Samstag, November 27, 2004

Am grünen Hügel

Nach dem Spiel in Wolfsburg muß ich vermutlich nicht mehr erläutern, warum ich hier unter dem Pseudonym Marxelinho schreibe: Das zweite Tor, nach Balleroberung im Mittelfeld und einem exzellenten, schon halbtödlichen Querpaß von Thorben Marx, erzielte unser Brasilianer mit dem rechten Fuß. Mit demselben Fuß also, mit dem ich weiland gearbeitet habe, als ich noch auf der Malik-Fathi-Position in der Schülermannschaft des SV Windischgarsten gespielt habe - immer im Schatten meines kleinen Bruders, der als großes Talent galt und Tore von der Mittellinie erzielen konnte (wofür wir in Berlin einem Alex Alves mehrere Jahre viel Geld hinterherwerfen mußten). Marcelinho war der Mann des Spiels, nicht nur, weil er drei Tore erzielt hat, sondern weil er noch zwei weitere sehr große Chancen hatte, und auch sonst immer dort war, wo der Raum so leer wurde, daß sich seine Antritte wie aus dem Nichts materialisieren konnten. Im Vergleich dazu hatte Fredi Bobic, von dem in dieser Woche eine Zeitung berichtet, er hätte ein Millionenangebot aus Amerika, auch einmal viel Platz: aber er ließ sich vom Raum erschöpfen, während Marcelinho immer den Raum so ausschöpfte, daß sich noch ein Haken ausging - nur beim zweiten Tor brauchte er auch das nicht, das schoß er eben mit Rechts. Hat jemand darauf geachtet, wie er beim ersten Tor gejubelt hat? Still. Beim zweiten Tor? Glücklich. Beim dritten Tor aber hat er sich über den Rasen gewälzt, wie ein kleines Kind auf einem Feld, das hügelab geht - so muß die VW-Arena ihm heute auch erschienen sein. Marcelinho ist ein Spieler, der arbeitet wie ein Organ - wenn der Organismus gesund ist, dann ist er das Herz. Wenn der Organismus kränkelt, dann ist er das Hirn - damit ist er überfordert. Falko Götz arbeitet ganz offensichtlich am Immunsystem der Mannschaft. Sie ist nicht länger Patient. Sie darf deswegen schon nach draußen, in die einstellige Region der Tabelle. Die Liga hat sich an diesem Wochenende entzerrt. Jetzt liegen schon fünf Punkte zwischen Mittelfeld und Abstiegskampf. Die Hertha liegt im Mittelfeld, und nicht weiter vorne, weil sie die Chemie zwischen Mittelfeld und Angriff noch nicht gefunden hat. Nando Rafael hat technische Schwächen. Fredi Bobic hat zu viel Möglichkeitssinn. König Artur Wichniarek hat zu wenig Spielpraxis. Billy Reina geht in den Herbst. Die Geheimwaffen aus den Weiten des Kaders sind noch nicht scharf genug. Das Spiel gegen Wolfsburg hätte zur Pause entschieden sein müssen, unerklärlicherweise wollte die Hertha, die zuerst mühelos das Spiel machte, dann nur noch kontern - das ist wohl Taktikschule. Deswegen war dies ein knapper Sieg gegen eine beherrschbare Mannschaft, und nicht so souverän, wie ich es mir gewünscht hätte. Marcelinho muß jetzt damit leben, daß er allein die Hertha dorthin tragen kann, wo die Luft dünner wird. Die Pässe von Thorben Marx mögen ihm dabei helfen, wenn es die gegnerischen Verteidiger nicht tun. Heute Nachmittag spielt mein Sorgenkind Arsenal London gegen Liverpool: Die Überlebenden von Eindhoven müssen sich an der Anfield Road wieder aufrichten.

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