Sonntag, Januar 30, 2005

Normalform

Josip Simunic kann ganz schlecht nicht geschlafen haben letzte Nacht, denn er hat gegen die Bayern nichts falsch gemacht. Gutes Gewissen, gutes Ruhekissen, gutes Match, okayes Unentschieden. Gut. Mal sehen also, was diese Woche so herauskommt. Ich war gestern nicht ganz so mitgenommen wie Dieter Hoeneß im ZDF-Sportstudio, aber doch ein wenig unruhig. Heute gab es im Olympiastadion ein ganz normales, schnelles, durch Fouls und den Schiedsrichter ein wenig zerfahrenes Spiel, bei dem die Hertha sich ihre Vorteile und Chancen erspielt hat, die schwer bezwingbaren Bayern hatten ihre Freak-Chance, sahen aber nicht immer souverän aus. Das Talent der Hertha ist auch ihr Nachteil: die Energetiker im Mittelfeld können sowohl unglaublich beschleunigen (sich selbst und das Team), als auch verschleppen und verdribbeln. Reina, der allmählich langsamer wird, hat heute mehr verschleppt. Falko Götz hat mutig aufgestellt, ließ Malik Fathi draußen und nahm dafür Reina als zweiten Stürmer - in der ersten Hälfte ging eine Menge, die zweite Hälfte war ausgeglichen. Ist mir eigentlich alles egal - ich habe es genossen, Simunic spielen zu sehen, vielleicht bleibt die Hertha ja doch unbeschädigt, und kann ihre Aufbauarbeit fortsetzen. Ebenbürtig waren wir den Bayern heute allemal. Ich habe es heute sogar verschmerzt, daß der dämlichste Fan des ganzen Stadions neben mir zu sitzen kam (heute saß nicht ganz die Stammbesetzung in unserer Reihe): Nicht nur machte er den schlechtest möglichen Malik-Fathi-Witz (man kann ihn sich denken, "hier kommt Malik ..."), er rief auch aus: "Wenn Deisler spielen würde, könnten wir ihn klapsmühlenreif pfeifen." Ich mußte in diesem Moment dann doch meine Contenance kurz aufgeben, und er schwieg ein paar Minuten. Ich glaube wieder an das Spiel.

Samstag, Januar 29, 2005

Lieber Josip,

ich bitte dich flehentlich: Mach keinen Blödsinn! Aber gut - vielleicht ist es schon zu spät. Vielleicht hast du dich, weil Fußballprofis viel Geld verdienen und viel Freizeit haben und selten ein gutes Buch lesen, auch ab und zu bei deinen kroatischen Landsleuten in diesem Cafe hingesetzt, und ein gepflegtes Gespräch über Fußball geführt. Vielleicht hast du auch manchmal mit Alexander Madlung darüber nachgedacht, warum Marcelinho mehr Geld verdient als du - obwohl du mir nicht aussiehst wie ein Raffzahn. Vielleicht hast du einfach, weil du ein argloser Mann bist, nicht bemerkt, daß sich am Nebentisch einige Männer anders für Fußball interessieren, kommerzieller gewissermaßen, und ohne an einem Team so zu hängen, wie wir Fans es tun, die wir euch auch in Braunschweig gewinnen sehen wollten. Vielleicht warst du einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, wie es eigentlich mehr die Spezialität von Dick van Burik ist (auf dem Platz). Vielleicht ist alles von Focus erlogen - dieses Blatt lese ich ja nicht, weil es dafür keinen guten Grund gibt. Vielleicht ist das alles ein riesiges Mißverständnis, und deine bösen Landsleute versuchen nun, jeden in den Sumpf zu ziehen, der einmal einen Tee bei ihnen getrunken hat. Es sieht nur so unglaublich blöd aus, daß an diesem Skandal so riesengroß die Klubfarben von Hertha BSC draufkleben! In meiner Straße in Kreuzberg gibt es auch ein Wettbüro, und ich kann mich noch erinnern, wie ich vor Jahren dort einmal gefragt habe, ob sie neben der 24-Stunden-Dauerübertragung von Hunderennen auch Premiere ins Programm nehmen würden - ich würde dann ja auch auf Hertha wetten, habe ich noch versprochen, dann aber doch die Kröte gefressen und Premiere selber bestellt. Aus meinen Stippvisiten ist mir die Atmosphäre in diesem Lokal nicht gerade fitnessfreundlich vorgekommen, und sogar ein wenig sleazy. Ich will euch nicht alle dauernd in der Akademie der Künste treffen oder im Quadriga (not my cup of tea, either), aber mir ist auch nicht gut bei dem Gedanken, wo ihr eure Freizeit anscheinend verbringt. Schau doch mal vorbei hier bei uns in 36, wir haben mehr Spaß als die Wettmafia. Eigentlich aber wollte ich dir nur eines sagen, Josip: Auch wenn es wahr wäre, ich würde es nicht glauben wollen. Bei Madlung bin ich mir weniger sicher - dieses Eigentor sah ja auch zu dämlich aus. Mein Leben als Fan muß ich nun leider in die Zeit vor heute und die Zeit ab heute unterteilen, denn heute wurde alles anders.
Blau(äugig)e Grüße, dein Marxelinho dos Santos

Mittwoch, Januar 26, 2005

Kommen und Gehen

Tim Wiese geht nach Bremen. Dort gehört er hin, er hat das Zeug zum Kleinstadtkaiser und Weserplayboy. Diese Seite hat sich gegen seine Verpflichtung durch Hertha BSC ausgesprochen - ich gehe nicht davon aus, daß Dieter Hoeneß das liest, aber ich deute es als Zeichen guten Stils, daß er Fiedler nicht in den Rücken fällt. Irgendwann brauchen wir trotzdem einen größeren Keeper. Nächste Woche werde ich Volker, meinen Partner in Hertha, dazu überreden, daß wir die Mitgliedschaft beantragen. Und zwar, um den bösen Schiedsrichter zu ersetzen, der schnell austreten mußte, um sich der DFB-Gerichtsbarkeit zu entziehen. Zwei Gute für einen Schlechten. Eine Gegenreaktion.

Sonntag, Januar 23, 2005

Gegenreaktion

Eiskalt hat die Hertha die Rückrunde begonnen, begossen hat sie das Spiel verlassen. Als Nando Rafael nach drei Minuten den Führungstreffer schoß, als Vollender einer schönen Energieleistung von Thorben Marx, da hatte ich noch die Carmina Burana im Ohr, die in Bochum vor dem Anpfiff gespielt werden. Carl Orff als altdeutscher Ersatz-Bocelli wurde von Nandos kleinem Heber einfach durchgestrichen. In Bochum wissen sie wahrscheinlich gar nicht, was es mit dieser Musik auf sich hat, aber vielleicht geht ja gelegentlich ein Fan in ein Studentenkino und sieht Pasolinis Salò. Für die Hertha war die Herausforderung heute zu leicht. Die Mannschaft ist einfach nicht in der Lage, das Spiel auch dann noch zu machen, wenn sie es bereits sicher auf ihrer Seite hat. Da wirkt wohl das Ethos des Herbsts noch nach, das Selbstverständnis des Außenseiters, der nicht souverän gewinnt, sondern halt irgendwie - und irgendwie immer öfter, bis plötzlich irgendwie Ansprüche da sind. Von der besten Verteidigung der Liga habe ich immer nur die Zahlen ernst genommen, auf dem Feld habe ich davon nicht so viel gesehen, da war viel Dusel dabei, und als ich gestern im Tagesspiegel las, daß Dick Van Burik sich in das Team zurückgekämpft hat, hatte ich schon so eine Ahnung. Mein Vertrauen hat er nicht, auch wenn er beim Zweikampf gegen Lokvenc sein Bestes getan hat. Es war nicht genug. Madlung kam dann für Marx, eine defensive Einwechslung, zu der Götz beinahe gezwungen war, weil er keinen Mann draußen hatte, der in 15 Minuten das Solistenunwesen im offensiven Spiel hätte ordnen können. Er baut, wie alle Trainer, die eine knapp der Katastrophe entronnene Mannschaft übernehmen, die Sache auf Reaktion auf: Wir haben das jetzt schon oft gesehen, daß die Hertha gut beginnt, sich einen Vorteil verschafft, damit sie dann ihr Spiel machen kann, das eben aus Reaktion statt Aktion besteht. Gegen die amorphen Bochumer ging das schief, weil sich auch schwache Teams auf Möglichkeiten besinnen, wenn der Gegner einfach zuwartet. Während sich Marcelinho in eigensinnige Verschleppungen verstieg, erwachte beim Gegner der Überlebensinstinkt. Nächsten Sonntag sind wir wieder die Außenseiter - das könnte interessant werden. Unglaublich im Vergleich, wie heuer die englische Liga verläuft: Die extrem stabile Chelsea setzt jedes Wochenende den Takt, während Manchester United und Arsenal versuchen, nicht aus dem Tritt zu kommen. Bergkamp hat heute gegen Newcastle das entscheidende Tor von Arsenal geschossen, damit zumindest die mean ManU auf die kleine Distanz eines Punktes gehalten wird. Alles unter drei Punkten ist in der Premier League eine Niederlage. Das Diktum zum Wochenende kam allerdings wieder einmal von Ralf Rangnick, der Trainer mit Filmemachern verglich: "Fellini hat seinen Spielern genau gesagt, was sie machen sollen und hat sich dabei bestimmt mit mancher Diva aufgerieben." Abgesehen davon, daß Rangnick Fellinis Stadt der Frauen vielleicht nicht gesehen hat (zu viele aufreibende Diven!), ist das doch bemerkenswert, wie Cinema Italia durch die Hintertür in die Liga sickert. Heute Nachmittag lief im Ersten auch noch Don Camillo! Mit Falko Götz bin ich erst glücklich, wenn er der Michael Mann unter den Trainern wird. Besser noch aber der Takeshi Kitano.

Sonntag, Januar 16, 2005

Suppenkaspar

Ich fürchte, Arsène Wenger, mein Traineridol, verliert von Woche zu Woche mehr an Souveränität. Nicht, weil Arsenal seit der Niederlage in Manchester im vergangenen Herbst (unverdient, zur Erinnerung, und unfair) nie mehr so richtig in Tritt gekommen ist. Er läßt sich einfach auf zuviele Dispute ein, und wer Alex Ferguson (not a Sir to me) einmal ins Gesicht geschaut hat, weiß doch, daß man da besser den Mund hält. Stattdessen macht Wenger den Uli Hoeneß der Premier League und stichelt einmal dorthin, einmal dahin. An diesem Wochenende ist der Disput um den Suppenfleck, den Ferguson nach dem Spiel im Herbst im Kabinengang von Old Trafford abbekommen hat, mutmaßlich von aufgebrachten Arsenal-Spielern, wieder aufgeflammt: Daß Wenger sich für sein Team nicht entschuldigt hat, wäre eine "Schande", ließ Ferguson über den Independent verlauten. Ich würde mich auch nicht entschuldigen, aber ich würde auch nicht ständig so tun, als wäre Arsenal das Maß aller Dinge. Daß sie es nicht mehr sind, dazu hat Wenger selbst beigetragen, denn er hat sich mit der Lehmann-Entscheidung ohne Not eine Alternative versperrt. Jetzt muß er nämlich einen Tormann kaufen, um Almunia wieder auf die Bank setzen zu können. Vielleicht wird es Edwin van der Sar, orakeln die Zeitungen auf der Insel. Ich hätte eine bessere Idee: Gabor Kiraly möchte ich bei Arsenal sehen. Bei Crystal Palace kann er nicht viel ausrichten, die sollten besser Hans Meyer als Nichtabstiegsgarantie holen. Kiraly bei Arsenal, das wäre ein wenig wie Uwe Boll in Hollywood (dieses Rätsel wird in einem anderen Blog geklärt ...), und ich träume jetzt schon von einer Szene, in der ein völlig verdreckter ungarischer Goalkeeper nach dem Match Arsenal-Chelsea im April mit Jose Mourinho die Kleidung tauscht: Trainingshose gegen Ledermantel. Danach gewinnt Chelsea kein Spiel mehr, Arsenal spielt immer zu Null, und David Seaman unterschreibt im Frühling bei Hertha BSC Berlin. Meinem Team.

Sonntag, Januar 02, 2005

Dream Team

In der Nacht auf Neujahr träumte mir, daß Ben Stiller bei Hertha BSC im Tor steht. Ich lüge nicht. Es war kein sehr deutlicher Traum, eher ein Bild während des Aufwachens, eine Spielertraube kurz vor dem eigenen Sechzehner, die Mannschaft hat ein Tor geschossen und kehrt zurück zum Anstoß, da stößt der Tormann dazu, und es ist in diesem Moment klar, daß der unorthodoxe Jubel dieses Mannes die Kollegen zu größeren Leistungen anspornen wird. So seltsam träumt man, wenn man gegen Tim Wiese ist, und ein wenig ambivalent für Christian Fiedler. So seltsam träumt man, wenn die Systeme durcheinander kommen: Kino, Fußball. Den Neujahrsnachmittag verbrachte ich vor der Kiste und sah eines der besten Spiele seit langer Zeit. Liverpool forderte Chelsea richtig heraus, in einem unglaublich intensiven, schnellen Match, das auch Torszenen hatte. An der entscheidenden der ersten Hälfte war wieder der Schiedsrichter beteiligt, den ich profund nicht mag: Herr Riley übersah ein klares absichtliches Handspiel von Tiago im Fünfer. Unglaublich, wie schnell die britische Regie das parat hatte, der Kommentator erzählte dann, daß der neue Chef der britischen Premier League mit einem System des elektronischen Beweises liebäugelt. Liverpool-Chelsea bot ein Argument dafür, ein anderes aber auch dagegen, denn das Spiel war so schnell, hatte so wenige Unterbrechungen, und benötigte tatsächlich diese zwei langen, dreiviertelstündigen Spannungsbögen, um zu funktionieren, daß offen bleibt, wo und wie man den Kamerabeweis einsetzen hätte können. Mister Riley hat das Match vielleicht entschieden, denn gegen Chelsea gibt es nur ein, zwei Möglichkeiten, und Joe Cole hat gegen Ende, in einer Wiederholung der Portsmouth-Konstellation vor einer Woche, dann doch wieder die außergewöhnlich konfidente Chelsea Side zum Sieg gebracht. Arsenal gab sich wenig später keine Blöße. Fabregas spielte elegant mit der Hacke auf Ljungberg, das Match gegen Charlton endete 3:1, und ich kann mich wieder der Arbeit zuwenden: ein Review über die Ausstellung The Black Atlantic. Die englische Premier League blieb darin unberücksichtigt. Dabei ist sie die modernste Ausprägung dieses von Paul Gilroy formulierten Konzepts eines "doppelten Bewußtseins" of being European and black at the same time. Just look at the Arsenal Viererkette: Lauren-Toure-Campbell-Cole. Oder auf die Hertha-Attacke: Marcelinho-Gilberto-Rafael. Die Samba-Eskapaden von Marcelinho sind jenes "double consciousness", für das in modernen Profifußball kein Raum mehr ist. Beim Torjubel bricht es durch. Wolfsburg.