Dienstag, September 04, 2012

Lokalpatriotismus

Fans von Hertha, die auch Fußballfans sind, haben es zur Zeit nicht leicht. Der 2:1-Sieg bei Union Berlin war hart erkämpft und ging nicht ohne viel Gemurkse. Und doch war nach Abpfiff große Stimmung, wie ich den Fernsehbildern entnehmen konnte. Den Grund erfuhr ich gleich darauf im Interview von Sandro Wagner: Fanvertreter hatten in der vergangenen Woche der Mannschaft dargelegt, dass eine Niederlage im Berliner Derby zu monatelangen Hänseleien führt. Es bedurfte eines Brachialschusses von Ronny (und einer naiven Unioner Mauer), um diesen Ernstfall für dieses Mal zu verhindern. Hertha ist jetzt wieder die erste Macht in Berlin. Für viele Fans scheint das fast genauso wichtig zu sein wie der Tabellenstand oder die allgemeine Tendenz des Fußballs, den Hertha spielt. In solchen Momenten sehe ich, dass ich da einfach nicht dazu gehöre. Ich bin froh über die drei Punkte, für die lokalpatriotischen Anwandlungen fehlt mir der Sinn - ich bin ja auch kein Berliner.

Mir wird bei diesem Anlass wieder klarer, warum ich eigentlich Hertha-Fan geworden bin, und warum ich in der zweiten Zweitligasaison binnen kurzer Zeit eine doch deutliche Identifikationskrise habe. Ich begann mich ja noch von Österreich aus für Hertha zu begeistern, weil ich Berlin als Stadt so mochte, und weil ich nach dem Aufstieg die Kombination einfach super fand, dass eine (nicht nur für mich) bedeutende Stadt nun auch an der Entwicklung des Fußballs Anteil hat, dass man vor Ort dabei sein kann, wie sich etwas entwickelt. Deswegen bleibt das (erste) Scheitern von Lucien Favre im deutschen Fußball für mich der traumatische Moment, den Michael Preetz durch die Bestellung von Friedhelm Funkel noch schlimmer gemacht hat.

Darüber ist Hertha bis heute nicht hinweg, ich bin es auch nicht, deswegen meine relative Teilnahmslosigkeit angesichts des Siegs in Köpenick. Immerhin hat die Mannschaft gekämpft, sie wird derzeit eindeutig eher von der "Drecksau" Niemeyer geprägt als von dem einzigen wirklich Inspirierten Ben-Hatira, der aber zum Glück auch seine Spuren hinterlässt. Dazu kam eine gute Leistung von Sascha Burchert, der wesentlich dazu beitrug, eine in der zweiten Hälfte stärker werdende Union in Schach zu halten.

Über das Spiel muss man eigentlich keine großen Worte verlieren, deswegen hier noch ein Link, den ich von den Freunden habe, die gestern wirklich glücklich gewesen sein müssen: ein Bericht aus der Perspektive von Fans, mit einer beeindruckenden Fotostrecke. So wichtig kann man dieses Spiel auch nehmen, und davon lebt er ja letztendlich doch, der Fußball!

2 Kommentare:

77z hat gesagt…

Nun mal nicht so negativ. Der Lulu hat ja leider auch viel falsch gemacht. Wenn er das mal nicht im großen Stil jetzt wiederholt.

Funkel und Skibbe sind natürlich Hammer, die man wohl nicht so schnell verdauen kann, aber mit Luhu könnte es doch noch was werden. Hoffen wir das Beste!

Natalie hat gesagt…

In der Tat! ;)
Selbstverständlich kann nur ein gebürtiger Berliner wirklich 1 zu 1 verstehen, was der Derby-Sieg bedeutet, wie groß die Erleichterung und wie riesig die Freude war.
Wobei ich Dir folgen kann, ist irgendwie das Fansein mit angezogener Handbremse. Meine Trauer um den Verlust Favres hält an, die Zustände im Verein als Produkt der Chefetage treffen mich zutiefst und diese desolate Situation ist für mich kaum zu ertragen. Darüber täuschen mich (nicht mehr) Siege hinweg. Was für einen Wert sollen sie haben, wenn die verantwortlichen Strukturen weiterhin Bestand haben (mit/ trotz JLu)?
Wir Fans waren bei dem Derby großartig, das war ungelogen Leistungssport, alle waren komplett erschöpft danach.
Vor Unionern hatte ich keine Angst, bei unseren Toren schon, da kannte die Freude keine Grenzen. Analog dazu der Einsatz und die ehrliche Freude der Spieler nach Abpfiff.
Nicht auszudenken, wie rein und unbekümmert sich dies alles ohne den grundlegenden Kummer um meinen Verein angefühlt hätte.
Alles war so schön und trotzdem haben Preetz & Co. mir etwas genommen! Optimismus?
Das verzeihe ich nicht.