Sonntag, Januar 29, 2006

Pädagogik


"Hertha BSC stümpert sich zum 1:1", schreibt die FAS in ihrem 28 Zeilen langen Bericht über das Remis zwischen Hertha und H96, das van Burik mit einem Kopfballtreffer in letzter Minute noch rettete. Ich war nicht im Stadion. Hannover interessiert mich nicht, und was die Hertha zu bieten haben würde, habe ich geahnt. Seit Falko Götz die Mannschaft übernommen hat, hat er sie auf dem mittelmäßigen Niveau konsolidiert, das sich jetzt als ihr Aggregatzustand zu erweisen scheint. Ich erinnere an seine erste Aufstellung, vor eineinhalb Jahren gegen Bochum: Fiedler. Schröder-Friedrich-Simunic-Hartmann. Marx-Dardai-Gilberto. Marcelinho. Wichniarek-Bobic. Was ist seither passiert? Hartmann wurde durch Fathi überwunden, eine umungängliche Entwicklung, die aber auf halbem Wege zu stagnieren scheint. Marx wurde durch Cairo überwunden - ich sehe den Fortschritt nicht. Dardai wurde durch Kovac überwunden - dazu sage ich nichts mehr. Wichniarek wurde durch Pantelic überwunden - ich sehe den Fortschritt nicht. Bobic wurde durch Okoronkwo nicht überwunden, denn der junge Nigerianer ist derzeit so deutlich eine Notlösung, daß nur Falko Götz das nicht einsehen will. Er stellt die Mannschaft mit Blick auf das Gehaltsschema auf, das die Hertha mit allen Gewalt auf 20 Millionen pro Jahr drücken will. Gleichzeitig senken auch die verdienten Kräfte ihre Leistung auf das allgemeine Lohnniveau, und Hertha wird sich im Mittelmaß einrichten müssen, wenn es nicht gelingt, mit den jungen Talenten so zu arbeiten, daß sie sich entwickeln. Rafael, Fathi, selbst Arne Friedrich zeigen die Grenzen der Pädagogik. Coach Götz spricht von "Team bilden", als wäre sein Kader ein "failed state". Manager Hoeneß spricht von Persönlichkeitsbildung, als bestünde der Kader aus "juvenile delinquents". Ich habe nicht den Eindruck, daß sie vermitteln können, welche Perspektive die Hertha hat. Und so spielt die Mannschaft.

Donnerstag, Januar 26, 2006

Vermummungsgebot


Marcelinho macht die Kälte nichts mehr aus, schreiben die Berliner Tabloids. Er tollt über den gefrorenen Platz, als käme er von den Aleuten und nicht aus Brasilien. Da kann ich nur lachen. Der eigentliche Grund ist doch der: Bei der Hertha hat die soziale Kälte so zugenommen, seit Coach Götz seinen Ziehsohn Thorben Marx verstoßen hat, daß jetzt niemand mehr ehrlich ist. Alle wissen, daß sich die Hertha ihr Gehalt nicht recht leisten kann. Deswegen machen nun plötzlich alle auf brave Arbeitnehmer, mimen Spaß an der Sache, balgen sich mit Dieter Hoeneß im Sand. Täuschen können sie uns nicht: Die Kälte ist eine Krise, und die Krise produziert Kälte, und ich möchte nicht wissen, was Marcelinho da gerade in seinen Schal murmelt. Vielleicht "Entlassungsproduktivität"?

Montag, Januar 23, 2006

Bully


Ich mache mir ein wenig Sorgen um Arsenal. Das Team aus London tut sich schwer in dieser Saison, schwerer noch als im letzten Jahr, als die ungeschlagenen Meister von 2004 so unsanft vom Thron gerüpelt wurden. Am Wochenende gab es eine deprimierende, verdiente 0-1-Niederlage bei Everton, und Arsène Wenger begann hinterher wieder sein altes Klagelied: Das hatte mit Fußball nichts zu tun, das ist physischer Terror, das ist nacktes "bullying". Wenn ich ihn so reden höre, beschleicht mich der Verdacht, daß er den Blick für die Verhältnisse verloren hat. Denn die Hochbegabtentruppe, die er trainiert, war am Samstag auch taktisch schlecht aufgestellt: Hinten eine riskant weit vorgeschobene Viererkette, die Beattie bei seinem Tor ein einziges Mal durchlief; im defensiven Mittelfeld den jugendlichen Feingeist Fabregas und den seit Monaten schwachen Gilberto; im offensiven Mittelfeld die hilflosen Außenläufer Ljungberg und Reyes sowie der positionslose Pires; und als tief hängende Spitze den großen Henry, der weniger oft den Unterschied macht, als er es eigentlich seinem Status nach sollte. Arsenal spielte ohne eigentlichen Stürmer, und ohne eine erste Linie in der Hälfte von Everton. Sie konnten also kaum einmal dort das Spiel machen, wo es auf eigene Chancen hinauslaufen konnte. Stattdessen waren sie fast die ganze Zeit beschäftigt, überhaupt einmal Beattie zu überwinden, den einzigen Abgreifer von Everton, der zwanzig Meter in der Hälfte von Arsenal schon zu verteidigen begann, unterstützt von einem "gefluteten" Mittelfeld (großartiges Bild des englischen Kommentators). Das sind grundlegende Probleme der Spielanlage, und ich erkenne aus Wengers Äußerungen nicht, daß er sie in dieser Form zugeben würde. Arsenal spielt den besten Kombinationsfußball, wenn sie dazukommen. Sie sind aber völlig hilflos, wenn man sie stört. Auch wenn es blöd klingt, aber die Hertha hat ein ähnliches Problem auf viel niedrigerem Niveau - sie will auch vor allem spielen, und stellt schnell die Arbeit ein, wenn sich Hindernisse zeigen. Ich liebe Reyes und Henry (und Bastürk und Boateng, von mir aus), aber Beattie hat am Samstag die Richtung gezeigt.

Mittwoch, Januar 18, 2006

Ein Mann von Welt


England ist wie immer mein Team, wenn es um die Fussball-WM geht. Ich habe mit dem Wembley-Tor und anderen antiken Geschichten nichts am Hut. Ich glaube, es waren Waddle und Hoddle, durch die ich zum Fan des englischen Spiels wurde, und seit vielen Jahren ist die Premier League für mich das Maß aller Dinge. Leider kommt England in diesem Jahr mit einem Coach nach Deutschland, von dem ich wenig halte: Sven-Göran Eriksson ist, was man auf der Insel "a pompous fart" nennt. Er hat jegliche Autorität gegenüber dem Team lange eingebüßt. Jetzt hat ihm das Revolverblatt "News of the World" einen Streich gespielt. Eriksson und sein Berater wurden nach Dubai geflogen, um dort einen Scheich zu treffen, der angeblich in den englischen Fußball investieren möchte. Der Nationaltrainer empfahl Aston Villa als erschwinglichen Klub, und sich selbst gleich als Trainer mit dazu, unter dem Vorbehalt, daß er vorher noch mit England den WM-Titel holen muß. "News of the World" hat mit allen Tricks gearbeitet, mit versteckter Kamera (in die Eriksson immer wieder direkt schaut), mit suggestiven Fragen, und mit genauer Mitschrift, was Eriksson während seines Trips so konsumiert hat. Es ist ungefähr so, als hätte man Klinsmann beim Wodka mit Gazprom-Miller erwischt, wie er ihm die finanzielle Lage von Borussia Mönchengladbach schildert, und sich für ein Engagement ab Herbst 2006 ins Gespräch bringt. So unvorstellbar das ist, so gut paßt die Geschichte aus Dubai zu Eriksson, zur Insel, zur Globalisierung des Fußballs aus dem Geist der Rohstoff-Hausse: Es ist mehr Kohle drin denn je.

Sonntag, Januar 08, 2006

Transfermarkt

Zwei Nachrichten aus zwei Welten: Dieter Hoeneß hat ausgeschlossen, daß Hertha in der Winterpause einen neuen Stürmer verpflichten wird. Und Thierry Henry hat bekanntgegeben, daß er einen neuen Vertrag mit Arsenal ("den Club, den ich liebe") aushandeln möchte, um auch nach Sommer 2006 (wenn noch Ablöse für ihn fällig wäre) und nach Sommer 2007 (wenn sein derzeitiger Vertrag ausläuft) für mein Dream Team zu spielen. Er war spekulativ mit Barcelona in Verbindung gebracht worden, es gibt für ihn ohnehin nur zwei, drei Teams, zu denen er vom Standing her überhaupt wechseln könnte: Chelsea, Barcelona, eventuell noch Juve, wohin sich Patrick Vieira verzogen hat. Richtig gebraucht wird er nur bei Arsenal. Vielleicht hat er das begriffen. Weil gerade nicht viel Fußball ist, habe ich mich gestern ein wenig auf der Transfermarkt-Webseite umgesehen, und zitiere von dort ein paar Kennzahlen, um die Hertha international einzuordnen.

Verein:
Kadergröße
Durchschnittsalter
Gesamtwert

Chelsea
30/24,7/374,725.000
Arsenal
36/23,7/202,850.000
Bayern
26/27,7/193,125.00
Charlton Athletic
34/26,4/74.875.000
Hertha BSC
27/25,5/70,525.000
Blackburn Rovers
28/27,7/68,575.000

Thierry Henry wird mit 45,000.000€ veranschlagt, Ballack mit 35,000.000€; teurer als Henry ist nur noch Ronaldinho mit 50 Millionen Euro. Wertvollster Herthaner ist Marcelinho mit 13,5 Millionen Euro.

Freitag, Januar 06, 2006

Fleischtöpfe

Zur Erinnerung hier die vier Tore, die Artur Wichniarek für Hertha BSC geschossen hat: In der katastrophalen Saison 03/04 traf er im Abstiegskampf zwei Mal, am 30. Spieltag beim 3:0 gegen Kaiserslautern und am 32. Spieltag beim 6:2 gegen Dortmund. In der Konsolidierungssaison unter Falko Götz erzielte er am 21. Spieltag gegen Nürnberg ein wichtiges Last-Minute-Goal zum 2:1-Sieg, und in der laufenden Saison begann er gut mit dem 2:0 gegen Hannover, das die Mannschaft danach noch in ein Remis für den Gegner umwandelte. Er hat sich immer ekstatisch gefreut, man hat ihm angesehen, daß er in diese Rolle gern hineinwachsen würde, und er hat (anders als Bobic oder Luizao) auf dem Feld viel dafür getan. Er hat grosse Chancen auf wichtige Tore vergeben, und er hat oft gar nicht gespielt, weil sich die Hertha in den zweieinhalb Jahren, die er hier war, in einem ständigen Umbruch befand - zuerst mußte der öffentliche Müßiggänger Bobic überwunden werden, dann drängte sich schon Rafael auf, ohne jemals richtig einzuschlagen, und nach dem hoffnungsvollen Auftakt in diese Saison verletzte Wichniarek sich am Zeh, woraufhin Pantelic kam. Die meisten Fans in unserem Sektor halten ihn für einen Versager, der sich bei der Hertha nicht durchgesetzt hat - sie war ihm "eine Nummer zu groß". Ich glaube, daß unser stärkster Stürmer den Verein verläßt, ohne daß er sich hier beweisen konnte, und das lag nicht nur an ihm. Die Berliner Tabloids haben ihn als "Frechniarek" diskreditiert, weil er auf Einhaltung von Verträgen und einer fairen Chance bestand - jetzt spielt er für einen armen Gegner, die Fleischtöpfe von Hertha BSC wird er bald vergessen haben.

Donnerstag, Januar 05, 2006

Neujahrsaufsatz


Es steht zu befürchten, daß sich das Hertha-Management ein wenig lächerlich gemacht hat mit der Hausaufgabe an die Spieler, über die Weihnachtsferien einen Aufsatz zum Thema "Was bedeutet mir Hertha BSC und was kann ich für den Verein bringen?" zu schreiben. Ich stelle mir vor, wie Gilberto in der Business Class eines Sabena-Flugs aus Brasilien neben Marcelinho sitzt und wie ein Klassenprimus dem Sitzenbleiber ein paar Satzteile hinüberreicht. Ich kann mir lebthaft vorstellen, wie der Psychotherapeut von Simunic seinen Klienten anruft und ihm sagt: "Das mache ich für dich." Woraufhin Jo lässig kontert: "Nicht mehr nötig." Madlung, Boateng, Neuendorf und Fathi haben sich über Silvester in Braunschweig bei Billy Reina erkundigt - ihre Beiträge werden vermutlich so klar wie Wodka sein. Artur Wichniarek wird schreiben, daß er Hertha in finanzieller Hinsicht viel verdankt, daß sie ihm sonst aber so gestohlen bleiben kann, wie sie ihn schlecht behandelt hat. Niko Kovac und Dick van Burik werden schreiben, daß ihnen Hertha alles bedeutet, weil sie bei keinem anderen Club mit ihren Leistungen als Führungsspieler durchgehen würden. Arne Friedrich wird schreiben, daß er gern Kapitän ist, dafür aber Thorben Marx auf der rechten Außenbahn zurückkommen soll. Marko Pantelic wird nichts schreiben, weil er mit dem rechten Außenrist keinen Bleistift halten kann. Falko Götz wird die Aufsätze dem Graphologen zur Analyse übergeben, vielleicht findet er darin Hinweise darauf, ob 4-5-1 oder 4-4-2 das bessere System ist, oder am Ende 4-3-3, wie es Chelsea London zeigt. Wer wird unser Joe Cole? In England hat ein Kommentator über die in diesem Jahr so arme Arsenal geschrieben, sie spiele Eunuchenfußball: viel Gefummel, kaum einmal Penetration. Das ist ungerecht gegenüber Reyes (Antritt), Fabregas (Steilpässe), van Persie (Abschluss), trifft aber doch ein Gran Wahrheit über meine Lieblingsmannschaft. Und über Hertha, das Team im Schatten, die Mittelmacht in der mittelmäßigen deutschen Liga - aber auch in England war über die Feiertage nicht jedes Match eine Gala. Viel Spaß beim Training, Jungs. Ich biete 100 Euro auf dem Schwarzmarkt für eure Aufsätze.