Samstag, Oktober 06, 2012

Denken und Lenken

Das war einigermaßen beeindruckend, wie Hertha sich im Spitzenspiel gegen die Sechziger schlug. Am Montag hatte das Team sich in Duisburg noch durch Unentschlossenheit aus einem Match drängen lassen, das es eigentlich im Griff gehabt hatte - es reichte zu einem 2:2, verhieß aber nichts Gutes für künftige Erprobungen. Und dann muss in den vier Tagen danach etwas passiert sein, das auf ein gutes und probates Selbstverständnis schließen lässt. Das Hauptproblem, das ich bei Hertha ja seit immer schon gesehen habe, liegt im Mangel an Identität. Die Mannschaft hat bisher noch nie so richtig gewusst, wie sie sich verstehen soll. Daraus resultiert eine unausgeglichene Spielanlage. Das hat Favre in der einen Saison zum ersten Mal ein wenig behoben, als er Hertha als effektive Spielverderber definiert hat - Balleroberung Friedrich, kluger Lauf Kacar, Einsnull gegen den VfB. Wie lang das her ist!

Die Leistung gegen 1860 sah im Vergleich moderner und zukunftsweisender aus. Okay, wir sind in der zweiten Liga, und die Spieler, die da gestern gut gearbeitet haben, würden sich zu großen Teilen eine Abteilung höher schwer tun. Für gestern aber hat es gepasst. Die erste Halbzeit war noch de facto offen, zwei starke Momente von 1860 wogen auf, dass Hertha auch da schon die Spielkontrolle hatte. In Halbzeit zwei aber funktionierte alles prächtig. Zwei Beispiele: Fabian Holland ist möglicherweise jener Typ des "no nonsense"-Außendeckers, der genau das bisschen zum Spielaufbau - und vielleicht sogar ein, zwei, drei Flanken pro Spiel - beiträgt, das eine gute Balance ermöglicht. Mir gefielen besonders seine halblangen Pässe und die entsprechende Laufarbeit; da sah einiges nach Trainingseffekt aus, wie der Ball nach vorn kam. Zweites Beispiel Peer Kluge, bisher unausgeglichen, gestern unermüdlich zwischen Produktivität und Absicherung abwägend, manchmal in einer einzigen Bewegung, einer Kehrtwende, die stellenweise technische Finesse zeigte.

Dazu der schon bisher deutlich erkennbaren Aktivposten Ben-Hatira, eine gute Flanke von Ndjeng, ein Tor von Ramos, keine zweite gelbe Karte für Lustenberger (der in Halbzeit eins ein, zwei prekäre Momente hatte), ein gelungener Kopfballrückpass von Brooks (der damit eine entsprechende ältere Szene zu den Akten legte, die zu einem Gegentor geführt hatte), ein langweiliger Abend für Kraft. Bleibt als Sorgenkind Allagui, was aber angesichts der mannschaftsstarken Offensivabteilung, die Manager Preetz eingekauft hat, verkraftbar sein könnte.

Der Kommentator des Bezahlsenders sprach mehrfach von Niemeyer als "Denker und Lenker" des Hertha-Spiels, was in etwas zu großem Abstand zu dessen eher zutreffendem Selbstverständnis als "Drecksau" steht. Aber es ist etwas Wahres dran. In einer funktionierenden Mannschaft wird das Denken und Lenken beinahe unsichtbar, und Hertha hat das gestern 45 Minuten lang angedeutet. Es war ein Zweitligaspiel, entsprechend umkämpft war es auch im Detail. Aber es war auch ein Konzept sichtbar. Guter Moment, um in eine Länderspielpause zu gehen - und in ein Wochenende mit Arsenal bei West Ham und mit dem spanischen Clásico.

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