes machen, vielleicht wäre er gut beraten, sich dafür einen Sammer zu holen. Das wäre dann vielleicht der Königstransfer. Er wird nicht stattfinden.

Mittwoch, Juli 17, 2013

Phantom Krakau





























Eines meiner kurioseren Fanerlebnisse hatte ich gestern, weil ich die Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Dass Hertha am Nachmittag ein Testspiel gegen Wisla Krakau abhalten würde, hatte ich vor ein paar Wochen von einem befreundeten Fan erfahren. Ich trug den Termin in meinen Kalender ein, fuhr auf Urlaub, kam Montagabend zurück, und fuhr selbstverständlich Dienstagnachmittag nach Westen. In Pichelsberg verließ ich die S-Bahn, bummelte am Glockenturm vorbei zum Eingang zum Olympia-Gelände. Da kam mir auch schon etwas sonderbar vor. Der Security-Mann fragte nach meinem Begehr, ich besaß die Geistesgegenwart, ihm nichts von meinem Interesse an dem Spiel zu sagen: "Zur Geschäftsstelle", wollte ich vorgeblich. Er ließ mich durch, ich spazierte los, und fand also tatsächlich am Amateurstadion keine Fans, sondern nur sehr viel Polizei und Wachpersonal vor.

Ich lungerte ein wenig herum, wurde aber bald in deutlichen Worten zum Abmarsch gebeten. Da kam gerade Adriàn Ramos des Wegs, in zivil und sichtlich nicht für einen Einsatz vorgesehen. Mir blieb nichts anderes übrig als das Gelände in die andere Richtung zur U2 hin wieder zu verlassen. Dort traf ich noch auf zwei polnische Fans, die seit vielen Jahren in Berlin leben und die ein wenig verwundert darüber waren, dass man bei Hertha offensichtlich Angst vor ihnen hatte. Befürchtungen wegen ausschreitungswilliger Anhänger waren angeblich der Grund für den Ausschluss des Publikums von diesem Spiel. Wie dem auch sei, heute lese ich, dass es einen 2:0-Sieg von Hertha gab, mit einer immerhin schon ein wenig aussagekräftigen Viererkette (Ndjeng, Langkamp, Brooks, van den Bergh), mit Kluge neben Lustenberger, und mit dem Bären im Angriff.

In eineinhalb Wochen wird offiziell die Saison eröffnet, dann werde ich wieder dort sein. Und vielleicht auch die polnischen Berliner, die wie ich gestern unverrichteter Dinge wieder abzogen.

Samstag, Juli 06, 2013

Gespanntheit

Immer öfter passiert es mir, dass ein englisches Wort für mich etwas besser zum Ausdruck bringt, als ein entsprechendes deutsches. Zum Beispiel "anticipation". Das meint irgendetwas zwischen Vorfreude und Aufregung, eine positive Gespanntheit, die gerade durch die Terminierung der ersten fünf Bundesligarunden noch einmal ein wenig verstärkt wurde. Ich bin gerade ein paar Tage in Kiew, gestern kam ich an dem (nur mehr selten bespielten) Stadion von Dinamo Kiew vorbei, das natürlich nach Walerij Lobanowskyj benannt ist - eine prächtig-altertümliche Anlage aus der kommunistischen Zeit, in der ich auch gern einmal eine Begegnung sehen würde. Am Sonntag spielt Dinamo gegen Spartak Moskau, das geht sich für mich nicht aus, denn ich fliege morgens zurück nach Berlin.

Was trägt noch zur "anticipation" bei? Einige Bundesliga-Transfers finde ich äußerst vielversprechend. Die Rekonstruktionsarbeit beim BVB scheint mit einem von den meisten Medien bereits vermeldeten, wenn auch noch nicht vollständig vollzogenen Wechsel einen entscheidenden Schritt weiter gekommen zu sein: Auf Henrikh Mkhytarian freue ich mich wie auf kaum einen anderen Spieler, der kommende Saison in Deutschland zu sehen sein wird. Fast noch spannender aber finde ich, was der FC Freiburg macht - und da kommt auch Hertha wieder ins Spiel. Denn Gelson Fernandes stand 2007 auf der Wunschliste von Lucien Favre, es wurden sogar 3,5 Millionen Euro für ihn geboten, doch der junge Mann wechselte von Sion zu Manchester City. Den Durchbruch schaffte er so richtig nirgends, in Freiburg findet er jetzt vielleicht die Bedingungen, die es ihm erlauben, sich doch noch zu bewähren.

Die drei Namen, die in jenem auch von großer Antizipation geprägten Sommer von 2007 mehrfach genannt wurden, habe ich nie vergessen: Gökhan Inler, Blerim Dzemaili und eben Gelson Fernandes. Alle hatten, wie man so schön sagt, durchwachsene Karrieren bisher, auch Inler hat den ganz großen Sprung nie geschafft. Dzemaili ist bei Napoli zu einem interessanten Spieler gereift, nachdem er viel Pech hatte. Ich komme auf diese Namen immer wieder zurück, weil sie einen Moment lang mit Hertha verbunden waren, als es in Berlin einmal ein "Projekt" gab - das dann aus verschiedensten Gründen fürchterlich daneben ging.

Gelson Fernandes wird in Freiburg, wo es eindeutig auch ein Projekt gibt, einen interessanten Partner bekommen: Francis Coquelin wird von Arsenal an Freiburg verliehen. Nach Havard Nordveidt und Johan Djourou ist das nun schon der dritte Spieler, der aus Islington in die Bundesliga wechselt, ein Manöver, das in jeder Hinsicht Sinn macht. Für die Premier League ist Coquelin nicht stark genug, jedenfalls nicht für ein Arsenal, das um den Titel mitspielen möchte. In eine Mannschaft wie Freiburg könnte er hingegen exzellent hineinpassen.

Damit gibt es jetzt schon eine ganze Reihe von Teams, die mich in dieser Saison verstärkt interessieren werden: Neben Hertha sicher wieder Bremen, dazu Gladbach, Freiburg und der BVB; um den FCB werden wir sowieso nicht herumkommen. Da gibt es also einiges zu schauen, mit einem Match pro Wochenende wird es nicht immer sein Bewenden haben können.

Dazu kommt, dass Arsenal in England mit der Verpflichtung von Gonzalo Higuain (mit dem ich an einer Stelle tatsächlich einmal Marco Djuricin verglichen habe) ein "statement of intent" abgegeben hat. Von einem "Ende der Stagnation" schreibt die britische Presse. Dazu ein anderes Mal mehr.

Sonntag, Juni 30, 2013

Sonntagsausflug

In Gesellschaft des Kollegen Valdano bin ich heute nach Strausberg gezuckelt, weil Hertha dort ein Freundschaftsspiel austrug. Es war eine Begegnung, die sehr gut zum Stand der Saisonvorbereitung passt, mit zwei Formationen, die jeweils eine Halbzeit bestritten und die wiederum in sich so strukturiert waren, dass keine Präferenzen in Hinsicht auf etwaige Stammpositionen erkennbar wurden (mit der einen Kleinigkeit vielleicht, dass Lustenberger im Mittelfeld auflief). Baumjohann sah ich zum ersten Mal bei Hertha, er war, wie man so schön sagt, in Spiellaune, und natürlich konnten wir uns die üblichen Witzeleien nicht ganz verkneifen, dass das vielleicht schon das Optimum für ihn gewesen sein könnte (ich hoffe ja, dass Luhukay ihn noch zur Reife bringt). Hier eine kleine Fotostrecke.





























Marcel Ndjeng hat gerade den Führungstreffer erzielt (feine Einzelleistung, Gruppenfreude)





























Vielversprechende Spielsituation für unsere Nummer 12: Ronninho





























Entspannte Gesichter von hinten: Manager Preetz und Präsident Gegenbauer





























Modellathlet oder ein bisschen zu viel im Kraftraum gewesen? Änis Ben-Hatira





























Balljunge in einem Stadion, das eindeutig keine reine Fußballarena ist





























Ungeregelter Kreuzungsverkehr in der Rückwärtsbewegung: Mukhtar und Holland





























Klammheimliche Befriedigung? Strausberg hat gerade den Ehrenbrecher erzielt (siehe Pulk links)





























Der Spieler im gelben Jersey erwies sich schließlich als Held des Tages - er machte zahlreiche gute Gelegenheiten von Hertha zunichte, und wurde von den Strausberger Fans gefeiert. Ich liebe diese Saisonphase, sie ist ein einziges Versprechen, alles ist theoretisch möglich, sogar ein Stammplatz für Hubnik (Bildmitte, Nummer 4). Nur die Leibchen sind ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Und damit schalte ich um zum unnötigsten Turnier der Welt, zum Confed Cup, den ich bisher ignoriert habe, dem ich mich aber heute doch zuwenden werden. Ich möchte nämlich Neymar einmal spielen sehen (den brasilianischen Mukhtar). Ha Ho He, Hertha BSC around the world, around the world.

Sonntag, Juni 23, 2013

Zaungast

Der Sommer ist da, die Tage werden kürzer, die Spielpläne für die neue Saison sind veröffentlicht, und morgen kommt der Pep nach Bayern. Hertha BSC begann schon heute mit dem Training, bei idealen Bedingungen, ein ganz leichtes Lüfterl Herbst war zu verspüren. Keine Show-Einheit, sondern gleich seriöse Arbeit: Passfolgen, Automatismen, Laufwege, all das versteht man besser, wenn man diese Übungen sieht. Als kleine Überraschung gab es eine Strafraumszene mit John Anthony Brooks (wohl nicht überzubewerten). Ein paar fehlten noch, aber auch ohne den Bären macht dieser Kader schon Spaß. Bei der anschließenden informellen Autogrammstunde war deutlich zu sehen, dass der Sympathieträger Nummer eins Fabian Lustenberger ist. Hier eine kleine Fotostrecke.




















Sonntag, Juni 16, 2013

Planstellen





























Zwei exzellente Keeper prägten am Samstag das Finale der B-Junioren um die deutsche Meisterschaft 2013. Hertha verlor nach starker zweiter Halbzeit 0:1, hätte aber durchaus Chancen auf ein Remis oder mehr gehabt. Ich habe diesem Team nun zweimal innerhalb von einer Woche zugeschaut, und dabei wieder große Lust auf Nachwuchs-Fußball bekommen.

Der Berliner Tormann heißt Nils-Jonathan Körber, Jahrgang 1996, er war gut beschäftigt, wirkt stark beim Herauslaufen, insgesamt ruhig und souverän. Der Teamgeist scheint gut zu sein, wir sahen niemand, der herumjammerte oder zu provozieren versuchte. Es ist schon erstaunlich, was für eine professionelle Darbietung das war. Auch in Hinsicht auf Staffelung, Pressing, Positionswechsel.

Neulich gab es einmal irgendwo einen Text, der den schleichenden Bedeutungsverlust der U23 beschrieb - das kann ich nachvollziehen, denn im Grunde ist in diesem Alter das Entscheidende bereits gelaufen. Die A- und B-Junioren sind die Bewerbe, auf die ich im kommenden Jahr wieder ein wenig schauen werde. Jetzt, da die Perspektive für die jungen Spieler wieder die erste Bundesliga ist, und wo es ein wenig den Eindruck macht, als könnte sich in Berlin doch noch einmal so etwas wie ein integriert kompetentes Konzept entwickeln, macht auch die Beobachtung des Nachwuchses wieder Spaß.

Sonntag, Juni 09, 2013

Sommersause

Die U17 von Hertha hat uns an diesem Sonntagnachmittag ein großartiges Geschenk gemacht: Ein weiteres Spiel. Durch das 2:2 gegen Schalke 04 (nach 1:0 im Auswärtsspiel vergangene Woche) steht die von Andreas Thom betreute Mannschaft im Finale der B-Junioren Bundesliga. Das bedeutet ein weiteres Live-Spiel vor der langen Sommerpause, und wenn wir das heutige Match als Gradmesser nehmen, dann können wir uns wirklich darauf freuen. Es war großartig spannend, das Niveau war beachtlich, am Ende schien es zwar, als wären die Herthaner ein wenig auf dem Zahnfleisch, aber es reichte. Zweimal hatte Schalke eine Hertha-Führung egalisiert, danach stand das Spiel auf der Kippe, aber die Auswärtstorregel hätte glaube ich nicht gezählt, sodass es für Hertha vor allem darum ging, ein Elfmeterschießen zu vermeiden. Die Thom-Elf spielte mit einem sehr interessanten, flexiblen System, das im Grunde von einer Fünferkette ausging.





























Davor gab es eine sehr flexible Vierergruppe, mit dem Kapitän Pelivan als tiefstem Spieler. Mirbach sah ich zumeist auf dem linken Flügel, dort holte er auch den Strafstoß heraus, durch den Hertha in Führung ging. Kauter ging perfekt in die Räume, das zahlte sich beim 2:1 aus. Dazwischen hatte Bodenröder für Schalke ausgeglichen, nachdem Torunarigha (der nächste Brooks?) einen Ball nicht aus dem Strafraum gebracht hatte (zeugt aber auch von dem enormen Ballhunger beider Mannschaften). Dieser Bodenröder orientiert sich deutlich an einem sehr großen Vorbild: an Lionel Messi. Und er sieht sich wohl als Führungsspieler. Nach dem Pausenpfiff ließ er alle Kollegen in die Kabine gehen, er aber wartete auf den Coach, mit dem er etwas zu besprechen hatte: Frank Fahrenhorst.





























Worauf kann man bei so einem Spiel achten? Man kann sich natürlich auch einfach mitreißen lassen, ich war im Grunde genau so drinnen in dem Spiel wie neulich, als ich Arsenal in Newcastle sah. Die Nähe zum Spielfeld ist aber natürlich unbezahlbar (knapp 1800 Zuschauer waren da). Man kann da noch sehr viel genauer sehen, wie gescheit sich manche Spieler schon bewegen, während der Ball noch zu ihnen unterwegs ist; man kann Einzelaktionen goutieren wie einen (seinen einzigen) Antritt des konzentrierten Linksverteidigers Traeder; man kann das Pressing beobachten, das bemerkenswert war, auch von der Technik her, denn es ist ja gar nicht so leicht, einem Gegner ohne Foul den Ball wegzunehmen. Einige Male war ich echt erstaunt über die Qualität, die da zu sehen war.

So haben wir also noch ein Spiel mit dieser Mannschaft vor uns in diesem Sommer, der heute so großartig begonnen hat. Es wird, wenn ich richtig verstanden habe, in Berlin stattfinden. So kam es jedenfalls vom Stadionfunk. Eigentlich sollte dann die Hütte richtig voll sein, denn was heute schon geboten wurde, war großer Sport.




























Sonntag, Mai 26, 2013

Rosige Zeiten

Der FCB hat mit einem 2:1 gegen den BVB das wichtigste Drittel des designierten Triples errungen. Es war ein verdienter Sieg, dessen Zustandekommen ich mit ein paar Freunden im leider von vielen Werbeblöcken unterbrochenen Programm des deutschen Bezahlsenders verfolgt habe. Am Ende kam das für meine Begriffe relevanteste Argument von David: Wembley 2013 bedeutet nicht zuletzt, dass uns die schwer zu ertragende Generation von 2001 nicht mehr allzu lange auf die Nerven gehen wird. Kahn und Effenberg haben bald ausgedient, sie sind nun nicht mehr das Alpha und Omega, sondern eine Episode in den Geschichtsbüchern.

Philip Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und zwei hochkarätige Legionäre aus Frankreich und den Niederlanden haben Geschichte geschrieben. Mir gefiel besonders, dass die beiden Flügelspieler Ribéry und Robben sich für das entscheidende Tor in der Nähe des Elfmeterpunkts trafen, um inmitten eines beträchtlichen Getümmels von Beinen eine äußerst filigrane Kombination aus Bewegungen auf engstem Raum zu inszenieren - in der Zeitlupe konnte man gut sehen, dass das beinahe Eishockey-Qualitäten hatte, wie der Ball da - Ribérys Hacke, deflection, Robben nimmt ihn noch einmal ein wenig nach links, schiebt ihn dann nach rechts, er kullert ins Tor - durch das Gewirr geführt wurde.

Schon in der ersten Halbzeit hatten wir deutlich das Gefühl, dass Dortmund bei Angriffen des FCB eigentlich deutlich offener war, als umgekehrt, auch wenn der BVB ein exzellentes Spiel machte. Die Umstände dieser Niederlage sind es auch, die mich am Ende versöhnlich stimmten (ich war für den BVB, aus positiven Gründen wie aus den üblichen, dass ich den FCB einfach nie mochte in all seiner bajuwarischen Popanzerei). Klopp und sein Team haben gezeigt, dass es rein spielerisch möglich ist, die Bayern herauszufordern, die mit ihrem Geld und der gnadenlos zusammengekauften Kompetenz ja drohen, nicht nur den deutschen Fußball auf Jahre hinaus zu einer öden Angelegenheit werden zu lassen. Damit diese Herausforderung aber auch Zählbares bringt, muss einfach alles stimmen, und es lassen sich glaube ich ziemlich klar die Faktoren benennen, die dann doch nicht stimmten.

Erstens funktionierte der Matchplan nicht. Das Führungstor in der ersten halben Stunde gelang nicht, und dann spielte auch der Schiedsrichter eine Rolle, als er Dante bei seinem Foul an Reus keine zweite gelbe Karte gab, wie es eigentlich angebracht gewesen wäre. Dass Neuer nachher davon sprach, ihm wäre in dieser Phase des Spiels der "Arsch auf Grundeis", lässt erkennen, dass Bayern bei 1:1 und mit zehn Mann vielleicht ins Wanken gekommen wären.

Zweitens ist der Kader des BVB eindeutig zu klein. Klopp hatte im Grunde niemand auf der Bank, der als "game changer", wie das vor dem Spiel in England als "talking point" benannt worden war, in Frage kam. Bayern hätte dagegen optimistisch auch auf die Verlängerung bauen können, mit einem nicht zuletzt physisch enorm starken Team.

Drittens braucht es für den "underdog" in so einem Spiel eine herausragende Leistung seiner Einzelkönner. Und da fiel vor allem Lewandowski negativ auf. Er hatte bis auf ein paar Szenen in der ersten Halbzeit ein schwaches Spiel, mit zunehmender Übermacht der Bayern konnte er seine Entlastungsrolle (Ball behaupten, Zeit gewinnen, Konstellationen schaffen) überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Niemand wird jemals wissen, welche Rolle dabei das ganze Durcheinander um seinen Transfer gespielt hat, aber Klopp ließ in seinem sehr souveränen, sehr diplomatischen Interview bei Sky hinterher durchklingen, dass Lewandowskis Berater in der vergangenen Woche der Konzentration zumindest nicht zuträglich gewesen waren. Der brillante polnische Angreifer war die "lame duck" von Wembley, schade eigentlich, denn wenn er Pech hat, war das auch schon der Zenit seiner Karriere. Guardiola hat ja schon den einen oder anderen Topstürmer nicht so richtig gebrauchen können.

Das bringt mich abschließend zu dem Punkt, auf den allein zu hoffen ist: dass die Bayern demnächst vielleicht vor lauter Kraft nicht mehr gehen können könnten. Ohnehin schon werden sie im kommenden Jahr einen Kader von ausgesuchter Brutalität haben, mit einem Toni Kroos, der im Grunde keinen Auftrag mehr hat, dazu mit einem Robben, der nun der große Held ist, aber eigentlich auch schon als disponibel galt. Von außen wird ihnen sehr schwer beizukommen sein, wir können nur auf auf Königsdramen im Inneren hoffen, die ihnen die "rosigen Zeiten" (Philipp Lahm) verderben könnten, die sie vor sich haben. Und darauf, dass der BVB gut investiert. Nach drei peinlich schlecht instruierten Gegnern (Arsenal, Juventus, Barcelona) traf Bayern im CL-Finale immerhin auf eine sehr satisfaktionsfähige Mannschaft. Deswegen war es ein wunderbares Spiel mit vielen grandiosen Szenen (und, nebenbei, in Halbzeit eins glaube ich mit einer der höchsten Nettospielzeiten aller Zeiten).

Beim Abschied habe ich den Freunden noch eine Frage gestellt: Wieviele Jahre müssen ins Land ziehen, bis wir uns Hertha in so einem Spiel vorstellen können? Die Antwort war (abgesehen von lautem Gelächter) klar: Der Abstand wird niemals aufzuholen sein. Im internationalen Fußball sind die Weichen auf Gigantomachie gestellt, und Hertha kann allenfalls darauf verweisen, dass zwei Teilnehmer vom Samstag einmal in Berlin gespielt haben. Daraus ließe sich immerhin eine Identität als Ausbildungsclub aufbauen. Und da zeigt der BVB ja doch ganz gut, wie weit das gehen kann.


Mittwoch, Mai 22, 2013

Blitzkrieg Slop

Während Hertha am Sonntag eine rauschende Aufstiegsparty begann, war ich in England. Ich hatte mir wieder einmal einen Besuch in einem berühmten Stadion vorgenommen: St. James' Park in Newcastle. Der passende Anlass bot sich durch das Auswärtsspiel von Arsenal, bei dem es noch um eine Menge ging. Nur durch einen Sieg konnte Platz 4 in der Abschlusstabelle sichergestellt werden, und damit die Teilnahme an der Qualifikationsrunde für die kommende Champion's League. Tottenham Hotspur lauerte auf der Verfolgerposition.

Leider habe ich am Abend eines tollen Tages in Newcastle, an dem ich später im lokalen Filmclub The Star and Shadow Cinema auch noch Akira Kurosawas Sanjuro sah, meine Kamera in einem Taxi liegen lassen. Alle Fotos und Filme sind somit verloren, schade, denn die Atmosphäre war großartig. Newcastle ist ein Traditionsclub, das sieht man an vielen Details, eines meiner liebsten war die Einspielung des legendären Haderns Blitzkrieg Bop kurz vor Spielbeginn. Das Stadion liegt zentrumsnahe, wobei sich wie in so vielen postindustriellen Städten das Geschehen insgesamt deutlich an die Ränder verlagert hat, wo sich offensichtlich neue ökonomische Grundlagen entwickeln (das Reisebüro, über das ich gebucht hatte, hatte mich auch in ein Hotel sehr weit draußen geschickt, wo Kreuzfahrtsenioren, Stag-Party-Horden und Geschäftsleute aufeinandertreffen).

Arsenal gewann 1:0, aber das eigentliche Ereignis für mich waren die mitgereisten Fans, die hoch über mir, sozusagen in meinem Nacken, großartig mitmachten. Der zentrale Arsenal-Chant geht mir ohnehin leicht über die Lippen, insgesamt haben die englischen Fans durchaus noch viel zu bieten, trotz all der Klagen über die Entwicklung der Premier League, die sich von den traditionellen Fanbases angeblich entfernt. Sportlich war Arsenal wieder nicht gut. Trotz acht Siegen aus den letzten zehn Spielen und einer beeindruckenden Aufholjagd auf Tottenham ist das Team alles andere als überzeugend - der "blitzkrieg" war eher sloppy. Doch dazu werde ich mir während der Sommerpause noch ausführlicher Gedanken machen. Die ersten paar Monate dieses Jahres waren aus verschiedenen Gründen sehr intensiv, nun hoffe ich, ein wenig mehr Zeit zu haben. Sollte jemand von einer schwarzen Samsung mit Schneider Kreuznach Objektiv hören, auf der viele verwackelte Filme mit Fußballfans drauf sind, das ist meine.

Freitag, Mai 10, 2013

Mores von Moyes

Die Personalie der Woche kommt aus England, genauer gesagt: aus Schottland. David Moyes wird Nachfolger von Alex Ferguson bei Manchester United. In einer sehr weit zurückliegenden Vergangenheit spielten beide einmal für die Drumchapel Amateurs, nicht gemeinsam natürlich, dazu ist der Altersunterschied zu groß. Ich bedauere die Sache, denn ich hätte mir gewünscht, dass Moyes Arsenal übernimmt, möglichst bald. Nun ist eine weitere Weiche gestellt, und der vielleicht interessanteste britische Trainer ist vom Markt. Dass es ein kurzfristiges Engagement werden könnte, nehmen nur wenige Beobachter an. Dazu hat Moyes mit dem FC Everton, der in diesem Jahr zum zweiten Mal in Folge vor dem Lokalrivalen FC Liverpool abschließen wird (eine Seltenheit bisher), einfach zu gute Arbeit über einen zu langen Zeitraum geleistet, als dass er nun bei der Alphatruppe von United scheitern müsste.

Mir gefällt an Moyes eine ganze Menge: er ist als Typ nicht larmoyant (eine Eigenschaft, die mir bei Arsène Wenger zunehmend auf die Nerven geht), er steht für einen rechtschaffenen Pragmatismus, bei dem es nie eine Rolle gespielt hat, dass Everton finanziell weit hinter den Rivalen lag, mit denen es sich zuletzt mehrfach um die europäischen Plätze duellierte. Diesen Umständen ist es sicherlich geschuldet, dass Moyes immer zuerst auf kompakte Strategien baute, und dass der doppelte Defensivriegel, wie ihn Chelsea unter Mourinho schon einmal zur Reinkultur gebracht hatte, in einer etwas flexibleren Variante sein erstes Prinzip war. Das sollte aber nicht übersehen lassen, dass er offensiv durchaus eine Menge aus seinen Teams herausholte. Wie er zuletzt den nur schwerfällig aussehenden Victor Anichebe wieder zu einer Waffe machte, das ist klassisches "upsetting", und die Flexibilität, mit der er Fellaini quer über das Spielfeld und die Systeme zum Einsatz brachte, war immer interessant. Dazu kommt, dass Spieler wie Leon Osman unter Moyes wirklich Steigerungen erkennen ließen, und irgendwie fügte Everton doch jedes Jahr einen Spieler dem Ensemble hinzu, der weiterhalf.

Vor allem aber machte die Mannschaft fast immer den Eindruck, dass sie wusste, was zu tun war. Das macht ja Arsenal oft so schwer erträglich: dass da ein Team so spielt, als gäbe es den eigenen Stil noch, aber so, als wäre dieser selbstverständlich und bedürfte nicht der Hinterfragung. In den nächsten zehn Tagen spielt Arsenal gegen Wigan und Newcastle und zugleich mit Chelsea und Tottenham um Platz 3 und 4. Die Ausgangsposition ist nicht schlecht, mit zwei Siegen wäre zumindest die CL-Qualifikation sicher. Doch liegt das letzte überzeugende Spiel schon lange zurück, und insgesamt ist nicht zu übersehen, dass ein Plan und eine neue Identität fehlen. David Moyes hätte ich zugetraut, dass er sich mit Arsenal auch auf die nächste Stufe seiner Arbeit begeben könnte: ein Gesamtkonzept aus Kompaktheit und Freiheit zu entwickeln. Das wird er nun in Manchester versuchen, wo das Projekt der Verstetigung des Erfolgs in eine sehr interessante Phase geht. Ob man bei Arsenal hingegen über die Verstetigung des "underachievements" noch einmal hinauskommen wird?