Michael Preetz hat sich gestern zum ersten Mal in großem Stil als Krisenmanager bewährt. Er hat an einem katastrophalen Abend alles richtig gemacht. Nach dem 0:4 gegen Freiburg hielt er die Spieler davon ab, einfach in die Kabine zu verschwinden; er schickte die Mannschaft in die Ostkurve, wo die Fans standen, die zu den besten der Liga zählen (seit ich ein paar Mal auswärts dabei war, kann ich das ein wenig einschätzen).
Preetz hat sich dann selbst allen wesentlichen Medien gestellt, der fassungslose Trainer Favre hat das auch versucht, wäre aber besser gleich in der Kabine verschwunden. Preetz hat mit seinen souveränen Auftritten die Zeit gewonnen, die er und Hertha brauchen nach einem Spiel, das eigentlich den sofortigen Rücktritt des Trainers nahegelegt hatte.
Der Manager musste allerdings auch in eigener Sache auf Zeit spielen, denn er hat zu dem absoluten Tiefpunkt wesentlich beigetragen. Der Berliner Kader gibt zum momentanen Zeitpunkt keine funktionsfähige Mannschaft mehr her, die Probleme sind zum Teil altbekannt (beide Außenpositionen in der Viererkette), zum Teil allmählich klar geworden (der gravierende Kompetenzverlust von Arne Friedrich), zum Teil schon Erbmaterial (wie kann man auf Dardai als Führungsspieler setzen?), zum Teil Pech (Kacar, Drobny verletzt).
Zum Teil beruhen sie auch auf Fehlern des nun schon extrem beschädigten Trainers Favre, der einen Vertrauensvorschuss nur dort zu geben bereit ist, wo er fehlinvestiert scheint (Nicu), während der einen Stürmer wie Domovchyiski selbst demontiert hat. Das Fünfjahrestief, wie ich den gestrigen Abend mit Blick auf die Zeitspanne, die dieses Blog existiert, nennen möchte, hat eine strukturelle und eine mentale Komponente.
Die strukturelle betrifft den Kader, von dem sich erweist, dass er allenfalls für die schönen Tage konzipiert ist, kritischen Situationen aber nicht standhalten kann. Der Transfer von Wichniarek erschien mir damals plausibel, vor allem deswegen allerdings, weil ich auf Domovchyiski und Chermiti gespannt war - den einen mag der Trainer anscheinend nicht, der andere wurde abgegeben. Pejcinovic, gekauft als Aushilfe für die Innenverteidigung, eingesetzt als rechter wie linker Außenverteidiger, gestern schlechtester Mann in einer furchtbaren Mannschaft, tut alles, um sich als Fehleinkauf zu erweisen. Bengtsson harmoniert mit Friedrich absolut nicht und zeigte beim 0:3 auch ein deprimierendes Zweikampfverhalten.
Ramos kann ich bisher nicht einschätzen, Cesar leitete das 0:4 ein und deutete nicht an, dass er zum Umschwung beitragen kann. Dazu kommen bewährte Imkompetenz (Stein, Dardai), grundlegende Form- und Einstellungskrise (Cicero), einsames Wurschteln (Ebert, Raffael, Pisczek), monotones Alibispiel (Nicu), und schon ist der FC Freiburg de facto ohne Gegner.
Die mentale Komponente ist das Ergebnis eigenen Verhaltens. Hertha hat von ersten Saisonspiel an nicht hinreichend für den Erfolg gearbeitet, jetzt stimmt gar nichts mehr. Kurzfristig wird es darum gehen, ob Coach Favre das Blatt noch einmal wenden kann (mein Tip: nein), mittelfristig habe ich gestern, als das Match schon belanglos war, darüber nachzudenken begonnen, was für eine Ironie für die Hauptstadt das wäre, wenn in einem Jahr der Westclub in die zweite Liga ginge und Union aus Köpenick den Aufstieg schaffen würde. Nicht auszudenken? Nach dem gestrigen Spiel ist nichts mehr undenkbar.
5 Kommentare:
Sommer 2010 Relegation zur ersten Liga Hertha vs. Union ... das hat doch Charme ...
Und bitte keine neue Trainerdiskussion zur Zeit sind nur Götz/Thom oder Mirko Slomka zu kriegen oder passt Lothar M. zu uns ... ;-(
ich meinte Götz/Thom ...sorry
Das war gestern auch mein erster Gedanke: die Hegemonieumkehr im Berliner Fußball ist wahrlich nicht mehr undenkbar. Sollte Favre alle 4 Spiele der kommenden 14 Tage betreuen, sammelt er mit größter Wahrscheinlichkeit 4 weitere Desaster. Hoeneß' Lieblingstrainer hat die Mannschaft ordentlich ramponiert.
Btw: Besten dank für dieses Blog.
Äh, SC Freiburg, nicht FC.
Sechs Punkte bis Platz 9, wo die Hertha, ihrem Leistungsvermögen nach, hin gehört. Der augenblickliche Fatalismus ist ebenso grundlos wie die verblendeten Titelträume im Frühjahr.
Aber mal im Ernst: Jürgen Röber ist gerade der Arbeitgeber zusammengebrochen, der hätte vielleicht auch Zeit, die Hertha in die Alte Försterei zu überführen.
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