Sonntag, Januar 23, 2005

Gegenreaktion

Eiskalt hat die Hertha die Rückrunde begonnen, begossen hat sie das Spiel verlassen. Als Nando Rafael nach drei Minuten den Führungstreffer schoß, als Vollender einer schönen Energieleistung von Thorben Marx, da hatte ich noch die Carmina Burana im Ohr, die in Bochum vor dem Anpfiff gespielt werden. Carl Orff als altdeutscher Ersatz-Bocelli wurde von Nandos kleinem Heber einfach durchgestrichen. In Bochum wissen sie wahrscheinlich gar nicht, was es mit dieser Musik auf sich hat, aber vielleicht geht ja gelegentlich ein Fan in ein Studentenkino und sieht Pasolinis Salò. Für die Hertha war die Herausforderung heute zu leicht. Die Mannschaft ist einfach nicht in der Lage, das Spiel auch dann noch zu machen, wenn sie es bereits sicher auf ihrer Seite hat. Da wirkt wohl das Ethos des Herbsts noch nach, das Selbstverständnis des Außenseiters, der nicht souverän gewinnt, sondern halt irgendwie - und irgendwie immer öfter, bis plötzlich irgendwie Ansprüche da sind. Von der besten Verteidigung der Liga habe ich immer nur die Zahlen ernst genommen, auf dem Feld habe ich davon nicht so viel gesehen, da war viel Dusel dabei, und als ich gestern im Tagesspiegel las, daß Dick Van Burik sich in das Team zurückgekämpft hat, hatte ich schon so eine Ahnung. Mein Vertrauen hat er nicht, auch wenn er beim Zweikampf gegen Lokvenc sein Bestes getan hat. Es war nicht genug. Madlung kam dann für Marx, eine defensive Einwechslung, zu der Götz beinahe gezwungen war, weil er keinen Mann draußen hatte, der in 15 Minuten das Solistenunwesen im offensiven Spiel hätte ordnen können. Er baut, wie alle Trainer, die eine knapp der Katastrophe entronnene Mannschaft übernehmen, die Sache auf Reaktion auf: Wir haben das jetzt schon oft gesehen, daß die Hertha gut beginnt, sich einen Vorteil verschafft, damit sie dann ihr Spiel machen kann, das eben aus Reaktion statt Aktion besteht. Gegen die amorphen Bochumer ging das schief, weil sich auch schwache Teams auf Möglichkeiten besinnen, wenn der Gegner einfach zuwartet. Während sich Marcelinho in eigensinnige Verschleppungen verstieg, erwachte beim Gegner der Überlebensinstinkt. Nächsten Sonntag sind wir wieder die Außenseiter - das könnte interessant werden. Unglaublich im Vergleich, wie heuer die englische Liga verläuft: Die extrem stabile Chelsea setzt jedes Wochenende den Takt, während Manchester United und Arsenal versuchen, nicht aus dem Tritt zu kommen. Bergkamp hat heute gegen Newcastle das entscheidende Tor von Arsenal geschossen, damit zumindest die mean ManU auf die kleine Distanz eines Punktes gehalten wird. Alles unter drei Punkten ist in der Premier League eine Niederlage. Das Diktum zum Wochenende kam allerdings wieder einmal von Ralf Rangnick, der Trainer mit Filmemachern verglich: "Fellini hat seinen Spielern genau gesagt, was sie machen sollen und hat sich dabei bestimmt mit mancher Diva aufgerieben." Abgesehen davon, daß Rangnick Fellinis Stadt der Frauen vielleicht nicht gesehen hat (zu viele aufreibende Diven!), ist das doch bemerkenswert, wie Cinema Italia durch die Hintertür in die Liga sickert. Heute Nachmittag lief im Ersten auch noch Don Camillo! Mit Falko Götz bin ich erst glücklich, wenn er der Michael Mann unter den Trainern wird. Besser noch aber der Takeshi Kitano.

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