Sonntag, September 28, 2008
Offenbarungseid
War ein harter Tag gestern für mich, zuerst verliert die Hertha im Olympiastadion 0:1 gegen Energie Cottbus, auf dem Heimweg in der U-Bahn werfen die Fans verzweifelt einzelne Namen in die Runde, der eine fand Lustenberger desolat, der andere will die vier Millionen für Raffael zurück. Vor der Kiste dann Arsenal gegen Hull City, zum zwölften Jahrestag von Arsène Wenger in Nordlondon gibt es ein überraschendes, schockierendes 1:2. Fußball als Einübung in den Umgang mit Enttäuschungen - das großartige Spiel wird zur Lebensschule, manchmal kommt es eben darauf an, wie man verliert. Die Hertha hat gestern blamabel verloren. Es war deswegen besonders schwer hinzunehmen, weil sich eine Tendenz bestätigt hat, die sich schon seit dem zweiten Liagmatch gegen Bielefeld erkennen ließ, und die stark an die Jahre unter Falko Götz erinnert. Eine potentiell gute Mannschaft spielt aus Gründen unter ihren Möglichkeiten, die in den rätselhaften und für den Trainer schwer fassbaren Bereichen liegt: Einstellung, Engagement, Inspiration, Würde. Ich fand es bemerkenswert, dass ausgerechnet Marc Stein gestern besonders schlecht aussah. Nach dem Spiel in Dortmund hatte er noch von einer "guten Leistung" gefaselt, gestern lief er in der 13. Minute orientierungslos herum und ließ sich dann von Angelov widerstandslos überlaufen - den flachen Querpass verwertete Jelic, und die Hertha stand vor einem déjà-vu. Rückstand gegen Cottbus bedeutet anscheinend Niederlage gegen Cottbus. Die restlichen achtzig Minuten herrschte im Stadion eine seltsame Stimmung. Die Ostkurve versuchte so gut es ging noch Unterstützung zu geben, aber die bürgerlichen Ränge, auf denen ich sitze, hatten bald nur mehr Hohn und Wut übrig. Stein, der später noch zwei besonders hanebüchene Flanken schlug, bekam deutlich zu spüren, was die Menge von ihm gestern hielt. Der junge Mann spielt seine erste Saison in Berlin, er ist ganz offensichtlich anfänglich ein wenig abgehoben, sollte vom Club auch zum Teenie-Idol mit Strähnchenfrisur aufgebaut werden - jetzt ist er der dritte Defensivspieler, der heuer schon schwer beschädigt wurde bzw. sich selbst beschädigt hat. Der "Offenbarungseid", von dem die Berliner Tabloids heute schreiben, kam in der 69. Minute, als der Coach den allzu braven Lustenberger aus dem Spiel nahm und Dardai brachte. Damit war der Rückfall in die Ära Götz praktisch komplett. Es ist gar nicht so leicht, festzumachen, was gestern nicht funktioniert hat. Zehn Minuten ging ja auch was, danach aber war deutlich, dass der Ausfall von zwei leidenschaftlichen Akteuren wie Ebert und Kacar durch halbe Männer wie Nicu oder Schöngeister wie Raffael nicht zu kompensieren ist. Die Hertha spielt auch am Samstag wie im Training, ein wenig "als ob", wenn etwas misslingt, ist das nicht weiter schlimm. Standardsituationen werden souverän ignoriert, außer Ebert scheint das niemand zu üben. Nicu (auch dafür geholt) war gestern wieder sehr schwach, Chahed ist nur eine Notlösung, Pantelic und Voronin sind einander nicht immer dienlich, Raffael bekommt die Früchte seiner (mangelnden) Arbeit präsentiert, nur Cicero zeigte in der ersten Halbzeit ein wenig Initiative, er ist aber auch ein Spielertyp, für den sie in Wien den Ausdruck "der Papierene" erfunden haben. Als das Spiel aus war, gingen Friedrich, Simunic und Pantelic in die Kurve - der Serbe stellte sich den Fans wie ein Ombudsmann. Was konnte man ihm aber sagen, außer den Gemeinplätzen des Fußballs: Wir wollen euch kämpfen (und trotzdem spielen) sehen!
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