Sonntag, September 18, 2011

Entschleunigung

Das 2:2 von Hertha im Heimspiel gegen Augsburg habe ich gestern nicht so richtig mitgekriegt. Ich war von einer Nacht im Flugzeug noch groggy, und bin vor dem Fernseher eingeschlafen. Heute habe ich das Spiel in aller Ruhe nachgeholt, und konnte dabei mit der Muße dessen, der um das Ergebnis schon weiß, ein wenig stärker auf das "big picture" achten.

Zwei Aspekte scheinen mir wichtig, einer kurzfristig, einer langfristig. Der kurzfristige betrifft eine Flexibilisierung der Strategie. Gegen Mannschaften wie Augsburg, also gegen solche, gegen die Hertha "das Spiel machen" muss, könnte ein Abgehen von der Doppelsechs erwägenswert sein, oder aber: die Abstimmung zwischen Niemeyer und Ottl sollte einmal eine Woche vor so einem Spiel eigens Trainingsthema werden.

Was sich gegen Dortmund bewährt hat, wird nicht in jedem Fall die ideale Lösung sein. Gestern war deutlich zu sehen, dass die Spielteilnahme von Niemeyer und mehr noch von Ottl zu konservativ ist. Niemeyer versuchte immerhin in Halbzeit eins einmal zwanzig Minuten lang, nach vorne zu arbeiten; Ottl tat dies in nun schon bewährter Manier äußerst dosiert. Er ist gewiss ein guter Fußballer, aber seine Sensibilität für Spielsituationen ist doch sehr gering ausgeprägt. Die paar Meter, die er manchmal nur laufen müsste, um sich anzubieten, macht er nicht nur nicht, seine Körpersprache verrät auch, dass er da oft gar nicht mitdenkt.

Dass er dies zudem noch durch nicht selten völlig sinnfreie Gestik zu kompensieren scheint, macht die Sache nicht besser. So hing gestern zu viel an Raffael. Hätte Babbel nach dem 2:2 wirklich auf Sieg wechseln wollen, hätte mich die Variante Ben-Hatira für Ottl mehr interessiert als der positionell gleichwertige Wechsel Ronny für Ebert.

Der Ausgleich gleich nach der Pause wäre nicht möglich gewesen, wenn Lell nicht in einer allgemeinen, noch nicht klar ausgeprägten Offensivsituation einfach losgelaufen wäre, in einen noch vagen Raum, den erst Ebert mit seinem Auge strukturierte. Dieses tentative Laufen lässt Ottl vermissen, wie auch Kobiashvili und sehr oft auch Niemeyer. Entschleunigung ist in vielen Bereichen zu begrüßen, selten jedoch bei Ballbesitz im Fußball.

Das bringt mich zum dem langfristigen Aspekt. Durch den Sieg in Dortmund und die passable Bilanz der ersten sechs Spiele kann Hertha die kommenden Spiele mit einem gewissen Selbstbewusstsein angehen. Man ist schwer zu schlagen, das ist ja schon einmal etwas. Das Management und das Scouting muss aber eindeutig schon an kommenden Teams arbeiten, und dabei ist Mijatovic, für dessen Stammplatz es spielerische wie gruppendynamische Gründe geben mag, die Schlüsselposition.

Momentan hat das tiefe Stehen von Hertha auch damit zu tun, dass Ottl und Niemeyer immer in der Nähe sind, um Mijatovic abzusichern, der keinesfalls in ein einsames Laufduell geraten darf. Sie bieten ihm aber andererseits relativ wenig Passoptionen in der Spieleröffnung, wodurch Hertha leicht nach außen abdrängbar ist, von wo der Weg dann fast immer zu Raffael führt, dem von hinten aber zu selten Unterstützung nachkommt.

In der nächsten Mannschaft (Hertha 2012) wird es für Mijatovic einen neuen, modernen Innenverteidiger brauchen, den die Scouts jetzt schon suchen (müssten). Ob Neumann das sein kann, ist offen - ich habe leise Zweifel, bin aber unbedingt dafür, dass er eine Chance bekommt. Bei Franz und Janker wissen wir ungefähr um deren Grenzen.

Erst wenn in der Innenverteidigung nicht mehr zwei konservative Abräumer spielen, wird man das verhaltene Konzept von Hertha ein wenig öffnen können, werden die Mannschaftsteile besser integrierbar sein, wird idealerweise die allgemeine Laufarbeit mehr Möglichkeiten eröffnen, und wird man einen Gegner auch einmal zu mehr Fehlern zwingen können, als dies gegen Augsburg der Fall war. (Einen linken Außendecker wird Hertha auch brauchen.)

Das nicht zufriedenstellende Remis gegen Augsburg enthält also viele interessante Aspekte, die zur Modernisierung von Hertha beitragen könnten. Einstweilen würde es aber schon reichen, mit Ottl und Niemeyer an spezifischen Spielformen zu arbeiten: Was macht der eine, wenn der andere das macht? Und vor allem auch: Welche Möglichkeiten gibt es, auf das Spiel einzuwirken, und es nicht nur zu verwalten? Wenn Ottl da nicht irgendwann mehr zeigt, halte ich es für verantwortunglos, ihm gegenüber Lustenberger zurückzustellen.

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