Sonntag, März 28, 2010

Abschiebung

Nach dem Regen am Morgen war es schon ein wenig überraschend, dass der Samstagnachmittag gestern optimale Bedingungen für das Spiel der Hertha gegen den BVB bot: der Rasen in gutem Zustand, nach der Pause sogar Frühlingsstimmung, und das Spiel entsprach der Stimmung. Es war eine gute, engagierte Leistung von Hertha gegen eine der besten Defensivformationen der Liga.

Zu einem Tor hat es nicht gereicht, aus zwei Gründen: sehr gute Chancen wurden nicht genützt, und ein Treffer von Gekas wurde von dem Ermessensspielraum verschluckt, den die Abseitsregeln bieten. Coach Funkel hatte im Vorfeld noch von taktischen Veränderungen gemunkelt, auf dem Feld war davon nichts zu sehen, er schickte dieselbe Mannschaft hinaus, die gegen Wolfsburg gewonnen hatte. Alles andere wäre auch ein Blödsinn gewesen, denn diese Elf ist die beste Hertha, die in dieser Saison zu haben ist - dass sie trotzdem taktisch nicht hundertprozentig im Lot ist, hat zu dem frustierenden Verlauf des Spiels beigetragen.

Gekas war gestern wieder passiver als noch vor einer Woche, trotzdem bekam er beste Gelegenheiten, manchmal waren aber auch Abstimmungsprobleme mit Ramos zu erkennen. Ich will zwei Spieler hervorheben, die wesentlich zu Herthas Überlegenheit beitrugen: Lustenberger war großartig im zentralen Mittelfeld, noch stärker aber sah ich Piszczek, der sich für mich zum Mann der Saison entwickelt: Er wird allmählich zu dem ersten wirklich modernen Außenverteidiger, den Hertha überhaupt in der neueren Zeit hatte (als solcher wird er den Club wahrscheinlich verlassen).

Gestern spielte er bei einem seiner Vorstöße den einen Querpass auf Gekas, den dieser am ehesten hätte verwerten müssen. Wenig später antizipierte er eine Blaszczikowsy-Flanke auf Barrios so geistesgegenwärtig, dass er in letzter Sekunde noch vor den Welttorjäger in Position kam und diesen entscheidend stören konnte.

Allmählich wurde klar, dass das ein Abnützungskampf werden würde, bei dem Hertha ans Limit musste. Und dann fiel spät doch noch das Tor, das nach Meinung der Fernsehsender (ARD, Sky) hätte zählen müssen, das der Assistent aber nicht anerkannte: langer Ball auf Gekas, der läuft (wie so oft) aus dem Abseits los, der Ball kommt aber nicht zu ihm, springt auf (Fahne immer noch unten), Santana will das Problem lösen, köpft zu Weidenfeller zurück, zu kurz, sodass Gekas ihn aufnehmen und ins Tor verlängern kann.

Ich habe intuitives Verständnis für Klopps Interpretation, der sagte: Gekas wäre dort nicht gewesen, wäre er vorher nicht im Abseits gewesen, deswegen auch jetzt noch abseits. Die Regel allerdings sieht vor: da die Situation nicht abgewunken wurde, entsteht mit Santanas Ball eine neue Situation, und so hätte der Treffer zählen müssen. Mein Hausverstand sagt: Der Treffer war irregulär. Die Regeln sagen: Er war regulär.

Der Linienrichter brauchte eine Weile für seine Entscheidung, daraus entstand erst so richtig die Wut, die dann durch das Stadion wogte. Man rief "Schiebung", und zwar mit Macht. Die Hertha steht vor der Abschiebung in die zweite Liga, sie kann sich auch bei den Schiedsrichtern beklagen, das ändert aber nichts daran, dass sie wie alle anderen Mannschaften auch gegen die Unwägbarkeiten zusätzlich spielen muss, und das gelang ihr gestern nicht. Zu einem kleinen Teil auch deswegen nicht, weil Coach Funkel am Ende darauf verzichtete, einen offensiven Wechsel vorzunehmen (Domovchyiski für Kacar hätte sich angeboten), er also nicht alles Menschenmögliche mobilisieren wollte. (Das verstehe, wer will.)

Gibt es noch Grund zur Hoffnung? Auf jeden Fall. Die Mannschaft ist jetzt wieder konkurrenzfähig mit der oberen Ligahälfte, die Hertha kann sogar die Meisterschaft mitentscheiden. Sie würde aus sechs Spielen vier Siege und zwei Unentschieden benötigen: gegen Köln auswärts muss nun natürlich gewonnen werden, gegen Stuttgart auch, dann muss Frankfurt niedergerungen werden, und dann könnte es noch einmal sehr interessant werden - daheim gegen Schalke (ein Punkt), auswärts gegen Leverkusen (drei Punkte), daheim gegen den FCB (ein Punkt).

Ein Idealszenario, das aber in der Mannschaft steckt (und das übrigens eventuell trotzdem nicht reichen könnte). Ich bin gespannt, und seltsam guten Mutes. Denn unabhängig von der Tabellenlage bin ich mit dieser Mannschaft inzwischen wieder (fast) einverstanden - leider wird sie aller vernünftigen Voraussicht nach in sechs Wochen in alle Windesrichtungen zerstreut werden. Allmählich sehen auch die Kommentatoren, dass das nicht nur für Berlin, sondern für die Liga einen Verlust darstellen würde.

2 Kommentare:

Bärliner hat gesagt…

"Sie würde aus sechs Spielen vier Siege und zwei Unentschieden benötigen"

Kein Problem, wo sie doch in 28 Spielen schon viermal gewonnen hat. ;-)

"Ein Idealszenario, das aber in der Mannschaft steckt "

Das nenne ich mal eine schöne Realitätsverblendung, das können nur Fußballfans. ;-) Nein, steckt es nicht. Sie hat die Krankheit vieler Absteiger: Ganz passabel mitspielen zu können, aber nicht zum Abschluss zu kommen. Wie gesagt, das ist nicht "unglücklich", sondern ein typisches Merkmal von Absteigern.

Gerald Hoedl hat gesagt…

Der Pflichtsieg gegen Köln ist zwar eingefahren, es ist nicht völlig unwahrscheinlich, dass auch die beiden nächsten Spiele gewonnen werden, aber auch die sind keine Bank. Ich denke jedoch nicht, dass gegen Leverkusen ein Sieg gelingt, Punktgewinn gegen die Bayern und Gelsenkirchner halte ich für unwahrscheinlich, und selbst mit den Punkten, die du nennst: die andern (vor Hertha) können ja auch noch punkten. Dass sich die Mannschaft gefuznden zu haben scheint, da stimme ich dir zu. Solltest du Recht haben und die hertha oben bleiben , bringe ich dir beim nächsten Berlin-Aufenthalt eine Flasche aus der Produktion der Witwe Clicquot mit.