Montag, Mai 21, 2012

Schlechter Film

Als ich gestern aus Rumänien zurückkam, warf ich spätabends noch kurz den Beamer an und erwischte zwei markante Szenen aus der Wiederholung des CL-Finales vom Samstag: das doch mächtige Bild von Häuptling Hochroter Kopf (aka Uli Hoeneß), wie er von seiner Frau von hinten in den Arm genommen wird, während die Enttäuschung offensichtlich in ihm arbeitet wie das Erdinnere in einem Vulkan, und dann ein Interview mit Petr Cech, der am Tag nach dem Finale seinen 30. Geburtstag feierte. Allein damit könnte man sich lange beschäftigen: was diese beiden Figuren jeweils darstellen. Nur ein paar Worte zu Cech: Ich erinnere mich noch gut an eine Saison, in der er in der Premier League das absolute Maß aller "things goalkeeping" war. Eine Fingerspitzenparade (das Match habe ich längst vergessen) habe ich noch immer vor dem geistigen Auge, es war ein Akt höchster menschlicher Streckung, die entsprechende Zeitlupe erst machte ihn sichtbar.

Es folgte eine schwere Verletzung, es folgte die Stagnation des Chelsea FC in den letzten Jahren, und so hätte man beinahe schon vergessen können, dass Petr Cech einer der größten Torhüter der letzten Dekade ist. Munich 2012 hat das in Erinnerung gerufen, und im Interview konnte man dann auch den Menschen ein bisschen sehen, allem Anschein nach ein guter Typ.

Natürlich ist das Ergebnis vom Samstag nicht gerecht. Wie sollte es auch, wenn zwei Mannschaften davor alles unternommen haben, um sich auf die Entscheidungshöhe so eines Finales zu bringen, in dem es nur mehr eine von zwei Möglichkeiten geben kann? Die Möglichkeiten sind dabei unterschiedlich verteilt, aber auf der prinzipiellen Ebene eben nicht: Beide Ausgänge sind möglich, im konkreten Fall war das so bis zu letzten Sekunde, in der Drogba auf den Ball trat, und dabei eine so seltsame Haltung einnahm, dass er auch hätte wegrutschen können - aber er traf den Ball gut, Neuer war schon verladen, das war die Entscheidung.

Die Vorentscheidung war, dass Schweinsteiger den Ball so trat, dass er so an den Pfosten prallte, dass er entlang der Linie zurücksprang, und dabei den ganz kleinen Korridor fand, der zwischen Cechs Rücken und der Torlinie blieb - ein äußerst unwahrscheinlicher Weg, den der Fußball aber ohne Weiteres und jederzeit findet. Es sind diese Momente, die aus einem "schlechten Film" (Franz Beckenbauer) einen großartigen Film machen, der aber eben nicht immer leicht verkraftbar ist. In schlechten Filmen gewinnen immer die Guten, oder manchmal die Falschen. Darin hat der Vergleich des Gemeinplatzhirschen schon seine Grenze erreicht, denn Fußball ist prinzipiell ein großer Film, in dem ständig an nichts weniger als an das Prinzipielle gerührt wird: dass es eben so oder so ausgehen kann, egal, wie sehr man sich bemüht.

Am zweiten Tag nach dem Spiel setzt sich nun auch eine nüchternere Betrachtung durch. Ich persönlich habe wohl in dem vollen Pub in Iasi die Brillanz des Spiels ein wenig überschätzt, ich sah ein packendes Drama, das es zweifellos war, aber am Ende war es doch ein gar nicht so ungewöhnliches Match, nur eben ganz oben, im Kampf um einen der höchsten Preise. Chelsea war Chelsea, Bayern war Bayern - keines der beiden Teams ging über sich hinaus, fand einen Moment der Transzendenz seiner Schemata, und wäre es nur der gewesen, dass jemand anderer als Robben den Elfmeter gegen Cech geschossen hätte.

So geht es uns mit dem CL-Finale 2012 wie mit dem meisten Dingen im Leben: Wir beginnen sie zu verarbeiten, sie verfestigen sich zu einem Eindruck, der in der Erinnerung bestehen kann. Aber diese Szene zwischen Schweinsteiger und Cech, die würde ich gern einmal in einem jener anderen Universen sehen, die angeblich nur um Haaresbreite von dem unseren entfernt sind. Dort feiert der FC Bayern vielleicht jetzt noch den Sieg im "Dahoamspiel", hält ihn für völlig verdient und fühlt sich wie im "richtigen Film". Nur eben in einer unerreichbaren Wirklichkeit.















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