Sonntag, Dezember 02, 2007

Sehnsucht

Verdient hat die Hertha gestern auf eigenem Platz 0:3 gegen Bayer 04 Leverkusen verloren. Aber auch bei diesem Spiel gab es eine Szene, die ich mir im Fernsehen noch einmal ansehen werde, weil sie vielleicht von vorentscheidender Bedeutung war und eine Wende möglich gemacht hätte. Es war kurz nach der Pause, Leverkusen führte durch Ramelows satt verwandelten "zweiten Ball" nach einem Freistoß mit 1:0. Die Hertha ließ sich durch den Rückstand nicht aus ihrem üblichen Trott bringen, nur Simunic, wieder im defensiven Mittelfeld tätig, schien entschlossen, etwas zu tun. Er befreite sich aus einer konfusen Situation mit zwei, drei Gegnern und schien schon unterwegs nach vorn, als er zurückgepfiffen und, wenn ich mich richtig erinnere, sogar verwarnt wurde. Vielleicht war es ja wirklich ein Foul. In den Ärger hinein, der die ganze Hintermannschaft befiel, spielte Leverkusen eine lockere Doppelpasskombination am gesamten Defensivpersonal vorbei, und Barnetta verwertete zum 2:0. Später gab es noch einen Treffer von Pantelic, der unglücklicherweise abgepfiffen wurde (der Schiedsrichter wartete nicht lange genug auf den Vorteil), und in der Schlussminute die Demütigung durch Barbarez (wieder auf der Chahed-Seite). Als ich nach Hause kam, spielte schon Arsenal bei Aston Villa, und der Kommentator verwendete häufig das Wort "desire" - zur Charakterisierung beider Teams. Wie würde man das übersetzen? In der Fussballersprache bietet sich natürlich "Gier" an, ich will aber bei der traditionellen Bedeutung "Sehnsucht" bleiben: die Hertha hat einfach keine Sehnsucht. Sie will nichts von ihren Spielen, außer vielleicht ernudelte drei Punkte. Sie spielt, mit der einen Ausnahme Pantelic und den kontroversen Ausnahmen Simunic und Ebert, einen Fussball, der technisch und geistig, läuferisch und taktisch so limitiert ist, dass ich mich wirklich frage, ob nicht auch Lucien Favre an dieser untrainierbaren Mannschaft scheitern wird. Die "Sehnsucht" kann man sich ja auch abgewöhnen, so wie man sich irgendwann vom Kino nichts mehr erwartet, wenn man lange nichts Gutes gesehen hat. Was Fathi, Friedrich, Mineiro, Gilberto und Chahed gestern gezeigt haben, war erbärmlich. Von Bergen nehme ich aus, der ist noch in der Probezeit, und Lustenberger hat erst sein zweites Spiel gemacht (dabei aber erkennen lassen, dass er rechts nicht viel bringt: er weicht Zweikämpfen aus und ist ohne Ball auffällig langsam). Pantelic war die übliche Ausnahme, ich ziehe einmal mehr meinen Hut vor seiner Einstellung und seinem Können. Bleibt der interessanteste Fall: Simunic. Seine Begabung ist in jeder Bewegung zu sehen, warum aber spielt er immer erst dann leidenschaftlich, wenn die Situation schon schwierig ist? Ich mache Favre den Vorwurf, dass er in mehrfacher Hinsicht die Mannschaft falsch einschätzt: Mineiro und Simunic im defensiven Mittelfeld stärken sich nicht, sondern lähmen einander. Simunic soll das allein machen, er MUSS herausgefordert werden! Gilberto ist als zentraler Spielmacher eine Vorgabe, das weiß jeder, der Hertha schon länger als eine Halbsaison beobachtet. Und Pantelic holt auch gegen fünf Leverkusener was heraus, trotzdem braucht er einen zweiten Mann neben sich. Favre ist offensichtlich eingeschüchtert von der Situation, er stellt zu konservativ auf, der armselige Kader gibt ihm dafür genügend Rechtfertigung. Gestern unterblieb die Balleroberung an der Mittellinie fast vollständig, das hat auch damit zu tun, dass sechs Männer auf dem Platz waren, die sich erst weiter hinten dafür zuständig fühlen konnten. Kam dann einmal einer in Ballbesitz, war er auf sich allein gestellt - von der Taktikschulung Favres blieb der falsche Rest, dass jeder seine Position hält und nichts wagt. Simunic brauchte nach dem 0:2 ungefähr fünfzehn Minuten, in denen er haderte und wenig lief. Dann brachte er sich noch einmal ins Spiel, und zwar so, wie ein Profi mit Sehnsucht (Paradebeispiel: Flamini von Arsenal) neunzig Minuten lang agiert. Nach dem Abpfiff blieb er allein in der Osthälfte, dann machten er und Pantelic noch einen Versuch der Kontaktaufnahme mit den Fans. Das rechne ich ihm auch hoch an, denn ich setze jetzt auf ihn. Wenn es noch Spieler in dieser Mannschaft gibt, deren Entwicklung mich interessiert, dann sind es diesen beiden - Josip Simunic und Marko Pantelic.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sehnsucht trifft es wirklich gut. Aber ich teile deine Einschätzung Pantes und Joe dem Psycho nicht.
Aber mir gefällt dein Blog, wollte ich mal gesagt haben.
Grüße
Easyfunk von der Welt Hertha Linke