Sonntag, Mai 06, 2012

Ironien und Signale




























Beinahe hätte Hertha gestern das (wie man so schön sagt) Ende der Fahnenstange in Liga eins erreicht. Doch die Mannschaft hat gekämpft, und mit einem 3:1 gegen die TSG 1899 Hoffenheim in der letzten möglichen Runde den Platz 16 erreicht, der zu zwei Ausscheidungsspielen gegen einen Gegner als Liga zwee berechtigt. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass der Fußballgott derzeit geradezu Lehrstunden darüber abhält, wie ihm zu begegnen ist, dieses Spiel hat ihn erbracht. Denn Hertha hat verdient gewonnen, der Sieg war aber voller Ironien und Signale.

Das erste Signal kam von der Aufstellung. Rehhagel, Tretschok und Covic verzichteten neuerlich auf Ottl, zudem war Lell verletzt, sodass Hertha zum Ende dieser vertrackten Saison hin eine deutliche Abkehr von der Bajuwarengenetik vollzog, mit der diese begonnen hatte. (Kraft habe ich nie dazu gezählt, der ist ja Westfale.) Taktisch bedeutete dies, dass endlich, endlich die zentrale Lähmung, die Herthas markantestes Charakteristikum über den Verlauf der Saison hinweg war, behoben wurde: Kobiashvili und Perdedaj sind ein relativ dynamisches Duo, jedenfalls aber leidenschaftlicher strukturiert als Ottl und Niemeyer (der eine Reihe weiter hinten gut spielte). Als Perdedaj kurz vor der Pause durch einen Wechsel heruntergekühlt werden musste, kam Ronny (und nicht Ottl) - die seit Monaten überfällige Einsicht in die Unbrauchbarkeits Ottls bestätigte sich auch noch in dieser Personalie.

Das zweite Signal kam von den Flügeln. Zwei Berliner Jungs waren dort tätig, und vor allem Änis Ben-Hatira nutzte die letzte Gelegenheit, einmal mehr als nur interessante Andeutungen zu machen. Er prägte dieses Spiel durch Lauffreude (mit 11,64 Kilometern war er Top-Herthaner) und Präsenz, er sorgte mit einem Freistoß nach einer Viertelstunde auch für die Führung. Hertha war durch die Aufstellung in Mittelfeld und außen kompakt, und dies trotz zweier Außenverteidiger, die nicht unbedingt zur ersten Wahl zählen: Janker und Holland.

Die wesentliche Ironie des Spiels war sicher, dass der schwache Schiedsrichter Kinhöfer durch eine gelbrote Karte für Babel für ein Ungleichgewicht sorgte, das in der zweiten Halbzeit gelegentlich leicht surreal wirkte. Denn Hoffenheim verzichtete danach weitgehend auf Ambition, und Hertha hatte relativ leichtes Spiel. Zu der zweiten gelben Karte gegen Babel hatte Kobiashvili mit einem Fall beigetragen, dem man ein schauspielerisches Element nicht absprechen kann. Es war keine Wiederholung der Einlage von Igor de Camargo, die sich so dramatisch auf Herthas Saison ausgewirkt hat. Es war eher so etwas wie ein Zitat, eine Anspielung nur, deren Folgen dieses Mal aber eben positiv für Hertha waren.

Ähnlich glücklich war Hertha in der Szene, in der Schipplock allein vor Kraft auftauchte, dessen Einladung aber nicht annahm, sondern das Foul ausschlug, und sich danach noch so verzettelte, dass Hubnik ihn am Abschluss hindern konnte. Das war vermutlich der eigentliche Peripetiepunkt des Spiels, denn eine rote Karte gegen Kraft wäre kaum zu verkraften gewesen (Elfmeter hätte es glaube ich nicht gegeben, mir schien die Szene knapp außerhalb des Sechzehners.)

Das waren die Momente, in denen der Fußballgott in seiner unendlichen Willkür zweimal auf grün für Hertha schaltete. Die Kreuzung musste die Mannschaft aber doch selbst überqueren, und sie tat es mit Überzeugung, sodass man beinahe den Eindruck haben könnte, ein kathartisches Spiel (in dem Raffael noch die absolute Klimax eines dritten Tors in allerletzter Minute setzte) könnte die Wochen davor vergessen machen. Die Verantwortlichen wussten, dass ein Sieg gegen Hoffenheim die positiven Energien freisetzen könnte, die Hertha auch in den beiden Relegationsspielen antreiben könnten.

Dazu kommt, dass wichtige "Typen" in dieser Phase wieder dabei sind: Hubnik und Kobiashvili, auch Niemeyer, und Raffael hat trotz mehrere Momente, in denen er zu wenig auf die Nebenspieler vertraute, einige "typische" Szenen gezeigt (entscheidend auf jeden Fall sein Zusammenspiel mit Ramos, aus dem das 2:0 entstand). Wichtig aber ist, dass ein neuer Typ hinzukam: Änis Ben-Hatira, physisch ein Modellathlet, könnte unter richtiger Anleitung zu einer echten Identifikationsfigur werden. Aber das haben wir schon ein, zweimal über ihn gesagt - und jedesmal ist er danach für Wochen wieder verschwunden. Wann aber wäre eine bessere Gelegenheit, sich zu bestätigen, wenn nicht in den beiden kommenden Spielen?


Keine Kommentare: