Sonntag, August 14, 2005

Die lieben Nachbarn

Für Volker und mich begann die neue Saison im Olympiastadion mit einem Dämpfer: Der ältere Herr, der uns vor zwei Jahren durch Zigarrengestank und äußerst unqualifizierte Kommentare aufgefallen war, sitzt heuer direkt neben uns. Er wollte sich auch um ein paar Reihen nach vorne verbessern, wie wir es im Vorjahr schon gemacht hatten, und jetzt haben wir ihn als Nachbarn. Früher hat er zwei schlanke Zigarren pro Match geraucht, dieses Mal hatte er einen dicken Humpen im Mund, als ich kam. Zigaretten halte ich gut aus, aber Zigarren stinken mich an, im Restaurant oder im Stadion. Im übrigen ist die "Familie" mehr oder weniger gleich geblieben. In der Halbzeit gab es sogar ein ganz ordentliches "Trainergespräch", schließlich sind wir alle Falko Götz. Der Coach hatte sehr konservativ aufgestellt, mit Malik Fathi und Gilberto links und Oliver Schröder rechts. Die erste Halbzeit war jämmerlich, die Mannschaft lief kaum, ganz so, als wollte sie nicht akzeptieren, daß diese Spiele künftig ihr Alltag sein werden: das mühsame Bearbeiten eines gegnerischen Blocks. Dick van Burik ging ein, zweimal über die Mittellinie, aber die Anzahl der Bälle, die irgendwo landeten, war sagenhaft. Niko Kovac stellte sich offensiv taub. Wichniarek und Rafael arbeiteten vorne brav, kamen aber nie auch nur in die Nähe einer Chance, weil sie sich in deren Vorbereitung aufrieben. Nach der Pause kam Kevin-Prince Boateng, der mich körpersprachlich stark an Patrick Vieira orientiert, und diese Position irgendwann ja auch beziehen soll - die des Umschlagplatzes, des Abfängers, der den Ball bekommt und ihn sofort ins eigene Spiel zurückbringt - nicht nach drei Beruhigungsdrehungen und vier Schemapässen, wie es unsere Zentrale gern hat. Den Weitschuß, mit dem Oliver Schröder dann erfolgreich war, habe ich später im Fernsehen in einer tollen Zeitlupe gesehen: Die sechs oder acht Hindernisse auf dem Weg hinter die Linie gingen alle pünktlich, also in allerletzter Sekunde zur Seite.












Von einem Duseltor will ich nicht sprechen, denn in so einem Spiel hängt sowieso viel am Glück. Die Hertha sehen viele als ein Team, das kein Glück verdient, und beim Blick auf viele Fans denke ich mir das auch manchmal - so eine übellaunige (und teilweise, let's face it, auf einem Auge blinde) Truppe will ich mir als politisches Wahlvolk schon einmal gar nicht vorstellen. Rechts sitzt ein junger Mann, der eigentlich ein ganz gutes Auge hat, dabei aber das ganze Spiel hindurch in manisch-depressiver Weise laut vor sich hin kommentiert. Ich glaube, Volker und ich werden nächstes Jahr doch einen neuen Sektor riskieren müssen. Ein Blind Date für zwanzig Nachmittage!

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