Sonntag, April 30, 2006

Glücksspiel


Hinter mit liegt eine der verrücktesten Arbeitswochen, seit ich in Berlin bin. Das Spiel von Arsenal in Villareal habe ich aber natürlich trotzdem gesehen - Christian, Simon und Stefan waren da. Die Großaufnahme von Riquelme, der sich mit der Zunge über die Lippen leckt, bevor er in der 88. Minute zum Penalty anläuft, ist seither ungezählte Male wiederholt worden. Er war angespannt, und wenn Arsenal sich den Einzug ins Finale verdient hat, dann auch dadurch, daß sie Riquelme das ganze Spiel hindurch so wenig Raum gelassen haben, daß sich für ihn schließlich alles auf eine einzige, direkte, allzu unkomplizierte Möglichkeit reduziert hat. Lehmann hat den Elfer gehalten, damit geht uns Premiere seither in jeder Pause auf die Nerven. Der Keeper und sein Trainer haben im Interview nach dem Spiel die gleiche Vokabel verwendet: "Glück". Geduld und Disziplin beider Mannschaften waren außergewöhnlich. Das Glück, das sich in dieser CL-Saison früh mit Arsenal assoziiert hat (der FC Thun kann davon berichten), blieb auf der richtigen Seite. Denn ein Finale Barcelona-Villareal wäre dann doch weniger vielversprechend gewesen als Arsenal-Barcelona. Wenger hat auch schon versprochen, seine Mannschaft werde im Finale anders spielen. Nervös werden sie trotzdem sein, diesen Nachteil müssen sie überwinden. Den britischen Zeitungen "läuft schon das Wasser im Mund zusammen", wenn sie an das Duell Iniesta-Fabregas und die restlichen Traumkonstellationen denken. Mir auch.

Sonntag, April 23, 2006

Offener Sack


Eigentlich wollte ich das Auswärtsspiel der Hertha bei Mönchengladbach ja mit Christian live anschauen - er der leidenschaftlichste Bökelberger, den ich kenne; ich ein durch den Uefacup leicht abgekühlter, aber immer noch hoffnungsfroher Herthaner. Aus terminlichen Gründen ging das nicht, ich saß allein vor dem Fernseher. Durch die Verletzung von Simunic mußte Coach Götz umstellen. Er tat dies konservativ, brachte Kovac ins Team zurück und zog Chahed in die Viererkette nach hinten. Dazu schied Yildiray Bastürk schon nach einer halben Stunde aus, ohne daß ein größeres Problem ersichtlich gewesen wäre. Daß die Partie schließlich 2:2 ausging, ist typisch für die Hertha, die gestern in der zweiten Halbzeit so überlegen war wie in der ganzen Saison sonst nur einmal, im Herbst in Köln. Da wurde großartig kombiniert, aber auch viel vergeudet. Gilberto erwies sich als Meister der Invention, nicht aber der Präzision. Gladbach rannte ohnmächtig hinterher, dann kam sogar noch Jeff Strasser, und wie sehr das Remis am Ende eine Niederlage der Hertha war, bewies Trainer Köppel, der am liebsten die Pfeife gekapert hätte, um selbst den Schlußpfiff zu setzen. War auch eine enge Sache, denn in letzter Sekunde zog Gilberto noch einmal so knapp am Gehäuse von Kasey Kellerwand vorbei, daß die Grundfesten der neuen Arena wackelten. Wenn das Fernsehbild nicht trügt (und die Kamera auf einem Zeppelin befestigt ist), dann haben die Gladbacher ein beeindruckend großes Feld. Die Hertha hat das genossen, aber nicht genützt. Jetzt ist die ganze Saison zu einem offenen Sack geworden, bei dem nicht ganz klar ist, ob oben soviele Punkte hineinkommen, wie die Hertha hinten hinaus immer liegen läßt. Gegen Gladbach zum Beispiel steht es nach den zwei Saisonspielen 4:4 bei zwei Remis. Klingt nach Mittelmaß im Mittelfeld.

Nächste Generation


Gestern also vier Stunden vor der Kiste. Die erste Viertelstunde von Arsenal gegen Tottenham (direkte Konkurrenten um den vierten Platz in der Premier League) habe ich wegen technischer Probleme mit dem Digitalreceiver von Premiere versäumt. Ich war dann ein wenig erstaunt, als ich feststellte, daß Wenger wie schon gegen MeanU neulich ohne Henry spielen ließ. Auch Fabregas und Eboue saßen auf der Bank - ein Tribut an die Doppelbelastung wenige Tage vor dem Spiel gegen Villareal. Wenger setzt also auf die CL und ist bereit, in der Liga großes Risiko zu gehen. Tottenham war überlegen, der zweite Arsenal-Sturm mit Adebayor und van Persie blieb harmlos. Hleb fehlte auch an allen Ecken und Enden, weil Reyes kaum einmal Tempo aufnehmen konnte, und Adebayor gute Zuspiele meistens weit wegspringen ließ. Das 0:1 war kontrovers, weil es aus einer Situation heraus entstand, die man auch abpfeifen hätte können - zwei Arsenal-Spieler lagen nach einem Zusammenprall auf dem Boden. Aber der Rückstand entsprach eher dem Spielverlauf als eine Arsenal-Führung. Wenger bewies wieder einmal, daß er ein echter Hitzkopf und souverän nur beim Gewinnen ist. Er sah super distinguiert aus mit seinem weißen Hemd und der Krawatte an diesem Londoner Frühlingstag, aber er verlor stark die Fassung. Henry hielt den Schaden danach mit einem Schlenzertor in Grenzen, wie nur er es derzeit erzielen kann. Meine Theorie, daß die nächste Generation von Arsenal bald so weit sein könnte, seinen Abgang zu kompensieren, wurde gestern falsifiziert - für den Moment zumindest. Tottenham könnte nun mit einem Heimsieg gegen Bolton und einem Auswärtssieg bei West Ham alles klar machen, da sehe ich aber noch Stolperpotential. Arsenal muß auswärts bei Sunderland und Manchester City und am letzten Spieltag in Highbury gegen Wigan unbedingt gewinnen. Sonst muß die "next generation" möglicherweise weit unten ansetzen - im Uefacup, den Hertha gerade zu verspielen droht.

Donnerstag, April 20, 2006

Highbury


Marcel Reif und Boris Becker waren sich nicht ganz einig nach dem letzten internationalen Fußballmatch, das gestern abend in Highbury stattgefunden hatte: Hatte Arsenal London da gerade 1:0 gegen Villareal "verloren", oder war das einzige Tor des Abends doch eine gute Ausgangsbasis für das Rückspiel am kommenden Dienstag? Reif war mit großen Erwartungen an Arsenal in den Abend gegangen, und war dann wohl ein wenig enttäuscht. Becker war von der Atmosphäre von Highbury (und von einem Bier mit Tony Woodcock) ein wenig benommen - er sah alles durch die rosa Brille des "Sonderkorrespondenten", und ist auch für das Rückspiel guter Dinge. Großartig dann der übellaunige Felix Magath im Premiere-Studio mit Dieter Nickles. Der Coach der Bayern hat deren Ausscheiden aus der CL noch nicht einmal im Ansatz überwunden, und hat sich wohl nur deswegen einladen lassen, um noch einmal gegen die Schiedsrichter murren zu können. So provinziell, wie in Deutschland der Fußball präsentiert und wahrgenommen wird, spielt auch die Liga. Arsenal war gestern in manchen Phasen nicht nur der Druck des Ereignisses anzusehen, sondern schon die ganze Zuspitzung der kommenden zwei Wochen: Am Samstag gegen Tottenham, am Dienstag gegen Villareal, am 1. Mai gegen Sunderland, am 4. Mai auswärts gegen Manchester City und schließlich am 7. Mai gegen Wigan geht es darum, wo die Mannschaft nächstes Jahr spielt - im Uefacup ohne Thierry Henry gegen Hertha BSC? Das mag sich nicht einmal Marcel Reif ausmalen. Villareal ist ein zermürbender Gegner, aber ich neige doch eher zur Position von Bum Bum, der das 1:0 für eine gute Ausgangsposition hält.

Montag, April 17, 2006

Positionskämpfe








Das torlose 0:0 am Samstag gegen Dortmund finde ich in den Zeitungen anders wiedergegeben, als ich es im Stadion gesehen habe. Die Überlegenheit von Dortmund während der ersten Hälfte kam mir harmlos vor, und der Coach hat mit dem Tausch Boateng für Schröder zur Pause auch das gemacht, was nahelag. In der zweiten Hälfte war die Hertha gut, und wenn sie kein Tor geschossen hat, so liegt das an ihrer ungelösten Formationsfrage. Marcelinho spielte dieses Mal de facto Stürmer. Direkt vor dem Tor fehlt ihm aber die Spritzigkeit, und auch die Kaltblütigkeit. Er ist, seitdem Bastürk ganz eindeutig die Spielmacherrolle übernommen hat, zum Vorbereitungs- und Vollstreckungsassistenten geworden, und hat das noch nicht ganz verkraftet. Pantelic hat ihn mehrmals toll eingesetzt, aber Marcelo hatte im Laufduell gegen Wörns keine Vorteile! Den guten Überblick vom Oberring habe ich wieder genützt, um "unserer neuen Nummer 5" Sofian Chahed genauer zuzusehen. Er ist ja während der Krise in die Mannschaft gerutscht, ohne eine eigentliche Position zu haben. Er hat in der Innen- und Außenverteidigung ausgeholfen, es scheint aber, als wäre er dort, wo er jetzt schon ganz selbstverständlich Stammspieler ist, auch richtig: zentral vor der Abwehr, am Umschlagpunkt des Spiels. Bin gespannt, welche Note ihm der Kicker morgen gibt. Bin gespannt, wieviele Vertreter der Elf vom Samstag im August wieder auflaufen werden: Fiedler. Fathi-Simunic-van Burik-Friedrich. Chahed. Gilberto-Bastürk-Boateng. Pantelic-Marcelinho. Die radikale Lösung wäre: Marcelinho versilbern; einen schnellen, spielenden Stürmer holen. Dazu gute Zweitbesetzungen für van Burik und Friedrich. Und einen Mann, der gegen schwere Gegner auswärts neben Chahed statt Boateng spielen kann. Mit diesen Instruktionen würde ich die Scouts losschicken.

Dienstag, April 11, 2006

Mannschaftsgefüge


















Wir waren am Wochenende in London, deswegen habe ich weder direkt mitbekommen, wie die Hertha den Betzenberg ohne große Gegenwehr mit einem 2:0 bei Kaiserslautern eingenommen hat, noch, wie Arsenal in Old Trafford am Sonntagnachmittag gegen MeanU mit 0:2 das Nachsehen hatte. Gestern las ich dann in der Zeitung, daß Oliver Schröder, unser Mann für die rechte Defensivseite, vermutlich ein Angebot von Bochum vorziehen wird, wenn Manager Hoeneß nicht noch grob geschätzte 100.000 Euro Fixum auf das derzeitige Angebot drauflegt. Das und viele andere Indizien deuten darauf hin, daß wir die Hertha im August kaum wiedererkennen werden. Bastürk, Simunic, Gilberto könnten abhanden kommen, und damit ein Mannschaftsgefüge, das nicht so leicht wieder zu errichten ist. Als die laufende Saison begann, hatte die Hertha den Vorteil einer großen Eingespieltheit. Das ging verloren, durch Pech und Faulheit, durch schlechte Taktik und konservative Aufstellungen, durch die Sparpolitik an allen Ecken und Enden. Ob die Zeit jetzt noch reicht, das Maß an Identifikation, das verloren gegangen ist, wiederherzustellen? Bei mir sehe ich gute Chancen, aber bei Bastürk? Arséne Wenger ließ den FC Arsenal am Sonntag ohne den übermüdeten Henry spielen, das war dann doch ein wenig zu viel für die Truppe. Sie wurde von Rooney schwindlig gespielt, und muß nun einen neuen Anlauf auf den vierten Platz nehmen. Der ist für die Hertha auch noch in Reichweite, steht in Deutschland aber für Blech, während man in der Premier League damit noch in die CL-Quali kommt. Auch das ein Unterschied, gegen den die Hertha heuer im Uefacup nichts getan hat.

Samstag, April 08, 2006

Nummer eins









Er steht im Tor, im Tor, im Tor, und ich dahinter - hinter der Entscheidung von Jürgen Klinsmann, daß Jens Lehmann die neue Nummer 1 im Tor der deutschen Fußballnationalmannschaft ist. Im Prinzip war mir die Sache egal, weil ich mich für das deutsche Team einfach nicht erwärmen kann - bei der WM hänge ich an England, an den Niederlanden, an Brasilien, und ich werde, wegen Senderos und Djourou, ein Auge auf die Schweiz haben. Aber Jens Lehmann ist nun einmal durch einen Glücksfall, dem er sich inzwischen erstaunlich souverän gewachsen zeigt, zum Tormann von Arsenal London geworden. Er spielt in einer Stadt, die mit München nicht zu vergleichen ist (nicht zu reden von Berlin); in einer Liga, die der deutschen um einige Lichtjahre voraus ist; unter einem Trainer, dessen Projekt mich interessiert wie kein anderes im Fußball (die schwierigste Zeit für Lehmann in London war auch die Zeit, in der Wenger ein wenig die Kontrolle verlor über seinen Umbau von Arsenal, vor eineinhalb Jahren ungefähr). Lehmann macht seine Sache inzwischen sehr gut, die Strafraumbeherrschung war in der prekären Zeit sein großes Manko (jeder Corner war ein Alptraum), inzwischen ist er da so stark wie wenige Konkurrenten. Ich habe das Gefühl, daß er immer noch wächst, als Persönlichkeit und als Athlet, während Kahn schon einige Zeit den ächzenden Gott gibt. Daß Klinsmann seine Entscheidung zwei Tage nach dem 0:0 von Arsenal in Turin bekanntgab, nach einem Match, das wie neutralisiert wirkte, so sehr hatte Arsenal die Juve technisch unter Kontrolle, deutet darauf hin, daß auch der deutsche Bundestrainer die definierende Kraft des englischen Clubfußballs anerkennt. Deswegen stehe ich dahinter.

Montag, April 03, 2006

Neuer Maschinist


Das 2:0 gegen Stuttgart hat richtig Spaß gemacht. Das lag nicht nur an den Temperaturen und an dem schwachen Gegner. Coach Götz hatte ein Team aufgestellt, mit dem ich vollständig einverstanden war. Vor der Abwehr spielte "unsere neue Nummer 5", wie ich einmal zum großen Unverständnis aller Sitznachbarn in das Rund gerufen habe: Sofian Chahed (in Wahrheit hat er Rückennummer 28). Das ist mehr als nur eine kleine Variante, das ist ein neuer Ansatz für den "Maschinenraum", in dem bisher unser altgedienter Heizer Niko Kovac am Werken war. Chahed hat unauffällig gespielt, aber er war sehr effizient, und man konnte ihn gelegentlich sogar beim Organisieren beobachten. Ihn dort spielen zu lassen, könnte der wichtigste Fortschritt dieses Frühjahrs sein, denn Boateng wird dadurch frei für eine offensivere Mittelfeldposition, und den Rest kann Götz mit den konsolidiert spielenden Stammkräften Gilberto, Marcelinho und Bastürk besetzen, die ja durchaus zu etwas in der Lage sind. Vorne sollte Pantelic bleiben, er spielt gut mit, und wenn er irgendwann begreift, daß ein cooler Stürmer mehr Tore schießt als ein Melodramatiker, dann sehe ich da noch eine Menge möglich. Gegen Stuttgart hat die Hertha wieder so gespielt, wie sie es bevorzugt, kurze Pässe und gefinkelte Kombinationen, die natürlich nicht immer vor das Tor führen. Daß Pantelic ein toller Kopfballspieler ist, war der Mannschaft schon wieder egal. Flanken sind nicht ihr Stil. Daß sie zum Teil "richtig guten Fußball" gespielt hat, wie Dieter Hoeneß anschließend behauptet hat, sehe ich auch so, vorbehaltlich des Gegners, der richtig schlechten Fußball gespielt hat. Die Hertha ist am Samstag wieder mit dem alten Frank-Zander-Hadern ins Stadion gekommen, hat sich von dieser Hymne aber nicht einschlurfen lassen. Arsenal gewann zur selben Zeit 5:0 gegen Aston Villa, und Gladbach durch zwei Tore von Nando Rafael 2:1 gegen unseren direkten Konkurrenten Dortmund - weil es ein so schöner Nachmittag war, habe ich das alles zu einem 9:1-Sieg zusammengerechnet, den ich am Mittwoch mit Christian & Co. noch ein wenig feiern werde. Dann spielt Arsenal in Turin.