Wenn man zu einem neuen Trainer mehrere Kondolenznachrichten bekommt, dann muss man sich wohl endgültig als Anhänger eines Dodelclubs bezeichnen. Gestern abend verdichteten sich jedenfalls die Hinweise darauf, dass Otto Rehhagel der neue Trainer von Hertha werden soll - bis Saisonende, und mit Unterstützung von René Tretschok und Ante Covic (an den Linien?).
Für mich läge darin eine besondere Ironie, denn diese Chronik ist beinahe genau so alt wie der letzte Triumph von Rehhagel. Im Sommer 2004 begann ich hier mitzuschreiben, der EM-Sieg von Griechenland lag ein paar Wochen zurück, und wie ich damals in die "declaration of principles" dieser Seite schrieb, war ich - in einem Finale, das mir im Grunde egal war - für den Sieg der Hellenen, weil ich den bigotten Portugiesen nichts abgewinnen konnte.
Ich hätte große Lust, nun meinem spontanen Impuls zu folgen und als Fan von Hertha zurückzutreten. Aber was soll ich dann mit meiner Fußballbegeisterung anfangen? Mich mit öden Spielen trösten wie dem zwischen Hoffenheim und Mainz gestern? BVB- oder Werder-Fan werden, um populistisch an meinen ältesten Bundesliga-Impuls, den antibavarischen, anzuschließen (gern würde ich Erwin Blumenfelds großen Satz "Als ich noch nicht einmal ein geiler Gedanke meines Vaters war, wurde ich bereits Antiwagner!" auf mein Verhältnis zum FCB adaptieren, aber das wäre dann doch übertrieben)?
Nein, mir bleibt nur Hertha, und deswegen gilt es auch hier wieder, die eventuelle Vernunft aus diesem auf den ersten Blick verheerenden Manöver herauszuholen. Verheerend erscheint mir vor allem die Signalwirkung, denn einmal mehr denkt Preetz in einer wichtigen Frage populistisch (Rehhagel war von 1963-1966 Herthaner). Die Vernunft liegt vermutlich darin, dass der aus Essen stammende Fußballlehrer gar nicht wirklich als Trainer nach Berlin kommen soll. Wir müssen ihn uns eher als eine Art Sonderbotschafter vorstellen, wie eine dieser Figuren, die von der EU in den Tschad oder nach Lampedusa entsandt werden, damit sie dort den Anschein des Institutionellen wahren.
Die Arbeit sollen wohl Tretschok und Covic machen, während Rehhagel die Interviews geben dürfte. Kompetenz (wenn Tretschok und Covic, hier fortan: TC, denn haben) und Autorität (wenn der Kasperl Rehhagel sie denn hat) werden personell gesplittet - plausibel erscheint mir das nicht gerade. Und im Sommer kommt dann ein "richtiger" Trainer. Konkret bedeutet das natürlich, dass Manager Preetz seine letzte Karte zweimal ziehen möchte. Fraglich ist dabei zweierlei: Kann TC sich auf diese Weise in Ruhe das Standing erarbeiten, das eine weitere Karriere in der ersten Liga denkbar macht? Dazu muss wohl zuerst Klarheit darüber herrschen, ob T oder C der eigentliche Kopf ist. Man sieht, hier gibt es reichlich Potential für weitere Konfusion, es zeichnet sich nachgerade ein Ämterwirrwarr ab (am Ende müssen die Spieler gegen drei Trainer zugleich spielen?).
"Also, wenn das gut geht!" Das sagt Marcel Reif in so einer Situation immer, der heute das Spiel von Hertha gegen den BVB kommentieren wird. Zu diesem besonderen Spiel, dem eintausendsten von Hertha BSC in der Bundesliga, das die BVG durch einen Streik zusätzlich hervorzuheben sich entschlossen hat, noch ein paar Gedanken. Aufgrund der Sperre von Andreas Ottl (den der neue Mann der SZ für Berlin, Max Bosse, neulich unerklärlicherweise als "Mittelfeld-Motor" bezeichnet hat, ein Bild, das, wenn es denn stimmt, die Rechnung ohne das Getriebe gemacht hat, denn Ottl kennt nur einen Gang, den zweiten) kann Hertha nun dreimal ein neues Mittelfeld ausprobieren (Niemeyer steht zudem knapp vor der fünften gelben Karte, und Lustenberger ist verletzt, da zeichnet sich also gegen Augsburg eine strategische Lücke ab, in die einmal mehr der polyvalente, aber auch unerfahrene Morales stoßen müsste).
Ich favorisiere, auch wegen des Ausfalls von Kagawa bei Dortmund, eine Variante mit Raffael neben Niemeyer, mit Ramos neben Lasogga, mit Ebert und Rukavytsya (oder gar mit Schulz gegen Piszczek), mit Bastians statt Kobiashvili (über dessen defensiven Schlappfuß gegen Stuttgart schon wieder ein Gegentor fiel), mit Mijatovic, Hubnik und Morales, und natürlich mit Kraft im Tor. Ich wünsche René Tretschok alles Gute für sein Debüt.
6 Kommentare:
Unterhaltsam & elegant geschrieben, mit Distanz und Ironie auf der einen und einer unverkennbaren Grundsympathie für den Verein auf der anderen Seite - ein Beitrag, wie ich ihn in den meisten anderen Blogs und Foren vermisse. Zu Rehhagel: Ich teile deine Bedenken und sehe große Risiken in dieser Verpflichtung, finde aber dennoch, dass sie unter den gegebenen Umständen die bestmögliche ist - jedenfalls deutlich besser als all die anderen Varianten, die in den vergangenen Tagen durch die Medien geisterten...
Wenn TC mehr zu sagen hätten, als wo sie die Hütchen aufstellen sollen, würde mich das außerordentlich wundern. King Ottos Wort ist Gesetz, welche Strafe daraus für Hertha resultiert, bleibt abzuwarten. Bei 4 Trainern in einer Saison gings immer runter, 5 wird eine neue Erfahrung.
"polyvalent" ist ein schönes Wort.
leider hat Lucien Favre auch die polyvalenz zu gladbach mitgenommen
Hallo,
das ist der mit Abstand komischste Beitrag in Deinem langjährigen Blog - habe sehr gelacht. Hoffen wir das Beste - Klassenerhalt. Und haben damit was zu lachen ;)
Liebe Grüße,
Natalie
Otto Nochmalverbraucher ist ein guter Begriff für das wie Hertha nach dem Trainerwechsel gespielt hat :)
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