Samstag, Mai 15, 2010

Schlussstrich

Schon nächste Woche wird Hertha vielleicht den neuen Trainer präsentieren (am Dienstag gibt es eine Fanaussprache im ICC, eine Gelegenheit, sich noch vor der Mitgliederversammlung abzureagieren - wer hatte diese Idee, die clever erscheint, vielleicht aber erst so richtig die Mobilisierung für den zweiten Termin vorantreibt). Danach gibt es keinen Grund mehr, noch zurückzuschauen auf die Abstiegssaison. Ich nütze diese Gelegenheit deswegen für einen Schlussstrich, einen Versuch, möglichst prägnant noch ein letztes Mal zusammenzufassen, woraus sich dieser Abstieg ergeben hat.

a) Die Erbschuld: Manager Hoeneß, seine Ausgabenpolitik und seine bestenfalls durchschnittliche Einkaufspolitik. Die fragile Lage, in die er Hertha insgesamt gebracht hat - mit CL-Potential auf den tönernen Füßen einer bis weit ins neue Jahrzehnt hin belasteten geschäftlichen Gebarung.

b) Lucien Favre: Der interessanteste Trainer, den Hertha in der neueren Ära hatte, war auch ein Starrkopf und hatte wenig Sinn für die mentalen und symbolischen Aspekte des Spiels. Dass er Arne Friedrich in den beiden Spielen des Saisonfinales 2009 auf der Bank ließ, hat Hertha vielleicht die CL gekostet, hat aber auf jeden Fall die Mannschaftshierarchie grob beeinträchtigt - und auch vorausgewiesen auf den Fall Pantelic, den Hertha nicht zuletzt wegen Favre nicht ernsthaft zu halten versucht hat. Naive Transfers: Pejcinovic, Wichniarek (wie sich erwies, dem Polen hätte ich mehr zugetraut).

c) Werner Gegenbauer: Ging unnötig mit dem Transferüberschuss in die Offensive, den Hertha erwirtschaften musste - fünf Millionen wären vielleicht auch diskreter und mit kleineren Personalien erzielbar gewesen als mit der Symbolfigur Simunic, den aber auch Favre nicht ernstlich weiterbeschäftigen wollte. Die Trennung von Manager Hoeneß, die ich richtig fand, resultierte aus dem gleichen Bestemm auf Kahlschlag, mit dem Favre an den Kader 2009/2010 heranging.

d) Michael Preetz: Traf im Grunde in seinem ersten Jahr nur eine einzige Entscheidung, er ersetzte Favre durch Funkel (ich erinnere mich noch an den Trübsinn, den dies damals sofort bei mir auslöste). Für einen Sportdirektor, der er ja ist, hat er die beiden Trainer, mit denen er bisher gearbeitet hat, nicht kritisch genug hinterfragt. Favres blauäugige Transferpolitik im Sommer 2009 ließ er einfach durchgehen, Funkels Bestemm auf Gekas erschien ihm nicht diskutabel. Preetz ist ein sehr guter Vertreter der Hertha in der Öffentlichkeit, aber ich glaube, er bräuchte einen Sportdirektor, einen Typ Siegenthaler oder Peters, der Kaderplanung, Scouting, Nachwuchsarbeit, Spiel- und Trainingsanalyse strategisch koordiniert (solange Hertha sich den ganzen Betrieb noch leisten kann). Generell habe ich nicht den Eindruck, dass Hertha über zu viel Knowhow verfügt.

e) Friedhelm Funkel: Er hat viel zu lange gebraucht, um die Mannschaft zu verstehen. Seine Königspersonalie Gekas hielt ich von Beginn an für Unsinn, sie war auch Ausdruck dessen, dass Funkel das Potential von Ramos falsch eingeschätzt hat, der für mich ohne zentralen Stürmer vor sich besser war. Die Hertha war ja am Ende der Saison fast wieder 100 % Favre, mit einem gefährlichen Mittelfeld und intensiver Ballrotation. Funkel hat zwei Spiele eindeutig vercoacht, beide in der Hinrunde: Schalke auswärts (in dieser klassischen Konterbegegnung ließ er Ramos auf der Bank und schickte Wichniarek hinaus), und Leverkusen daheim (früher Führungstreffer durch Ramos, danach wurde die Pressinglinie hinter die eigene Mittellinie verlegt, Endergebnis 2:2). Die Hertha hat unter Funkel keinen einzigen Gegner geschlagen, der Widerstand geleistet hat (deswegen ist auch die angeblich gute Auswärtsbilanz trügerisch).

f) Die Mannschaft: Hat zu spät eine kollektive Einstellung zu der diesjährigen Aufgabe gefunden, ging bis zum Ende kämpferisch nicht an die Reserven. Größte Enttäuschung: Gojko Kacar, der aber auch Pech mit Verletzungen hatte und mit dem Funkel lange nicht richtig umzugehen wusste. Positiv fielen auf: Drobny, Lustenberger, Raffael, mit Einschränkungen: Ramos, Cicero und Piszczek.

g) Pech und Unglück: Schlechte Schiedsrichterleistungen, fragwürdige Zuteilungen von Schiedsrichtern für Spiele im Olympiastadion, der mentale Tiefschlag durch den Flash Mob nach dem Spiel gegen Nürnberg, die letzte Minute gegen Leverkusen - all das kommt noch hinzu, sollte aber nicht davon ablenken, dass das ein hausgemachter Abstieg war.

1 Kommentar:

JayBeeBerlin hat gesagt…

Lieber marxelinho, vielen Dank für deine scharfsinnigen Kommentare, auf die ich in dieser Saison zum ersten mal gestoßen bin und immer sehr genossen habe. Ich hoffe, dass du auch in der ersten Zweitligasaison seit ewigen Zeiten weiterhin mit Sachverstand und Leidenschaft unsere Hertha begleitest.
Irgendwie hab ich "vom Feeling her ein gutes Gefühl" was Babbel angeht, er steht auf jeden Fall für Aufbruch und Unverbrauchtheit. Darauf, dass in die Hertha in der kommenden Saison endlich zu sich selbst findet und Berlin mit Kampf und Esprit wieder zurück in die 1. Liga bringt, hoffe sicher nicht nur ich.