Montag, Oktober 29, 2007

Welten

Ich bin gerade in Wien, wie jedes Jahr um diese Zeit. Am Wochenende habe ich drei Fussballspiele gesehen, drei Welten, weit voneinander entfernt. Am Freitag war ich live im Gerhard-Hanappi-Stadion in Wien-Hütteldorf, wo Rapid gegen den LASK ein irres 4:4 schaffte. Veli Kavlak, den Hertha auf der Liste hat, war dabei der auffälligste Rapidler. Ich stand im Sektor der LASK-Fans, und wurde nach dem Match eine Stunde im Stadion festgehalten, weil die Wiener Polizei es vorzog, die eingesperrten Fans zu bewachen und nicht die Straßen, auf denen diese zu ihren Verkehrsmitteln gehen hätten können. Das nenne ich Taktik, ihr deppaten Kieberer! Am Samstag in der nun schon gewohnten Sportbar im dubiosen Ringstraßenhotel Marriott die Konferenz aus der Bundesliga, in der Herthas 2:0 gegen Bochum natürlich keine große Rolle spielte. Immerhin hat Marko Pantelic ein tolles Tor geschossen - unser einziger richtig guter Mann! Gestern dann in derselben Bar das Duell zwischen Liverpool und Arsenal, das uns vielleicht deswegen so rasend schnell erschien, weil wir es ohne Ton sehen mussten. Tolles Match, bedürfte eingehender Analysen, Simon war für Liverpool, ich für Arsenal, wir mussten es am Ende beide zufrieden sein, so wie Carragher und Fabregas in den Interviews später jeweils von zwei verlorenen Punkten für ihr Team sprachen. Die englischen Zeitungen haben allerdings Arsenal "vorn", wie man so schön sagt, nicht nur in der Tabelle, sondern vor allem stilistisch - was wäre das erst für ein Spiel geworden, wäre Torres fit gewesen und auch van Persie, und hätte Benitez eine überzeugendere Anfangsformation als mit Voronin gefunden!

Sonntag, Oktober 21, 2007

Vorbild

Der Auftritt der Hertha gestern bei Werder Bremen wurde zu einem weiteren Schritt auf dem endlosen "Lernprozess", auf den sich der ganze Verein nunmehr schon seit den Tagen verständigt hat, als ich diesen Blog begonnen habe - also seit dem Scheitern des großen Anlaufs unter Huub Stevens Seither wird gelernt, umgebaut, entwickelt, und es kommt immer nur Stückwerk heraus. So auch gestern. Lucien Favre hatte Bremen während der Woche zum großen Vorbild ausgerufen, meinte dabei wohl auch allgemeine Professionalität und Transferpolitik. Den Unterschied konnte man dann bis in viele Details hinein genau studieren. Favre hatte eine anfangs experimentelle Taktik gewählt, die sich aber schnell relativ konventionell entflocht: Nur Simunic kam im defensiven Mittelfeld auf eine Position, die ihn vor interessante Herausforderungen stellt und ihn nebenbei dazu zwingt, am Spielaufbau teilzunehmen. Neben ihm Dardai, hinten Fathi-von Bergen-Friedrich-Chahed, weiter vorne Gilberto-Grahn-Ebert, und Pantelic als einziger Stürmer. Das ging in der ersten Halbzeit so gut, dass der Premiere-Kommentator die erste große Chance gar nicht so richtig bemerkte: ein toller Pass in die Tiefe auf Grahn, der rechts auf Wiese zuzieht, und eigentlich selbst verwandeln muss, dann aber einen Querpass spielt, der Werder noch die Chance zum Eingreifen lässt. Beinahe eine Kopie dieser Situation kurz vor der Pause, dieses Mal ist der Pass die ideale Möglichgkeit, und Gilberto muss dieses Tor machen, will Hertha an diesem Tag eine Chance haben. Er verstolpert. Nach der Pause kam die Hertha mit dem Spielwitz von Bremen nicht mehr mit. Von Bergen, der ein gutes, aber eben kein überragendes Spiel machte, zahlte ein wenig Lehrgeld, und Arne Friedrich, der ein gutes, aber kein überragendes Spiel machte, gleichfalls. Schlüsselfigur defensiv war aber in meinen Augen Chahed, der wieder mutlos und beim dritten Tor auch geistesabwesend spielte - auf dieser Position muss im Winter was getan werden. Besonders interessant war es aber, Grahn zuzusehen: Bei ihm ist noch offen, ob er sein Spiel irgendwann so effizient machen kann, dass seine technischen Fähigkeiten seine läuferischen Defizite und seinen Mangel an Entschlossenheit kompensieren können. Eine Charakterfrage, wie so oft. Bremens riskantes Spiel bot ihm gestern viele Räume, er hätte mehr daraus machen müssen. Dass Favre in der 60. Minute schon Pantelic vom Platz nahm, verstehe ich nicht. Der Coach trägt unserem besten Angreifer wohl immer noch das Misstrauen aus dem Sommer nach, als er in der Vorbereitung einen ächzenden Star sah, der nur langsam in die Gänge kam. Okoronkwo schoss zwar noch das 2:3 in letzter Minute, er konnte dem Spiel aber keine Wende mehr geben. Werder ist auch eine Mannschaft, die viel probiert, allerdings auf deutlich höherem Niveau. Gegen Bochum muss Hertha nächste Woche ein erstes Zeichen setzen, dass sie mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben will. Das Potential hat sie, ob sie aber auch den Mumm hat?

Dienstag, Oktober 16, 2007

Sirius

Der Sirius, auch Hundsstern oder Canicula genannt, ist der hellste Stern am Nachthimmel. Er ist nun nach längerer Verdunkelung über der Bundesliga aufgegangen, denn Leo Kirch (der von der "Kirch-Krise") hat für seine Agentur Sirius die Verwertungsrechte von 2009 bis 2015 gekauft. Er hat dafür einen Gegenwert von jährlich 500 Millionen Euro geboten, und für das erste Jahr angeblich auch schon eine Bankgarantie beigebracht. Die Hertha hat sich der Stimme enthalten (der HSV hat als einziger der 36 Clubs, die derzeit in den oberen beiden Spielklassen und dadurch im befugten Gremium vertreten sind, dagegen gestimmt). Berlins Geschäftsführer Ingo Schiller gab an, dass die Informationen zu kurzfristig vorgelegen seien, um eine Stimmabgabe zu ermöglichen. Dabei fragt sich, ob es die korrekte Reaktion auf ein derartiges Vorgehen ist, sich einfach der Stimme zu enthalten - ist doch jedem klar, dass damit in der Sache nichts getan ist, nur man selber kann später einmal sagen: Wir haben nicht dafür gestimmt. Einhalt geboten hat man aber auch nicht. Bernd Hofmann vom HSV verdient Respekt, die DFL hingegen braucht ein Kontrollgremium: Jetzt hat man bis Mitte des nächsten Jahrzehnts einen Partner, der - wie Arena gerade eben - schon wieder vom Aufbau einer eigenen Logistik in größtem Stil faselt, der alle Bilder und Töne kontrollieren will, der jede vernünftige journalistische Gewaltenteilung (im männerbündischen Fussball) unterlaufen will, der sich mit einem Wort als eine künftige Iswestija des deutschen Fussballs vorgestellt hat und dafür ohne Alternativmodell einen Zuschlag bekommen hat, angesichts dessen die Hertha die Hände nicht in Unschuld gewaschen, sondern in den Schoß gelegt hat.

Sonntag, Oktober 07, 2007

Polyvalenz

Berlin beginnt sich allmählich an Lucien Favre zu gewöhnen, und der Trainer umgekehrt auch an Berlin: Gestern beim Heimspiel gegen Cottbus probierte er eine Taktik, die ihm eine "Falko-Götz-Anstecknadel" einbringen sollte. Er zog Arne Friedrich zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder auf die rechte Außenposition (Simunic und von Bergen bildeten die Innenverteidigung), und zog Sofian Chahed ins rechte Mittelfeld. Vor der Abwehr spielten Mineiro und Dardai, links Fathi und Gilberto, vorne Pantelic und Lima. Favre spricht gern von "Polyvalenz", er mag es, wenn ein Spieler auf mehreren Positionen einsetzbar ist. Die Körpersprache von Sofian Chahed gab dazu einen beredten Kommentar: Mit eingezogenem Kopf und mit angezogener Handbremse schlich er rechts herum, immer bestrebt, korrekt zu verschieben, niemals daran interessiert, in einen freien Raum zu gehen. Mit dieser Mauerformation hat Favre die DNA der alten Hertha freigelegt: Diese Mannschaft ist an Lethargie und geistiger Armut nicht zu überbieten. Simunic ist das beste (schlechteste) Beispiel - defensiv ließ er sich zweimal gefährlich überlaufen, offensiv will er mit dem Match nichts zu tun haben. Einmal ließ er den vordersten Cottbuser aussteigen, sah freien Raum vor sich, zögerte dann so lange, bis der nächste Gegner kam, und spielte den üblichen Querpass. Die erste Halbzeit war das übelste Spiel, das ich im Olympiastadion seit den Uefacup-Auftritten vor zwei Jahren gesehen habe. Nach der Pause kamen Ebert für Chahed und Grahn für Dardai, es wurde aber nur wenig besser. Cottbus verlegte sich darauf, alle paar Minuten einen Mann vom Feld zu tragen zu lassen, und mit jeder Minute, die verstrich, wuchs die monströs langweilige erste Halbzeit zu einem Menetekel heran: Das ist Hertha BSC, wenn sie das Spiel bestimmen soll. (Sie hat noch eine andere Seite, eine reagierende, sie kann in einem schnellen Spiel manchmal etwas bewerkstelligen - ein langsames Spiel schnell machen, das kann sie nicht, dafür fehlt es ihr an Willen, Geist, Stolz.) In der letzten Minute vergab Pantelic noch einen Elfer - er war, trotzdem, der beste Berliner in einer indiskutablen Mannschaft. Lima, Dardai, Chahed, Okoronkwo waren Totalversager, Simunic und Grahn sind problematisch. Dass es für ein Match dieser Sorte noch Punkte gibt (Cottbus war ebenfalls inferior), entspricht den Regeln, ist aber ein Hohn.

Mittwoch, Oktober 03, 2007

Kevin-Prince Boateng

Am Montag hatte ich die zweite Halbzeit von Tottenham-Aston Villa laufen, und wurde so Zeuge eines denkwürdigen Matches, in dem Hotspur einen 1:4-Rückstand in letzter Minute durch ein Offside-Tor noch ausgleichen konnten. Für den Moment hat das wohl den Job von Trainer Martin Jol gerettet. Neuerlich nicht im Kader fand sich Kevin-Prince Boateng, der bisher mit dem First Team nichts zu tun haben scheint. Bei den Reserves spielt er jedoch, wie ich herausgefunden habe, eine dominante Rolle: In drei Spielen bisher war er an allen Toren beteiligt, hat eines selber geschossen und spielt anscheinend in der Regel durch - gegen die zweiten Mannschaften von Derby, Birmingham und Chelsea. Tottenham Hotspur wurde vor der Saison als Kandidat für die Top Four in England gehandelt - sie haben auch kräftig investiert, bisher aber wenig daraus gemacht. Für Kevin-Prince wäre es vielleicht besser, wenn sich die Sache mit Martin Jol, der definitiv schwer angeschlagen ist, nicht mehr allzulange hinzieht. Es sieht nicht so aus, als hätte er bei dem Holländer, der als Freund von Karel van Burik bezeichnet wurde, eine reelle Chance auf die erste Mannschaft. Ich würde ihn aber gern einmal sehen, einen Berliner Jungen an der White Hart Lane, und vielleicht irgendwann im Uefacup gegen Hertha im Olympiastadion. Das gäbe ein anderes Hallo, als wenn Asche Dejagah mit dem öden Vfl Wolfsburg kommt oder - das dräut uns vielleicht nächsten Samstag - der dann immer besonders fangfreudige Gerhard Tremmel mit Energie Cottbus.