Sonntag, September 14, 2008

Hubschraubereinsatz

Zweites Heimspiel, zweites Remis: die neue Hertha ist die alte Hertha, da kann Coach Favre noch so sehr in einem großen Interview mit Claudio Catuogno in der SZ von Spielintelligenz und Backe, backe, Kuchen räsonnieren. Das 2:2 gegen Wolfsburg war ein faires Resultat, weil die Hertha zwei Drittel des Spiels träge und dröge dahinfummelte. Der Vfl Wolfsburg hatte mehr Schärfe, ließ das Match aber auch irgendwie an sich vorbeiziehen. Schon in der ersten Minute gab es eine Fehlerkombination, die für das Folgende typisch war: Balleroberung auf rechts, Ball zurück zu Simunic, der direkt zu Kacar, dem der Pass misslingt. Wolfsburg dazwischen, Simunic starrt auf den Ball und lässt Grafite ins Loch laufen, Drobny rettet. Der anschließende Eckball brachte etwas ein, den Wolfsburger Führungstreffer durch Costa nämlich. Diesem Rückstand lief Hertha eine Stunde lang mäßig engagiert hinterher. Pantelic, Ebert, Kacar und Voronin waren bemüht. Simunic und Friedrich wirkten steif und ließen auch geistig jeden Anspruch auf Führungsspiel vermissen. Der Kapitän schaltete sich nach vorn immer wieder ein, einige Kombinationen mit Ebert funktionierten sogar, aber nach einem Antritt von zwanzig Metern war Friedrich dann schon zu erschöpft, um noch eine Flanke hinzukriegen. In der Pause muss der Coach etwas angesprochen haben, denn zumindest der aufreizend passive Cicero nahm dann mehr Verantwortung wahr, damit blieb Raffael auf dem linken Flügel der schlimmste Faulpelz auf dem Feld. Im Interview mit der SZ sagt Favre, dass Zweikämpfe in Deutschland überschätzt werden. "Aber wenn du spürst, wohin das Spiel sich verschieben wird, dann brauchst du nicht viele Zweikämpfe. Du brauchst einen Zweikampf - und der Ball ist da." Dieses Ideal blockiert derzeit die Hertha, und keiner verkörpert es so verkehrt wie Raffael, der häufiger mit Spüren im freien Raum beschäftigt ist, als mit Arbeit um den Ball. Es ist kein Zufall, dass Neuzugang Voronin, der das Ethos der Premier League kennt, mit seinem Aufwand wesentlich zum Umschwung beitrug. Er holte sich die Bälle auch dort noch, wo Raffael schon längst mit dem Erspüren einer künftigen Situation abgelenkt war, die meistens mangels Ballbesitz nicht kam. So kam es, dass Pantelic in der 85. Minute in die Lage kam, von halbrechts eine gefühlvolle Flanke in den Fünfmeterraum zu drehen, die Cicero per Kopf verwertete. Schon der Ausgleichtreffer nach Freistoß von Ebert war durch Kacar per Kopf gefallen. Dazwischen hatte Pantelic noch einen Elfmeter verschossen, für den eigentlich Cicero zuständig gewesen wäre. Die Szene war nicht entscheidend, es sollte aber jetzt doch klar sein, dass Pante das nicht kann. In der vorletzten Minute lief Steve von Bergen sich vor dem eigenen Sechzehner zwischen vier Wolfsburgern fest, die Kollegen sahen seinem Ungemach wie neugierige Passanten einem Handtaschenraub zu und ließen ihn auch dann noch allein, als er dem Dieb nachlief. Riether schoss den Ausgleich, zwei Punkte waren futsch. Für Voronin, der eine Verstärkung darstellt, hatten die Zuschauer schon einen Slogan parat: "Hubschraubereinsatz", riefen sie, wenn er am Ball war. Sein Zopf mag rotieren, wichtiger ist sein Aktionsradius, der dazu führt, dass er auch Zweikämpfe auf Vorrat führt. Die Hertha insgesamt aber hält es zu sehr mit einem Trainer, der sie dazu verführt, Fußball einseitig auf Spielintelligenz aufzubauen. Das Missverständnis wird sich spätestens nach dem siebten oder achten Remis klären, das eine gespürte Niederlage ist.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

hallo,
ich stimme prinzipiell zu, allein den verschossenen elfmeter halte ich doch fuer spielentscheidend, aus folgendem grund: er haette zu einem deutlich frueheren zeitpunkt die fuehrung bedeutet - und "handlungsspielraum". unsere eitle nummer 9 darf ihr trauma nur bei nach menschlich ermessener deutlicher fuehrung ueberwinden, nicht, wenn es um 3 punkte geht. unsere altherren-abwehr bereitet mir ebenso bauchschmerzen, wie dir/ihnen. ich habe grosse zuneigung zu unserem kapitaen und muss leider zugeben: das passt nicht zu modernem fussball. wenn unser trainer, von dem ich sehr viel halte, mutig genug waere, sortierte er simunic, friedrich und drobny aus. in den vor-bundeslige-spielen fand ich unsere junge truppe im 3-5-2 (4-4-2) grundsaetzlich ueberzeugender, mindestens nicht schlechter.
ich mag diesen blog seit jahren und sehr, da gute beobachtung und analyse.
vielleicht laesst sich mal vorort bei stadionwurst und gummischrippe sinnieren.

blau-weisse gruesse
natalie keil