Montag, September 26, 2011

Sollbrychstellen

Es war ein Bild wie aus einem anderen Genre, diese halbnahe Einstellung auf Markus Babbel nach dem Spiel gegen Werder Bremen am Sonntagnachmittag. Ein Mann allein am Rand eines Massenereignisses, der sich nichts anmerken lassen möchte, der aber kaum merkbar und doch deutlich mit den Tränen kämpft - wenig später hatte er die Fassung wiedergefunden, und sowohl er wie auch Manager Preetz kommentierten so gelassen wie möglich ein denkwürdiges Spiel.

Es ging durch ein Kopfballtor von Claudio Pizarro nach Corner von Marin und Verlängerung durch Rosenberg in letzter Minute mit 1:2 verloren. Das Bemerkenswerte dabei war die Konstellation: Hertha spielte eine halbe Stunde mit neun Mann, nach gelb-roten Karten gegen Lell und Ramos. Und selbst unter diesen Umständen hätte Raffael beinahe davor noch ein Tor für Hertha erzielt.

Entscheidend war schließlich, dass es ganz am Ende, in der dritten Minute der Nachspielzeit, nicht gelang, diesen Eckball zu verhindern. Zwischen den Zeilen von Michael Preetz konnte man hinterher selbstverständlich hören, dass er mit dem Refereeing unglücklich war. Das liegt daran, dass es in diesem sehr engen Spiel zahlreiche Ermessensentscheidungen gab, bei denen Hertha des Öfteren das Nachsehen hatte - wesentlich sicher beim Ausgleichstreffer durch Pizarro nach früher Führung durch Ramos.

Es war bis zum Ausschluss ein faszinierendes Schulspiel für Systemanalytiker - hier die massierte Defensive von Hertha, der sich häufig auch Raffael und gelegentlich (für den Ausschluss jedoch entscheidend) auch Ramos anschloss; dort die Bremer Raute, mit einem sehr flexiblen Arnautovic als zusätzlicher Option quer über den Platz. Bei Hertha hingegen fanden Ebert und Torun nicht gut ins Spiel, sodass Raffael und Ramos häufig die Gegenangriffe zu zweit veranstalten mussten - in der dritten Minute reichte das auch für ein schönes Tor durch Ramos, der die große Bremer Zerstreutheit in dieser Situation elegant ausnützte.

Danach begann Bremen allerdings seine Klasse auszuspielen. Sie spielten so gut es ging in den sehr engen Räumen, die Hertha ließ, und so wurde es ein Abnützungsspiel, in dem sich eine Szene als wegweisend erwies: der aufgerückte Lell sah sich irgendwann zu einem taktischen Foul gezwungen und sah dafür die gelbe Karte, an der auch nichts auszusetzen war. Diskutabler war eine erste gelbe Karte gegen Ramos, auch hier wertete Referee dies wohl als taktische Unterbindung eines interessanten Spielzugs, ich glaube, dass er hier zu streng war.

Er legte damit aber wohl den Grundstein für das Element Frust bei Ramos, das schließlich nach einer Stunde nach einem neuerlich eher kleinlichen Pfiff dazu führte, dass der Kolumbianer den Ball eher wegschupfte als -schlug - korrekt sah er dafür die zweite gelbe Karte, und doch war das auch ein Moment, in dem man sehen konnte, wie kleinlich und maßregelnd der Fußball geworden ist, denn es war eindeutig eine Szene mit Toleranzspielräumen.

Hertha hatte da schon Lell verloren, der es mit seinem offensiven Engagement übertrieben hatte - eine taktisch völlig isolierte Balleroberung am gegnerischen Sechzehner muss nicht mit der Verve versucht werden, mit der Lell da vorging. Dumm gelaufen, gegen Bayern ist er hoffentlich wieder dabei, und Janker schlug sich als sein Deputy gar nicht so schlecht.

Coach Babbel nahm die notwendigen Wechsel vor, stutzte beide Flügel und brachte Lustenberger, sodass Hertha nun mit einem 4-2-1-1 bzw. 4-3-1 versuchte, das 1:1 über die Zeit zu bringen. Das wäre beinahe gelungen, bis Claudio Pizarro kam, dem im Übrigen davor in einer Szene mit Hubnik ein weiterer Kopfballtreffer aberkannt wurde, bei dem Hubnik genau so gefoult hatte.

Der Referee schuf sich die Sollbruchstellen des Spiels selber, weil er es schwer lesbar machte für die Spieler und weil er in der zweiten Halbzeit begann, eigene Entscheide von früher ein wenig zu kompensieren (siehe Hubnik, da profitierte Hertha davon). Das Spiel entschieden hat Brych nicht, er hätte jedoch den ersten Kopfballtreffer von Pizarro wohl nicht anerkennen dürfen - nach Lage der Dinge wäre für Bremen aber auch danach alles möglich gewesen. Wie auch für Hertha. Dieses Wissen hat Babbel wohl die Tränen in die Augen getrieben. Nur für einen Moment, dann wird er sich gedacht haben: Diese Spielanlage ist ein Fundament, auf die man aufbauen kann. Und so ist es ja tatsächlich.

2 Kommentare:

Natalie hat gesagt…

Chapeau, sehr gelungenes Wortspiel! Ich denke, ohne das subtile Lenken Brychs, wäre Bremen kein 3er gelungen. Das hat sich auch vor Ort zu keinem! Zeitpunkt so angefühlt. Aber schon lange vor dem 1. Platzverweis zeichnete sich ab, wohin die Reise gehen wird... Wir stehen mit leeren Händen da und haben trotzdem etwas gewonnen - die nächste Stufe in der Beziehung zwischen Mannschaft & Fans.
P.S.: Nach dem Umbau ist der Gästebereich "Steh" leider keine Reise mehr wert.
Beste Grüße

marxelinho hat gesagt…

Ich war einmal dabei in Bremen, das war das Spiel, in dem Christopher Gäng seine "Feuertaufe" hatte (blöde Kriegsmetapher, eigentlich). Saukalter Novembertag, die ausdauernde Arbeit des Berliner Anhangs hat mich allmählich fast in eine Art Trance versetzt (ich übertreibe nicht, so was habe ich auch später nie wieder erlebt).