Dienstag, September 03, 2013

Houdinismus

Es hatte etwas von einer amerikanischen Präsidentschaftswahl, wie sich die letzte Nacht der Transferperiode in diesem Sommer gestern entwickelte. Viele Nachrichten, von denen viele sehr lang auf Bestätigung warten ließen, manche konnten schließlich gar nicht bestätigt werden, der eine oder andere Wechsel fiel durch, weil: "too close to call".

Hertha wurde noch aktiv und leiht Tolga Cigerci für eine Saison vom VfL Wolfsburg aus, eine kleine, pragmatische Maßnahme, die genau richtig dosiert ist, um Ronny ein wenig anzuspornen und Mukhtar nicht vor den Kopf zu stoßen. Ich habe ihn letztes Jahr bei Gladbach gelegentlich gesehen, er ist auf jeden Fall ein interessanter Spieler, von dem sich nun weisen wird, ob er sich in das Luhukay-Ethos finden wird.

Wesentlich hektischer als in Deutschland, wo die Clubs während der Transferzeit ihre Aufgaben erledigt hatten, ging es in England zu. Dort gab es sogar echte Blamagen. Manchester United hatte Ander Herrera von Atletico Bilbao vermeintlich schon sicher, doch dann ging doch noch etwas schief, und es war zu spät, um zu korrigieren.

Der Transfer des Abends gelang aber Arsenal: Mesut Özil wechselt von Real Madrid nach London, und zwar für eine zweifache Rekordsumme - er wird der teuerste Spieler, den Arsenal jemals verpflichtet hat, und auch der teuerste deutsche Spieler, der jemals einen Verein gewechselt hat. Arsène Wenger kann also mit einigem Recht behaupten, dass einer späten Karriere als Entfesselungskünstler nichts im Wege steht. Am Sonntag hat seine Mannschaft das Derby gegen Tottenham (Gareth Bale raus, sieben teure Neue) verdient mit 1:0 gewonnen (durch ein virtuoses Tor von Giroud). Am Tag darauf nun also eine spektakuläre Neuverpflichtung, die vor allem der "midfield maestro" Tomas Rosicky wehmütig sehen wird.

Denn Özil (oder Ozil, oder Oezil, über den Umlaut wurde in England gestern schon viel geschrieben) wird natürlich der neue Maestro. Er wird gut in die Mannschaft passen, aus drei Gründen: Cazorla hat gerade am Sonntag angedeutet, dass ihm die Position auf links, von der aus er nach innen ziehen kann, sehr behagt; Ramsey und Wilshere (oder neuerdings wieder Flamini) sorgen im zentralen Mittelfeld für die nötige Kombination aus Biss und Kreativität; und Walcott und Giroud gehen in die Lücken. Mit Özil kommt ein Element hinzu, das seit Bergkamp und Fabregas fehlte: ein Air von absoluter Weltklasse.

Für den immer noch jungen Mann aus Gelsenkirchen steckt in dieser Sache allerdings auch eine Demütigung. Er sah sich gezwungen, zu einem Club aus der zweiten Reihe zu wechseln (wobei für mich Real Madrid da momentan auch - noch - dazugehört, allerdings nur sportlich; in jeder anderen Hinsicht sind sie natürlich galaktisch). Ich hoffe, er nimmt es sportlich, und führt Arsenal ein Stück nach oben. Wenn wir Pech haben, verstärkt sich seine andere Tendenz, und er taucht ab, wenn es hart wird. Dagegen spricht für meine Begriffe, dass Arsenal - angeführt von Aaron Ramsey - eine neue Haltung entwickelt, die von enormer Leidenschaft geprägt ist. Flamini (ablösefrei) erwies sich am Sonntag jedenfalls gleich als einer, der da bestens dazu passt.

Der Coup mit Özil sollte aber nicht überstrahlen, dass Arsenal keinen Stürmer verpflichten konnte. Sie hängen also ganz und gar von Giroud ab, einer exzellenten ersten Wahl - was aber, wenn er sich verletzt? Dann müsste Walcott zentral spielen, was zu einer eher barcelonischen oder peppigen Konzeption führen würde. Die Transferbilanz von Wenger ist also gemischt, er wird sich aber voll und ganz legitimiert sehen, und tatsächlich kann man von einer gerade noch erfolgreichen Schlussoffensive sprechen, wobei ich sagen würde, dass Flamini fast so wichtig werden könnte wie Özil. Das wäre eine herrliche Ironie, ungefähr so, als hätte Hertha Kacar zurückgeholt, und der würde wieder zu einer Säule. Wofür ja nun leider nicht nur nicht so viel spricht, sondern gar nichts. Es wäre ja auch schon zu spät. Für dieses Mal.

Montag, September 02, 2013

Frustrationstoleranz

Die Niederlage in Wolfsburg war auch deswegen so bitter, weil sie durch nur zwei Aussetzer knapp hinter einander und unmittelbar vor der Pause bedingt war (ich addiere so: Ben-Hatira und Langkamp teilen sich das erste Gegentor, Brooks hat das zweite für sich allein). Gegen Nürnberg war der Rückschlag vor der Pause noch verarbeitbar, gegen Wolfsburg nicht mehr.

Gestern kam dann noch die Nachricht, dass Alexander Baumjohann fast die ganze restliche Saison wegen einer schweren Knieverletzung ausfallen wird. So brutal ist Fußball: Er hatte sich in Berlin gut eingeführt, es ist ja hier irgendwie auch seine letzte Chance, mit seinem Talent doch einmal ordentlich zu wuchern. Und nun das. Sein Auftritt beim RBB vor einer Woche hat mir gut gefallen, er präsentierte sich auf eine professionelle, aber nicht arrogante Weise; ohne Zweifel zählte er in dieser frühen Phase der Saison zu den spannendsten Herthanern.

Nun folgt eine Länderspielpause, während Luhukay und Preetz mit den verbliebenen Spielern sich neu sortieren müssen. Dazu gehört auch eine Personalie. Pierre-Michel Lasogga, der "Bär", wie ich ihn gern genannt habe, wird an den HSV verliehen, allerdings ohne Kaufoption. Im Gegenzug kommt ein norwegischer Spieler, Per Skjelbred, ein Offensiv-Allrounder. Ich sehe das Manöver mit gemischten Gefühlen, denn Lasogga ist für mich nicht nur ein exzellenter Stürmer, er ist auch eine wichtige Identifikationsfigur. Andererseits führt für ihn an Adrián Ramos derzeit kein Weg vorbei, allerdings habe ich ihn immer als Nummer zwei im Angriff gesehen und nie als Nummer vier, wie er zuletzt mehrfach tituliert wurde. Denken wir kurz einmal den Worst Case durch, wie es ja Aufgabe des Managements ist: Adrián Ramos fällt (so wie Baumjohann) für den Rest der Spielzeit aus.

Dann wäre für meine Begriffe Allagui der einzige verbliebene Qualitätsstürmer. Sandro Wagner ist auch noch da, der Kicker berichtete sogar, dass sein Vertrag verlängert werden soll. Worauf diese Entscheidungen fußen, ist nicht leicht nachvollziehbar, jedenfalls nicht für jemand, der nicht nach Trainingsleistungen oder Kabinenstimmungsfaktoren gehen kann, die ich ja nicht beobachte. Die Wahrheit auf dem Platz rechtfertigt eine Vertragsverlängerung eigentlich nicht.

Andererseits kann man Lasogga die Möglichkeit, sich eine Spielzeit lang in Hamburg zu präsentieren, nicht versagen. Ich hoffe, er schafft dort den Durchbruch, allerdings wird er danach weg sein, sofern es Hertha gelingt, mit Ramos zu verlängern. Mit einem der beiden wird der Club (einiges) Geld verdienen, das kann man mit ein bisschen Optimismus annehmen.

Für Baumjohann gibt es im Kader natürlich direkten Ersatz. Ronny kann nun den Beweis antreten, dass er ein Erstligaspieler der gehobenen Klasse ist. Immerhin haben wir damit auch ein Thema vom Tisch, das mir immer als verfehlt erschien: Die Doppelzehn, die ja auch in Wolfsburg (wo Baumjohann zu einem vazierenden Außenspieler wurde) wenig brachte.

Nach der Länderspielpause kommt der VfB Stuttgart, der nach der Entlassung von Bruno Labaddia am Sonntag gleich einmal Hoffenheim mit 6:2 nach Hause schickte. Die Grundlagen für ein drittes erfolgreiches Heimspiel sind vorhanden, doch nun muss Luhukay zum ersten Mal in dieser Saison daran arbeiten, dass Enttäuschungen die Motivation nicht verderben. Die nach wie vor vorhandene Dichte im Kader (Ndjeng, van den Bergh, Niemeyer halten die Spannung hoch, Mukhtar ist eine interessante Wild Card) sollte dazu beitragen. Und wenn das eine Saison wird, in der das Olympiastadion eine Festung wird, während die Auswärtsfahrten sich schwierig gestalten, dann wäre das ein brauchbarer Weg.

PS Die großartigen Fans lange nach dem Spiel

Samstag, August 31, 2013

Arbeitsniederlage

Das spontane Telegramm zum Auswärtsspiel in Wolfsburg: Die Niederlage geht in Ordnung, auch wenn sie einen schalen Beigeschmack hat. Hertha hatte nach 20 Minuten begonnen, das Spiel zu gestalten, nach vierzig Minuten aber folgten zwei folgenschwere Szenen: Naldo kommt in einem gähnend leeren Halbfeld zu einem missglückten Schuss, den Olic attackiert, während Langkamp passiv bleibt: 0:1. Kurz darauf kann Brooks im Fünfmeterraum einen Ball nicht gut klären, er versucht mit ein wenig zu viel Schmackes zu korrigieren, Diego holt sich einen Elfmeter, den er selbst verwandelt.

Ein Rückschlag vor der Pause, der in der zweiten Halbzeit nicht korrigiert werden kann - auch deswegen, weil Luhukay nicht überzeugend wechselt (warum  der bewährt sinnlose Wagner? warum Ramos, der im Zentrum mit Ronny viel besser harmoniert, auf die Außenbahn?), vor allem aber deswegen, weil Wolfsburg demonstriert, warum die Liga allgemein so stark an Niveau gewonnen hat. Hecking hatte mindestens einen so guten Plan heute wie Luhukay, mit den zwei Toren im Rücken konnte Wolfsburg mit einem geschickten Offensivpressing Hertha doch sehr gut eindämmen. Wäre es nicht vielleicht klüger gewesen, doch positionelle Wechsel vorzunehmen (Kluge für Hosogaj, Ronny für Baumjohann)? Ich denke, dass das ein besseres Flügelspiel gewährleistet hätte, und mehr Torgefahr.

Insgesamt aber geht die Mannschaft intakt aus der Sache hervor. Gut gefielen mir Langkamp (in einigen Szenen deutet sich da ein Leader an), Schulz, Lustenberger, eigentlich auch fast alle anderen. Das Ankommen in der Liga, Phase 4: guter Fußball wird fast überall gespielt, es kommt auf Nuancen an, Hertha war heute nur 20 Minuten zwingend. Pausen, wie Baumjohann sie sich immer wieder nimmt, sind Pausen der ganzen Mannschaft. Auch der Coach ist nicht unfehlbar. Wie sollte er auch. Hertha spielt erste Liga, und das auch im vierten Spiel absolut konkurrenzfähig.

Donnerstag, August 29, 2013

Millionendomino

Wir nähern uns der entscheidenden Phase der Transferperiode dieses Sommers. Selbst bei Hertha, wo die wesentlichen Entscheidungen erfreulich früh fielen, könnte sich noch etwas tun. Man liest von möglichen Abgängen von Hubnik oder Ben Sahar, und von einem Interesse an dem Ingolstädter Offensivspieler Caiuby. Unabhängig davon konnte man in den ersten drei Saisonspielen den Eindruck gewinnen, dass Hertha gut aufgestellt ist, wobei vor allem die Balance im Kader interessant erscheint: Sehr viele Spieler können füreinander nicht nur auf dem Platz, sondern auch positionell einstehen. Ohne große Worte hat Jos Luhukay also die Idee von Lucien Favre, auf "polyvalente" Spieler zu setzen, eingelöst - wie überhaupt auffällt, dass Luhukay vieles von dem tut, was Favre seinerzeit vorhatte und wozu er ansetzte, was er sich aber durch eine ungeschickte Politik verdarb. Konzepttrainer sind oft dann am besten, wenn sie wenig von ihren Konzepten reden.

Das Transferdrama, auf das meine Augen besonders gerichtet sind, ereignet sich in London. Arsenal hat nur noch bis nächste Woche Zeit, einen dünnen Kader so weit zu verstärken, damit zumindest die Wahrung der aktuellen Position eines CL-Teilnehmers in Reichweite bleibt. Von einer Rückkehr in die Reihe der eigentlichen "contenders", also der Mannschaften, die um die Titel spielen, wagt man sich inzwischen ja kaum mehr eine Vorstellung zu machen, und das ist im Grunde ein Skandal, denn die geschäftlichen Faktoren sehen Arsenal weiterhin unter den europäischen Topclubs. Doch die Leistungen sprechen derzeit eher für eine Einordnung in der erweiterten Spitze, mit prekärer Nähe zum oberen Mittelfeld.

Die vergangene Woche brachte ein wenig Erleichterung, nachdem Fenerbahce und Fulham sich als schwache Gegner erwiesen. Zudem hat Wenger nach wie vor eine fähige erste Elf, wobei er aktuell davon profitiert, dass Aaron Ramsey seine interessante Entwicklung aus der letzten Saison fortsetzt. Ich sehe ihn vom Typ und vom Talent her fast auf einer Ebene mit Fabregas (einstmals die Nummer 4 bei Arsenal, und ein tolles Paar mit Mathieu Flamini, damals Nummer 16, der heuer als "freier Agent" zurückkehrte nach einer mäßig erfolgreichen Zeit bei Milan).

Heuer setzt Ramsey das Spiel wegen der Verletzung von Arteta von weiter hinten an, in einer flexiblen Partnerschaft mit Wilshere. Technisch und in den Zweikämpfen hat er sich noch einmal verbessert, seine taktische Intelligenz ist ohnehin in Ordnung, sein Auge ist manchmal brillant, alles Faktoren, die seinen größten Nachteil, die mangelnde Antrittsschnelligkeit, aufwiegen können. Giroud ist ein Angreifer mit enormem Potential, die Spielfreude von Cazorla wog zuletzt schon wieder seine Erschöpfung von einem langen Sommer auf. Mertesacker füllt seine derzeitige Leader-Rolle gut aus, Sczeszny würde ich ohnehin nicht zurückstufen.

Und dann zeigt Arsenal sogar neuerdings wieder so etwas wie ein planvolles Spiel gegen den Ball. Es gibt also keinen Grund, vor dem Derby gegen Tottenham am Wochenende Trübsal zu blasen. Doch auf Sicht einer langen Saison mit vier Bewerben ist der Kader auf eine schockierende Weise lückenhaft. Die internen Probleme, die dazu führten, dass Arsenal in diesem Sommer noch keinen wesentlichen Transfer zuwegebrachte, werden in den Berichten immer nur angedeutet. Sie sind aber offensichtlich.

Nun hängt nach Meinung fast aller Beobachter alles an Real Madrid. Dort soll, in bewährt großspuriger Manier und gegen jegliche taktische Überlegung, Gareth Bale verpflichtet werden, für eine ungeheure Summe, die es mit sich bringt, dass ein paar Spielern die Tür gewiesen werden könnte. Da zudem ein Gebot für Liverpools Luis Suarez im Raum steht, könnten Benzema, Di Maria, sogar Özil in Madrid disponibel werden. Arsène Wenger, der Mann mit dem letzten Wort bei Arsenal, steht unter dem Druck, einen "großen Namen" bringen zu müssen. Ich hoffe stark, er bleibt sich zumindest in dieser einen Hinsicht treu und überrascht uns alle am Montag noch mit drei, vier klugen Einkäufen in der mittleren Preisklasse und für Positionen, auf denen Arsenal wirklich Bedarf hat. Äquivalente zu dem Hosogaj-Transfer von Hertha, wenn man so will.

Denn die Grundlagen für eine große Kampagne wären ja eigentlich immer noch gegeben bei Arsenal. Es müsste nur einfach besser gearbeitet werden. Ich bin gespannt.

PS Nach der Auslosung: Schöne, schwere Gruppe für Arsenal, dieses Mal wird es nicht reichen, mit einer in den Winter hinein kraftloser werdenden Leistung den zweiten Platz mitzunehmen; es wird in allen Spielen um alles gehen. Keine Todesgruppe, aber doch eine echte Herausforderung.

Montag, August 26, 2013

Normen und Werte

Der Trainer wurde ziemlich grundsätzlich nach dem Sieg gegen Hamburg. Seine Einlassungen hatten dabei den Charakter von Orakelsprüchen. Denn man kann sie drehen und wenden, so richtig genau wird man nicht herausbekommen, ob er eher über die Berliner Boulevardzeitung erbost ist, die in tatsächlich letztklassiger Manier eine junge Frau vorgeführt hat, oder über seine Profis, die neben dem Beruf auch noch ein Privatleben (und innerhalb desselben ein nicht immer monogames Sexualleben haben). Luhukay sprach von den "Normen und Werten" des Lebens, der RBB schnitt wie zur Verdeutlichung eine Aufnahme von seiner Frau und seiner Tochter dazwischen - ein Familienmensch, der im Hotel wohnt, bekommt es zum ersten Mal so richtig mit den Konkurrenzgesetzen auf dem Berliner Aufmerksamkeitsmarkt zu tun. Dass es dabei wirklich "knallhart" zugeht, dass junge Leute für 5000 Euro der Meute zum Fraß vorgeworfen werden, ist wohl auch für ihn die schlimmere Seite dieser Angelegenheit; gleichzeitig wird er sich keine Illusionen darüber machen, dass die Spieler von ihrer Stellung in dieser knallharten Gesellschaft nicht immer wieder profitieren, und Sex ist nun einmal das, worauf alles hinausläuft. Ask Dieter Bohlen.

Die Sache ist nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil sie uns erlaubt, ein wenig besser zu verstehen, wie Luhukays Autorität bei Hertha verfasst ist. Es ist eine natürliche Autorität, und das ist doch ein bisschen erstaunlich bei einem nicht allzu groß gewachsenen, dunkelhäutigen Mann mit Schnauzer. Luhukay ist einer jener Typen, die so uncool sind, dass sie schon wieder cool sind; nicht, dass er es in irgendeiner Form darauf anlegte.

Nach allem, was so aus der Mannschaft nach außen dringt, verfügt er über eine sehr gute Pädagogik. Das bedeutet eben, zum jeweiligen Zeitpunkt den richtigen Ton zu treffen. Mit der Autorität ist es ja eine Gratwanderung, wenn man sie einmal überreizt, oder es nicht versteht, seine Maßnahmen plausibel zu machen, dann ist die Sache schon aus dem Lot. Bei Luhukay ist die Sache aber im Augenblick so im Lot, dass man es ihm sogar abnimmt, wenn er über "Normen und Werte" spricht.

Nun zu dem konkreten Beispiel, das dieses Wochenende bot. Es ist ein wenig rätselhaft. Luhukay nahm nämlich schon in der 23. Minute Brooks vom Feld, brachte dafür Niemeyer, Lustenberger ging in die Viererkette. Ich ging von einer Verletzung aus, doch in der Pressekonferenz erläuterte der Trainer ziemlich genau, dass es eine taktische Maßnahme war: Lustenberger wäre besser im "Durchschieben", Langkamp bestünde in Einszueinssituationen auch ohne Absicherung. Dabei ging es wohl darum, dass Lustenberger gelegentlich auf van der Vaart gehen sollte, ohne dass dadurch ein ähnlicher Fehler zustandekäme wie neulich in Nürnberg, als Janker weiter vorn attackierte.

Ich habe mir das Spiel noch einmal angesehen, und konnte beim besten Willen nichts feststellen, worauf Luhukays Auffassung begründet gewesen wäre, dass Brooks "nicht gut ins Spiel" gefunden hätte. Van der Vaart war vollkommen wirkungslos, Hertha hatte nach 20 Minuten bereits angefangen, sich das Spiel zurechtzulegen. Brooks hatte ein, zweimal hinten eingegriffen, war einmal vorn neben Ramos aufgetaucht; er spielte diskret, wie eigentlich fast immer. Dass Langkamp ihn in irgendeiner Form "manndecken" musste, wie das bei Mijatovic vor zwei Jahren noch häufig notwendig war, konnte ich nicht sehen. Bleibt als Möglichkeit noch, dass Luhukay die Spieleröffnung variantenreicher machen wollte - doch warum hat er das dann in der PK nicht so gesagt?

Es kam also Niemeyer, und weil der ehemalige Kapitän gut spielte, wurde etwas über diesen Kader 2013/2014 erkennbar, das sich als wichtig erweisen dürfte. Er beruht auf flacher Hierarchie insofern, als es nur ganz wenige herausragende Spieler gibt (ich würde meinen: Kraft und Ramos), während ansonsten für fast jede Position zwei ordentliche Besetzungen vorhanden sind, zumal wenn man die Polyvalenten (Lustenberger, Ndjeng, nun auch Schulz) berücksichtigt. Luhukay muss also moderieren, er tut das mit großer Ruhe. Verständlicher wird die Auswechslung vom Samstag nicht. Sie hatte aber den Effekt, Niemeyer früh in der Saison aus der Ecke zu holen. Vielleicht war es ja sogar umgekehrt, und Luhukay hatte begriffen, dass der HSV es erlaubte, der alten "Drecksau" (Niemeyer in einem fußballrhetorisch unglücklichen Moment über sich selbst) ein wenig Auslauf zu geben.

Aber auch das gehört zu einer guten Autorität: dass sie Geheimnisse hat. Es dürfen nur keine Geheimnisse sein, für die sich die Schreizeitungen interessieren würden.


Samstag, August 24, 2013

Kalkuliertes Risiko

Ein paar spontane Worte zum 1:0-Heimsieg gegen den HSV. Als die Spieler auf ihrer Ehrenrunde waren, trotteten Ronny und Ramos ein wenig hinterher. Dann ließ sich Nico Schulz zu ihnen zurückfallen, die beiden Starlegionäre (gilt das Wort eigentlich noch?) nahmen ihn in die Mitte. Es war die Geste, mit der das Spiel besiegelt wurde, bevor die Ostkurve, der dieser Sieg mehr als allen anderen (außer den Spielern und JLu) zu gönnen ist, die Mannschaft in Empfang nahm. Der Coach hatte heute etwas riskiert, und sein Manöver war voll aufgegangen. Niemand hätte sich gewundert, wenn er die konservativere Variante mit Holland links hinten gewählt hätte. Doch er stellte mit Nico Schulz den dritten Leftback im dritten Ligaspiel in dieser Saison auf.

Zur Halbzeit war ich ein wenig in Sorge, ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der den Debütanten (in dieser Rolle in der ersten Liga) in der Kabine gelassen hätte, er war ja mit Gelb vorbelastet und hatte ein, zwei Wackler gehabt. Doch in der zweiten Halbzeit verlagerte sich das Hertha-Spiel, das im ersten Durchgang vor allem Baumjohann geprägt hatte, nach links, und wieder einmal gab es für das Tor, das Nico Schulz Adrián Ramos auflegte, mehrere Generalproben. Der Sieg ist unendlich befriedigend, denn er war verdient, hart erarbeitet, er beruht auf einer echten Mannschaftsleistung, und darauf, dass der Coach (von der Mannschaft, aber auch vom Spiel) ein wenig mehr wollte, als nur das Minimalprogramm - das wäre ein Remis gewesen, zur Bestätigung des guten Starts. Luhukay wollte den Sieg, die Mannschaft schenkte ihm einen denkwürdigen.

Mittwoch, August 21, 2013

Beratungsresistenz

Ziemlich ramponiert ist der Arsenal FC gestern nach Istanbul gereist, wo heute das Qualifitkationsspiel für die Gruppenphase der Champion's League gegen Fenerbahce ansteht. Der türkische Verein spielt unter dem Vorbehalt einer Sperre wegen Spielmanipulation, gegen die noch ein Einspruch offen ist. Es kann also gut sein, dass Arsenal nächste Woche kampflos weiterkommt - da werden die beiden Matches aber schon gespielt sein. Am Wochenende gab es zur Eröffnung der EPL 2013/14 ein 1:3 gegen Aston Villa vor eigenem Publikum, ein Match so richtig zum Vergessen mit drei Verletzten (Gibbs, Oxlade-Chamberlain, Sagna), einem erratischen Schiedsrichter, einer gelb-roten Karte für Koscielny (während sein Gegenüber Vlaar aus absolut unerfindlichen Gründen geschon wurde) und einer Mannschaftsleistung, die so ungeordnet war, wie es der augenblicklich stark lückenhafte Kader nicht anders zuließ.

Arsenal hat in diesem Sommer noch keinen neuen Spieler verpflichtet, trotz einer deutlichen Ansage, dass finanziell bedeutende Möglichkeiten bestehen (Kenner sprechen von 80 bis 150 Millionen Euro). Die Verletzung von Arteta macht nur zu deutlich, dass besonders für seine Position kein Ersatz zur Verfügung steht. Gegen Villa spielte Ramsey auf der Sechserposition, Wilshere leicht versetzt neben ihm, beide fanden offensiv wenig Möglichkeiten, sich einzubringen. Dazu kam der von einem langen Sommer indisponierte Cazorla, der das wichtige zweite Gegentor einleitete. So blieben nach der Verletzung von Oxlade-Chamberlain nur noch Giroud und Rosicky, die etwas probierten. Der in der 94. Minute eingewechselte Lukas Podolski wurde von den Fans zum Man of the Match gewählt. Im Übrigen wurden sie mir ihren Gesängen deutlich: Spend some f***ing money.

Die Probleme von Arsenal sind aber grundsätzlicher, und ich war richtiggehend erleichtert, dass der Supporters Trust sie diese Woche in einer Stellungnahme endlich einmal so angesprochen hat. Arsène Wenger hat viel zu viele Kompetenzen, er ist im Grunde die einzige Person, die sportliche Entscheidungen trifft. Das Scouting funktioniert immer noch halbwegs gut (Giroud und Cazorla kamen letztes Jahr, beide sind ein Gewinn), aber das Team Building ist ungenügend, weil Wenger sich für Taktik nicht interessiert. Dazu kommt eine gewisse Naivität hinsichtlich der Stellung von Arsenal in Europa, die am besten in dem ganz offensichtlich schlecht vorbereiteten Gebot für Lars Bender zum Ausdruck kam. Es ist keineswegs so, dass man Topspieler leicht bekommen kann, es hat sich eben schon herumgesprochen, dass Arsenal eher im Niedergang als auf dem Weg nach oben ist. Jemand wie Lewandowski ist vollkommen außer Reichweite.

Auch deswegen war es ein Fehler, dass der bereits weit verhandelte Transfer von Gonzalo Higuain nicht vollzogen wurde. Arsenal wollte pokern, inzwischen ist der Argentinier längst bei Napoli, und nun gehen die plausiblen Transferziele aus. Dass man sich um Yohan Cabaye von Newcastle bemüht, wird allgemein als Panikmaßnahme gewertet. Ich sehe das auch so, denn der Franzose füllt keine der eklatanten Lücken im Kader (defensives Mittelfeld, Defensive zentral und außen, Angriffszentrum), sondern würde nur zu der Vielzahl von halbswegs guten Offensvivspielern zählen. (Oxlade-Chamberlain, der vielversprechend wirkte, wird einige Monate fehlen. Rosicky könnte ihn vermutlich vertreten, zur Not auch Podolski, dessen Standing allerdings schon stark beeinträchtigt scheint.)

Was wäre zu tun? Angesichts der Verdienste von Arsène Wenger um den Club, eines unfähigen Boards und eines extrem technokratischen Executives in Ivan Gazidis wird es schwer, einfach einen Neuanfang zu machen. Dazu sind die Leistungen unter Wenger immer noch nominell zu okay (letztes Jahr schon wieder Platz 4). Nun allerdings einfach abzuwarten, bis der "Boss", wie er allgemein intern genannt wird, seinen Kredit endgültig erschöpft hat, wäre fatal. Arsenal braucht Fußballkompetenz, einen Taktiktrainer, einen Sportdirektor, beide müssen mit Wenger gut zusammenarbeiten, was schwierig sein dürfte, denn der "Professor", wie er auch gern genannt wird, wirkt ziemlich beratungsresistent. So werden wir weiterhin gutes Beobachtungsmaterial für eine Studie haben, wie ein Fußballclub (noch dazu einer der größten Europas) nicht geführt werden sollte.

PS am Tag nach dem ersten Fenerbahce-Spiel: Das war kein seriöser Gegner.

Montag, August 19, 2013

Kippbild

Mit dem 2:2 in Nürnberg ist Hertha erst so richtig in der ersten Liga angekommen. Es war ein Spiel, wie es die kommende Saison vermutlich noch oft bringen wird: zwei relativ gleichwertige Teams aus dem (unteren?) Mittelfeld der Liga liefern einander einen intensiven Kampf, bei dem das spielerische Element immer nur in Momenten zum Vorschein kommen kann. Die vielen Zweikämpfe und Fouls, zu denen Hertha vor allem in der ersten Halbzeit gewungen wurde, deuten darauf hin, dass Nürnberg sich da besser durchsetzen konnte. Namentlich Ginczek machte der neu formierten Defensive zu schaffen.

In der Szene vor dem Tor ließ Janker sich aus der Viererkette herauslocken, stellte sich dann aber im Zweikampf ungeschickt an, Lustenberger konnte auch nichts ausrichten, in die Unordnung stieß Drmic. Meines Erachtens war allerdings Ben-Hatira bei dem Spielzug davor, einem exzellenten Hertha-Angriff, einer, würde ich jetzt schon beinahe sagen wollen, typischen Hertha-Bewegung anno 2013/2014, nicht im Abseits (jedenfalls nicht, wenn man im Zweifelsfall für den Angreifer entscheidet), sodass es da auch schon 0:1 stehen hätte können.

Ich erwähne das deswegen, weil die Berichterstattung sich gestern sehr stark auf eine Reihe von kontroversen Entscheidungen konzentrierte, sodass ein wenig unterging, dass Hertha ab ungefähr Minute 50 das Spiel eindeutig übernahm. Die Vokabel, die sich diesbezüglich eingebürgert hat, lautet Zugriff. Hertha bekam Zugriff, der bis zu diesem Zeitpunkt eher alibihaft spielende Baumjohann wachte auf, Allagui spielte einen seiner schwer nachahmlich feinst dosierten Pässe auf Lustenberger, die Flexibilität des Eintracht-Spiels war wieder da. Der Ausgleich lag nahe, es passte aber zum Spiel, dass er auf kuriose Weise fiel: Allaguis brillante Wendung im Strafraum brachte ihn in Schussposition, er rutschte aber aus, sodass der Schuss weit daneben gegangen wäre; zum Glück stand Dabanli im Weg, er lenkte den Ball ins Tor.

Die gelbe Karte gegen Baumjohann sehe ich als akzeptabel an, während 93,26 Prozent am Montag um 8.33 bei Wahre Tabelle sie als Fehlentscheidung verbuchen. Aber ich gehöre ja auch zu denjenigen, die bei der strittigen Elfmeterentscheidung auf die TV-Perspektive von hinten setzen, dort sieht man nämlich, dass Pinola den Ball nicht berührt hat. Von der Seite sieht es anders aus, der Videobeweis ergibt hier also ein Kippbild, ganz klassisch so, wie es der Referee nicht brauchen kann. Er entschied auf Elfmeter, Ronny verwandelte sicher. Hervorzuheben ist an der Sache noch, dass Baumjohann überhaupt so dynamisch in den Strafraum eindrang, auch dazu gab es gegen Frankfurt schon Modellszenen.

Dass der Schiedsrichter schließlich noch spät einen Zweikampf von Brooks als Foul wertete (zu Unrecht, wie für die Fernsehzuschauer ziemlich eindeutig ersichtlich war), gab Kyotake die Gelegenheit zu einem spektakulären Ausgleich. Vielleicht ist der kleine Dämpfer gar nicht schlecht. Hertha geht mit vier Punkten in das Abendspiel gegen den HSV, die Euphorie ist ein wenig gedämpft, die Gründe zum Optimismus sind nicht weniger geworden.

Doch gibt es auch Gründe, die Aufmerksamkeit ratsam sein lassen. In der ersten Halbzeit war zu sehen, dass Hertha nicht so richtig wusste, wie mit dem Spiel umzugehen war. Das Pressing begann vermutlich nach Plan gut zwanzig Meter weiter hinten als beim Heimspiel. Vor allem an Baumjohann konnte man auch sehen, dass es zum Teil eher alibihaft gespielt wurde. Ben-Hatira machte das mit einigen Fouls weit vorne und einer sehr wichtigen Interception im eigenen Strafraum halbwegs wett. Hertha musste erst in die Haken und Ösen finden, könnte man sagen. Es ist eine typische Reaktion auf einen tollen Sieg: Hertha wollte auch in Nürnberg gern spielen, musste sich allerdings in die Verhältnisse finden, und die Zeichen standen nun einmal nicht sofort auf Spiel. Problemzonen waren die linke Defensivseite (Holland hatte Glück, dass ihm die zweite gelbe Karte erspart blieb; Janker wurde relativ früh ausgewechselt), in der ersten Halbzeit das offensive Zentrum, auch Pekarik hatte seine Mühe, weil Allagui nicht so intensiv nach hinten arbeitete.

In der zweiten Halbzeit hatte Hertha das Verhältnis zum Spiel geklärt. Der Coach wechselte auf Sieg ein, wobei man meiner Meinung nach mit Sandro Wagner da nicht wirklich weit kommen wird. So hat das 2:2 eine innere Logik, die sowohl vom Spielverlauf wie von den kontroversen Szenen her auf eine prinzipielle Unentscheidbarkeit dieses Matches verweisen. Der Vergleich mit dem Auftritt in Nürnberg vor eineinhalb Jahren (Winter, Skibbe, Ronny) macht den Unterschied, auf den es ankommt.

Mittwoch, August 14, 2013

Manndeckung

Auf Spielverlagerung gibt es eine Analyse des Hertha-Siegs über Frankfurt, die wie immer äußerst detailliert ist, zum Teil eigentlich schon auf eine Weise, dass mir das Element Plan gegenüber dem Element Improvisation zu einseitig gewichtet scheint. Während des Bayern-Matches am Freitag gab es ja eine lustige Einspielung von Pep Guardiola, so weit ich sehen konnte, war sie ungeschnitten, während der der Meistercoach in wenigen Sekunden so viele Richtungen wies, das das dazugehörige Bewegungsbild seiner Mannschaft nur ein absolutes Chaos ergeben hätte können. Das bringt mich zurück zu dem Gedanken, den die Analyse bei Spielverlagerung bei mir ausgelöst hat. Denn ich habe mich später auch gefragt, wie weit die Hertha-Taktik eigentlich spezifisch auf Frankfurt abgestimmt war, wie genau sie auf die Formation des Gegners reagiert hat, die ja erst am Samstag bekannt wurde, und wie weit sie tatsächlich, wie Spielverlagerung es sieht, schon nach zehn Minuten bedeutsam variiert wurde.

Mein Laienblick, der immer noch unwillkürlich dazu tendiert, nur eine Mannschaft zu "sehen", konzentrierte sich in dieser Hinsicht früh auf Allagui. Ich hatte noch einige Spielsituationen aus dem Pokalspiel im Kopf, und umso klarer war es ersichtlich, dass der nominell rechte Flügelspieler eigentlich häufig viel weiter innen arbeitete, defensiv sowieso, aber im Resultat dann auch in der Umschaltbewegung. Bei seinem ersten Tor aber tauchte er am linken Pfosten auf, insgesamt tauschten die Offensivspieler vielfach die Position, und zwar nicht so, wie noch unter Babbel, wo man den Eindruck hatte, sie täten dies nach der Stechuhr im Viertelstundentakt.

Diese offensive Flexibilität muss wohl durch die vielen Passübungen erarbeitet werden, die man im Training bei Luhukay beobachten kann. Zugleich beruht das System aber defensiv auch auf einer Art Manndeckung. Und das verstärkt wiederum den Faktor Spielverlauf, denn nach dem noch etwas wackligen Beginn war Hertha die Mannschaft, der Frankfurt mehr hinterherlaufen musste, als umgekehrt. Nach dem 3:1 kam es dann eben zu so extrem ungeordneten Situationen wie der vor dem 4:1, das eigentlich ins Exempelbuch der Bewegungsdiagramme gehört - ein Tor auch aus Übermut, denn eigentlich geht Langkamp in keinem normalen Spiel so in die Offensivbewegung, wie er das in diesem Fall tat. Aber da waren eben schon die Räume.

Leider bietet die Bundesliga-Webseite in dieser Saison die Laufleistungen der Teams und auch der Spieler nicht mehr an (auch der Kicker hat die entsprechende Ziffer nicht mehr im ohnehin nicht allzu komplexen Statistikfeld). Es hätte mich doch sehr interessiert, welche Werte Hertha da individuell und kollektiv hatte. Ich vermute einmal, dass die Vereine mit ihrer Lobbyarbeit Erfolg hatten. Ihnen gefiel das ja nie, dass wir unbedarften Fans uns auch ein wenig mit den Zahlen beschäftigen wollten.

Während die Mannschaft längst auf den nächsten Sonntag ausgerichtet ist, werden die Fans von diesem Spiel so schnell nicht ablassen. Auch ich lese immer noch ein wenig weiter dazu, zum Beispiel den Bundesliga-Report von Raphael Honigstein im Guardian, der immerhin fast 300 Kommentare bekommen hat, von denen tatsächlich nicht wenige auch zu Hertha waren. Nehmen wir das einmal als Indiz der potentiellen Strahlkraft des Hauptstadt-Clubs.


Montag, August 12, 2013

Wundertüte

"Dieses Manuskript wäre abgelehnt worden", sagte der Sky-Kommentator Michael Born irgendwann gegen Ende der Übertragung des 6:1-Siegs von Hertha gegen Eintracht Frankfurt am Samstag. Das ist so eine Redewendung, mit der das Überraschende verarbeitet wird. Born übersah aber in der Hitze des Gefechts, dass dieses "Manuskript" eigentlich keine dramaturgischen Schwächen hatte, also nicht mit unplausiblen Wendungen, grotesken Fehlentscheidungen, Göttern aus der Maschine arbeitete. Es hatte eine innere Plausibilität, die aus einem im Grunde einfachen, aber leider so schwer zu erzeugenden Faktor stammt: professionelle Arbeit, die unter idealen Bedingungen zu wunderbarem Spiel wird.

Gestern habe ich mir das Spiel noch einmal in aller Ruhe angesehen, und die Eindrücke aus dem Live-Zusammehang haben sich im wesentlichen bestätigt, im Detail ein wenig verdeutlicht. Dass Frankfurt in den ersten zehn Minuten doch deutlich das Heft in der Hand hatte, war mir ein wenig entgangen, weil ich da schon von den hohen Verteidigungslinien von Hertha fasziniert war (das damit einher gehende Risiko wird sicher Thema dieser Trainingswoche sein, die Eintracht kam doch mehrfach hinter die letzte Hertha-Linie, ein paar Mal zu oft, genau genommen). Das Match war noch keine 60 Sekunden alt, da hatten sich fünf Hertha-Spieler schon auf dem linken Flügel massiert und attackierten die Gegner. In der fünften Minute ging Ben-Hatira an der Eckfahne dort vorn in einen Zweikampf - ein "signature tackling", ein Tackling, das ein Zeichen setzte.

Über die ganzen 90 Minuten überzeugte die Mannschaft durch ein äußerst flexibles Zusammenspiel sowohl im Pressing wie beim Kontern. Allagui ließ sich bei Ballbesitz Frankfurt auf eine zweite Linie zurückfallen, die er mit Lustenberger und Hosogai (und manchmal mit dem vorgeschobenen van den Bergh) bildete. Baumjohann ging vorne in die Mitte, Ramos rückte nach rechts (es gab Varianten, aber das war eine Grundkonstellation). Allagui kam dadurch wie schon gegen Neumünster in einer Situation an den Ball, in der er der ideale Umschaltspieler wurde (nachdem Lustenberger einen Ballgewinn schnell und konstruktiv in seinen Lauf gespielt hatte) - er behauptete im Zweikampf den Ball, sah den Raum für Ben-Hatira, der dieses Mal nicht, wie noch im Cupspiel, selbst abschloss, sondern für Ramos auflegte. 1:0.

Die Bewegung ging von Lustenberger aus, der ein wenig im Schatten des enorm fleißigen und produktiven Hosogai stand; wichtig scheint mir, dass beide äußerst intensiv an der Verbindung der Mannschaftsteile arbeiteten, und die Integration insgesamt stimmte. Als Hertha vor zwei Jahren in die erste Liga zurückkehrte, war die Spielanlage viel, viel konservativer, mit einem defensiven Sechserblock, aus dem allenfalls Ottl ab und zu mit einem Pass nach vorn herausging. Die Mannschaft war unter Babbel weitgehend strukturell halbiert, vorne mussten Raffael, Ramos, Lasogga und manchmal Ebert das Spiel allein bestreiten.

Das ist der entscheidende Unterschied zu Luhukays Hertha, die zumindest am Samstag schon einmal andeutete, dass sie ein integriertes System hat. So etwas lässt sich auch daran erkennen, dass Torerfolge manchmal so etwas wie Generalproben haben, also ähnliche Spielzüge: Allaguis Treffer zum wichtigen 3:1 nach der Pause ging auf eine kurze Bogenflanke zurück, die Baumjohann davor schon zweimal fast identisch geschlagen hatte: vor dem 2:0 und vor dem Lattentreffer von Allagui kurz vor der Pause.

Nichts spricht dagegen, diese Spielanlage mit dem hohen Verteidigen nicht noch gegen eine Reihe weiterer Gegner zu versuchen, jedenfalls in den Heimspielen. Gegen Bayern oder Dortmund wird die Taktik eine andere sein müssen, aber schon gegen Nürnberg ist sie auch auswärts denkbar.

Dass schließlich sogar ein Sebastian Langkamp vor dem 4:1 mit einem "brasilianischen" Moment zu den großartigen Manuskript vom Samstag beitrug, hatte da bereits eine innere Logik. Und so ist es ja mit dem Erzählen: wenn es gelingt, eine Situation plausibel zu etablieren, dann lassen sich auch phantastische Wendungen einbauen. Der Sieg gegen die Eintracht in einem Spiel, das vorab von vielen als "Wundertüte" etikettiert worden war, ist eben doch ein wenig mehr als nur eine Momentaufnahme.

Ich sehe darin so etwas wie eine Geisteraustreibung (zu der auch das Wetter sein dramaturgisches Moment beitrug): All das Ungemach der letzten Jahre, das viele Pech und manche zum Teil absurde Entscheidung auf der Führungsebene, sind jetzt gebannt. Das einzige, was man gegen Pleiten, Pech und Pannen, die jederzeit zurückkommen können, tun kann, hat Hertha am Samstag getan: gut gearbeitet, vernünftig riskiert, dem Glück eine Chance gegeben.